Die so Geliebte
Roman um Annemarie Schwarzenbach
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Der Fall - 7. September 1942Geh, deine Stunde
hat keine Schwestern, du bist -
bist zuhause.
Paul Celan, Engführung
In den tropischen Regenwäldern Afrikas glauben einige Stämme, daß ein Kranker nach der Heilung seinen Namen ablegen und einen neuen annehmen muß. Der kranke Mensch ist tot, und aus der Krankheit geht ein neuer Mensch hervor. Denn am Namen bleibt die alte Identität hängen, mit allem, was daraus folgt: Unglück, Schicksal und so fort. Der Führer von Molanda hatte ihr versichert, daß für die Weißen gewisse abergläubische Vorstellungen nicht gelten. Und so hatte sie, als sie nach vielen Verirrungen wieder in Europa war - geheilt, oder nur befreit -, den Namen wiedergefunden, der immer der ihre gewesen war: Annemarie.
An einem strahlenden Sommertag, als die Sonne noch die letzten Spuren einer Regenfront zerstreut und eine launisch trödelnde Wolke hinter die Berge treibt, rollt ein Fahrrad über die Straße, die sich am Seeufer entlangschlängelt - angetrieben durch kräftige Pedaltritte und den Rückenwind, der vom Paß herunterweht. Das Rad umgeht jedes Hindernis, weicht den Steinen aus, die den Uferweg belagern, den vom Regen ausgewaschenen Schlaglöchern, den tiefhängenden Lärchenzweigen und den Pfützen. Es hüpft über den holprigen Untergrund, und die symmetrischen Linien des Gestells, der harmonische Kreis der Räder sowie die zarte Gestalt des Radfahrers spiegeln sich im Wasser. Der aber bemerkt es nicht und tritt leichtfüßig in die Pedale: Denn es ist eine Frau, jene Frau - Annemarie. Sie löst die Hände vom Lenker, verknotet einen Seidenschal im Nacken, preßt die Zigarette fest zwischen die Lippen und dreht sich nach hinten, um nachzusehen, ob die Mietkutsche - die sie hinter sich gelassen hat - schon in der Kurve aufgetaucht ist. Die Frau fährt holpernd und immer wieder bremsend weiter, mit dem Geräusch mühsam quietschender Eisenteile, während ihr dunkler Schatten über die Wasserfläche des Sees gleitet - leicht, still, nicht greifbar.
Ein
... mehr
paar hundert Meter weiter vorn versteckt sich im flimmernden Spiel von Schatten und Sonne eine flache Wasserpfütze. Hinter der Mulde ragt ein Stein ein paar Zentimeter aus dem Boden heraus. Ein unauffälliger, länglicher, spitzer Stein, der sich vom Berg gelöst hat, wie tausend andere gleiche Steine, die auf der Straße liegen. Sie weiß nichts davon und fährt ihm ahnungslos entgegen. Sie begegnet keinem Automobil, keinem Pferd, nicht einmal einem Wanderer. Die Kiesstraße liegt völlig verlassen in der gleißenden Sonne. Die Granitgipfel und die leicht im Wind schwankenden Tannenzweige spiegeln sich im Wasser des Sees, der die gleiche tiefblaue Farbe wie der Himmel hat. Das Fahrrad und die Frau sind zu einem seltsamen formlosen Wesen verschmolzen und scheinen das einzige Lebendige in jener leeren Landschaft zu sein, die zu einer unwirklichen, beinahe phantastischen Reglosigkeit kristallisiert ist. An diesem so heiteren, so friedlichen Ort kann kein Übel ihr etwas anhaben. Kein Schmerz. Die Berge umschließen das Tal, als wollten sie dessen Bewohner verteidigen und sie vor der Welt beschützen. Aus dem Wald, der die Uferböschungen säumt, strömt ein Duft von Moos und Heu, von Pilzen und frisch geschnittenem Gras. Annemarie kennt diese Gegend und weiß, wohin die weiße Straße führt, die sich am See entlangschlängelt: Hier verlaufen die Wege nicht im Nichts, sie führen immer irgendwohin.
Die Herrin von Bocken legt die Nadel auf die Platte, eine Frauenstimme schwebt in der Luft, schwingt sich in die Höhe und sinkt wieder ab. Renée liegt auf dem Liegestuhl, mit verbundenem Kopf, das Bein schmerzt noch von dem furchtbaren Sturz, der sie beinahe zum Schöpfer geschickt hätte. Ein wirklich ungewöhnlicher Vorfall. Sie reitet wie eine Amazone, und das Wort "Sturz" gehört nicht zu ihrem Wortschatz. Der Stallknecht ist verwirrt, er zittert und weiß nicht, wie er der Herrin die Nachricht überbringen soll. Sie hat in der letzten Zeit eine unmögliche Laune, seit sie - die nie auch nur einen Moment stillstehen kann - an den Sessel gefesselt und zur Bewegungslosigkeit verurteilt ist. Renée ist nicht mehr die Jüngste und sollte damit aufhören, mit losen Zügeln durch den Wald am Zürichsee zu reiten. Aber wer hat den Mut, ihr das zu sagen? Vom Grammophon kratzt atemlos Brünnhildes Stimme: Renée hat die Platte schon ganz verschlissen. "Es geht um Parsifal", stammelt der Stallknecht. Renée hebt ruckartig den Kopf. Parsifal ist ihr Lieblingsfohlen. Ein Rappe, mit schlanken Beinen und stürmischem Charakter, der Glanz ihres Reitstalls. Er ist kaum älter als eineinhalb Jahre und verheißt Wunder. Sie begleitet ihn bei jedem Schritt. Sie kontrolliert jeden Tag, ob der Hafer trocken und ohne Samen ist, und sieht ihm bei der Ausbildung zu - bei allem. "Er hat eine Kolik", murmelt der Stallknecht. Renée verliert keine Zeit damit, den Inkompetenten zu beschimpfen, der das Leben ihres Parsifal in Gefahr gebracht hat. "Hol meine Krücken", befiehlt sie. Sie hat eine autoritäre und brüske Sprechweise, als hätte die ganze Welt Verspätung und sie keine Zeit zu warten. Sie steht mit einem Ruck auf, greift nach der Krücke und schleppt sich zum Reitstall. Sie ist noch nicht in der Lage zu gehen, und jeder mit gesundem Menschenverstand hätte sie daran gehindert, sich zu bewegen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Parsifal zu versorgen. Aber auf Bocken ist sonst niemand. Die Fensterläden sind geschlossen, das Personal arbeitet um diese Zeit, Gäste sind keine da, die alte Mutter der Hausherrin hält Mittagsschlaf, die Kinder sind fort, eines hat geheiratet und lebt möglichst weit weg von ihr, eines hat sich in Schweigen gehüllt, eines ist abhanden gekommen - und die Hausherrin ist allein. In der Box liegt das Fohlen auf dem Stroh. Es zappelt machtlos. Stößt immer wieder mit dem Kopf gegen seine schweißnasse Flanke. Es leidet fürchterlich. Ein quälender Anblick. Niemand hat die Hausherrin je weinen sehen.
Die Herrin von Bocken legt die Nadel auf die Platte, eine Frauenstimme schwebt in der Luft, schwingt sich in die Höhe und sinkt wieder ab. Renée liegt auf dem Liegestuhl, mit verbundenem Kopf, das Bein schmerzt noch von dem furchtbaren Sturz, der sie beinahe zum Schöpfer geschickt hätte. Ein wirklich ungewöhnlicher Vorfall. Sie reitet wie eine Amazone, und das Wort "Sturz" gehört nicht zu ihrem Wortschatz. Der Stallknecht ist verwirrt, er zittert und weiß nicht, wie er der Herrin die Nachricht überbringen soll. Sie hat in der letzten Zeit eine unmögliche Laune, seit sie - die nie auch nur einen Moment stillstehen kann - an den Sessel gefesselt und zur Bewegungslosigkeit verurteilt ist. Renée ist nicht mehr die Jüngste und sollte damit aufhören, mit losen Zügeln durch den Wald am Zürichsee zu reiten. Aber wer hat den Mut, ihr das zu sagen? Vom Grammophon kratzt atemlos Brünnhildes Stimme: Renée hat die Platte schon ganz verschlissen. "Es geht um Parsifal", stammelt der Stallknecht. Renée hebt ruckartig den Kopf. Parsifal ist ihr Lieblingsfohlen. Ein Rappe, mit schlanken Beinen und stürmischem Charakter, der Glanz ihres Reitstalls. Er ist kaum älter als eineinhalb Jahre und verheißt Wunder. Sie begleitet ihn bei jedem Schritt. Sie kontrolliert jeden Tag, ob der Hafer trocken und ohne Samen ist, und sieht ihm bei der Ausbildung zu - bei allem. "Er hat eine Kolik", murmelt der Stallknecht. Renée verliert keine Zeit damit, den Inkompetenten zu beschimpfen, der das Leben ihres Parsifal in Gefahr gebracht hat. "Hol meine Krücken", befiehlt sie. Sie hat eine autoritäre und brüske Sprechweise, als hätte die ganze Welt Verspätung und sie keine Zeit zu warten. Sie steht mit einem Ruck auf, greift nach der Krücke und schleppt sich zum Reitstall. Sie ist noch nicht in der Lage zu gehen, und jeder mit gesundem Menschenverstand hätte sie daran gehindert, sich zu bewegen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Parsifal zu versorgen. Aber auf Bocken ist sonst niemand. Die Fensterläden sind geschlossen, das Personal arbeitet um diese Zeit, Gäste sind keine da, die alte Mutter der Hausherrin hält Mittagsschlaf, die Kinder sind fort, eines hat geheiratet und lebt möglichst weit weg von ihr, eines hat sich in Schweigen gehüllt, eines ist abhanden gekommen - und die Hausherrin ist allein. In der Box liegt das Fohlen auf dem Stroh. Es zappelt machtlos. Stößt immer wieder mit dem Kopf gegen seine schweißnasse Flanke. Es leidet fürchterlich. Ein quälender Anblick. Niemand hat die Hausherrin je weinen sehen.
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Autoren-Porträt von Melania G. Mazzucco
Melania Mazzucco, geboren 1966 in Rom, wurde schon mit ihrem ersten Roman berühmt. Alle ihre Bücher wurden vielfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Melania G. Mazzucco
- 2003, 540 Seiten, Maße: 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Italien. v. Gesa Schröder
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492043011
- ISBN-13: 9783492043014
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