Berlin - Moskau
DER SPIEGEL
Wolfgang Büscher ist zu Fuß von Berlin nach Moskau gelaufen. Allein. An die drei Monate dauerte die Wanderung. Im Hochsommer hat er die...
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Wolfgang Büscher ist zu Fuß von Berlin nach Moskau gelaufen. Allein. An die drei Monate dauerte die Wanderung. Im Hochsommer hat er die Oder überquert, an der russischen Grenze die Herbststürme erlebt und vor Moskau den ersten Schnee. Büscher erkundet Menschen und Orte, teils entlang Napoleons Weg und ziemlich exakt an dem der Heeresgruppe Mitte. Berlin - Moskau: eine einzigartige Reise, farbig, lebendig und fabelhaft erzählt.
Dieses Buch «ist unvergesslich und hat gute Aussichten, einmal zu den Klassikern der Reiseliteratur zu zählen- noch vor Bruce Chatwins Büchern:»
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Wolfgang Büscher ist zu Fuß von Berlin nach Moskau gelaufen. Allein. An die drei Monate dauerte die Wanderung. Im Hochsommer hat er die Oder überquert, an der russischen Grenze die Herbststürme erlebt und vor Moskau den ersten Schnee. Büscher erkundet Menschen und Orte, teils entlang Napoleons Weg und ziemlich exakt an dem der Heeresgruppe Mitte. Berlin - Moskau: eine einzigartige Reise, farbig, lebendig und fabelhaft erzählt.
Dieses Buch "ist unvergesslich und hat gute Aussichten, einmal zu den Klassikern der Reiseliteratur zu zählen- noch vor Bruce Chatwins Büchern:" -- SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Berlin-Moskau von WolfgangBüscher
LESEPROBE
POLSKI ZEN
Mit dem Abt von Lubin trank ich grünen Tee. Er streute einpaar Körner braunen Reis hinein, trug ein schwarzes Versace T-Shirt und einensilbergrauen Versace-Bart, hatte ungefähr Gianni Versaces Statur und hieß auchso: Jan. Er war Zenmeister, Lubin ein Benediktinerkloster. Er zeigte mirFotos. Seine Lehrer. Seine Schüler. Seine Brüder. Seine Reisen. Sein bester Freund,ein polnischer Jude buddhistischen Glaubens, der in Paris ein Zen-Do derkoreanischen Richtung unterhielt.
Als ich ihm sagte, was ich vorhatte, holte er neue Fotos. Mönchmit Versace-Bart am Kreml, Mönch mit Versace-Bart auf dem Roten Platz. Und weiler, so gewiss er über nationalen Engherzigkeiten stand, eben doch ein Pole war,konnte er es sich nicht verkneifen, seinen deutschen Gast auf eine, wie ersagte, häufig vergessene Tatsache hinzuweisen: «Die einzigen, denen es gelang,Moskau lange zu besetzen, waren die Polen im Jahr 1618 - wussten Sie das?Napoleon hat es nur ein paar Wochen geschafft, und Hitler bekanntlich garnicht.»
Er legte noch ein Foto auf den Tisch. Mann mit Versace-Bart vorder Mauer des russischen Klosters Zagorsk bei Moskau. Er nickte mir zu, esgenau zu betrachten, und sah dabei sehr zufrieden aus. «Da, schauen Sie! Nachdem Besuch der Polen 1618 wurden die Mauern von Zagorsk höher gebaut.»
Es machte ihm Freude, mir das schwärzestmögliche Bild von denRussen mit auf den Weg zu geben. Freunde von ihm, begann er harmlos, seiennach Moskau gefahren, um mit russischen Partnern ein Geschäft zu verhandeln,man saß in einem Hotelzimmer, es lief nicht schlecht, dann habe irgendetwas die
Russen verstimmt. Einer habe plötzlich eine Maschinenpistolein der Hand gehalten, entsichert und den Verhandlungstisch perforiert, das seidas Ende der russischen Aktivitäten seiner Freunde gewesen. Von uns beiden warder Abt derjenige, den die Geschichte amüsierte.
Dann führte er mich durch die Klosterkirche, weltläufige bayerischeKünstler waren vor zweihundertsiebzig Jahren gekommen und hatten Freskengemalt, Bilder aller vier Welten, ein Indianer mit Lama, ein Japaner mitSchirm, ein afrikanischer Löwe, Shivas heilige Kuh. Weiter ging es anneunundfünfzig Engeln in Plastikhüllen vorbei, die Kirche wurde gerade renoviert,und mehrere Treppen hoch. Die geschlossenen Augen einer Renaissancemadonnasetzten mir zu. Wohin rennst du, raunte sie, alles ist da, alle vier Weltensind nur ein Traum.
Der Meditationssaal der Mönche von Lubin sah aus wie viele andereMeditationssäle auch. Abgezogene Dielen, pastellfarbene Kissen, Decken, Fotosdes Dalai Lama, wie er vor Ordensbrüdern die Regel des heiligen Benediktinterpretiert. Beim Abstieg kamen wir an Marmortäfelchen mit den Namenermordeter Benediktiner vorüber. 1941 Wilna. 1942 Dachau. Und so weiter. Einesonderbare Gewohnheit des Abtes war es, jeden November nach Auschwitz zufahren, um dort stundenlang auf der eiskalten Erde zwischen den Gleisen zusitzen. Auf der Selektionsrampe errichtete er einen kleinen Steinaltar undbetete für die Seelen der Ermordeten und der Mörder. Er tat das mit Freundenaus allen möglichen Ländern und Religionen.
Wieder zeigte er Fotos, schwarzweiße diesmal. Das Bild der kleinen,gegen den Raureif vermummten Gruppe auf den Gleisen von Auschwitz erinnertemich an eine Aktion deutscher Castor-Gegner, und meine Reaktion kamzuverlässig. Ich sagte nichts, aber ich dachte, das geht nicht. Das istlächerlich und absurd. Dann sah ich den Mönch dasitzen in seinem Versace-Shirtund seiner suchenden Unfertigkeit und musste an die leise surrendeGedenkmaschine daheim denken, deutsche Wertarbeit, in der das Fallgeräuscheines einzigen lockeren Schräubchens zu einem Skandal führen konnte, und ichsah den Mönch und dachte, dass eine einzige lockere Schraube wertvoller ist alsdie ganze perfekte Maschine und ein einziger Suchender mehr wert als volleeintausend Gedenkingenieure, dann sah ich wieder seine dilettantischen Fotosund dachte, was der Abt in der Novemberkälte von Auschwitz tut und knipst, istverrückt. Ein Moslem, er blies ein jüdisches Instrument, die Shofar, und ein Rabbiner,der die Umstehenden bat, je ein Wiegenlied ihrer Nation zu singen, und es warklar, den anwesenden Deutschen stockte jetzt der Atem. Erst ganz zuletztstimmte eine deutsche Nonne tibetischer Konfession doch noch ein Kinderlied an:«Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Nelken bedeckt, schlupf unterdie Deck, morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.» Wielächerlich. Wie irre. Wie tapfer. Wer sucht, macht sich immer lächerlich vorder Welt. Das etwas zu laute Lachen des Bürgers über den Mystiker ist wie dasKichern kleiner Kinder, wenn die Großen von Sex reden. Aufgeregt,ahnungsbang.
Der Abt bot mir an, eine Weile im Kloster zu wohnen, ich dankteund lehnte ab. Plötzlich sprang er auf, es war sechs Uhr abends, die Brüdersangen schon. Bevor er verschwand, rief er mir noch schnell zu, wie er das WortKontemplation herleitete: «Contemplatio bedeutet eigentlich ertrinken.»
© 2003 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Wolfgang Büscher
- 2004, 14. Aufl., 240 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 349923677X
- ISBN-13: 9783499236778
- Erscheinungsdatum: 01.07.2004
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