Buick Rivera
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Buick Riveravon MiljenkoJergović
LESEPROBE
»Ich habeein großes Problem.«
»Sagen SieIhre Adresse.«
»Ich mussdringend...«
»Erst dieAdresse.«
»Zedernberg8.«
»Wollen SieRaub, Körperverletzung, sexuelle Belästigung oder etwas Drittes melden?«
»EtwasDrittes.«
»Warten Siedrei Sekunden, fangen Sie dann an zu reden.«
Hasanwartete fünf Sekunden, dann fragte die Stimme auf der anderen Seite, hörbarverärgert: »Sind Sie noch da?«
»Ja.«
»Warumsagen Sie nichts?«
»Ich wusstenicht, dass die drei Sekunden schon um sind, nach meiner Zählung waren es erstzwei.«
»RedenSie.«
»Ich mussdringend zu meiner Verlobten nach Salem. Wissen Sie, sie ist krank.«
»Rufen Sieden Notarzt.«
»Nein,nicht so krank... Ich muss zu ihr, aber die Batterie von meinem Auto ist leer.«
»Das gibtes noch? Nun gut, was erwarten Sie von der Polizei?«
»Dassjemand mit einem Auto kommt und mir Starthilfe gibt.«
»Wie meinenSie das?«
»Manverbindet die beiden Batterien mit Kabeln...«
»Ach so.«
»Wäre dasmöglich?«
»Bestimmt.«
Er wussteselbst nicht, warum er Angela als seine Verlobte bezeichnet und ihr noch dazueine Krankheit angedichtet hatte. Wahrscheinlich saß es zu tief in ihm drin,dass sich Lügen und fantasievolle Ausschmückungen gegenüber der Polizei undanderen Staatsdienern immer bewährten, obwohl er eigentlich längst gelernthatte, dass für derartige Verhaltensweisen in Amerika keine Veranlassungbestand. Etwas funktionierte entweder oder nicht.
Die Polizeischickte ihren Mechaniker, einen Bodybuilding-Typ mit Nickelbrille, dieIdealbesetzung für die Rolle eines Nazi-Arztes in einem KZ-Film. Grußlos, ohneHasan groß zu beachten, wahrscheinlich wütend wegen einer Arbeit, die in seinerStellenbeschreibung nicht vorgesehen war, trat er zum Buick Rivera mit zweiPaar Klemmen und Kabeln, schloss alles fein säuberlich auf beiden Seiten an,wedelte mit der Hand in die Richtung, in der er Hasan vermutete, der sprang insein Auto, drehte den Schlüssel um, und der Motor sprang an. Fünf, sechsSekunden lang saßen beide am Lenkrad und traten aufs Gaspedal, die beiden Autossahen aus, als hätten sie Streit miteinander und würden jeden Momentaufeinander losgehen, dann stieg der Muskelprotz aus dem Caravan aus, löste dieKlemmen, packte die Kabel ein, indem er sie über den Ellbogen aufwickelte, undsagte: »Gute Nacht!« So konnte Hasan genau zwanzig Minuten später als geplantendlich Richtung Salem fahren. Die Nacht war klar wie ein Kristallspiegel,ideal, um in einem gut geheizten Auto allein zu sein, sich mit niemandauseinander setzen zu müssen und die Gedanken schweifen zu lassen, so wie esviele getan haben, die dann einnickten und im Straßengraben landeten.
VukoSalipur war der Einzige, der in dieser Nacht auf der Straße unterwegs war,allerdings in der Gegenrichtung. Mit einem Geländewagen von Mercedes, Eigentumseiner Frau, die er am Nachmittag für immer verlassen hatte, 15000 Dollar inder Tasche und der Absicht, möglichst viele Meilen zwischen sich und Salem zulegen, bevor er das Auto und fünf Jahre seiner Vergangenheit unterwegs voreinem Bahnhof oder Flughafen abstellen würde. Er musste nur überlegen, wohin esgehen sollte, in welche Himmelsrichtung, und es gibt keine bessere Zeit alseine verschneite Nacht und keinen besseren Ort als einen Mercedes, um solcheFragen zu beantworten. Vor dem Krieg hatte Vuko für das BusunternehmenLasta-Beograd auf der Linie Titovo Uzice-Sarajevo als Fahrer gearbeitet, fuhranschließend sechzehn Monate lang einen Panzer T-55, dann gehörte ihm alsKommandant der Cajnice-Abteilung der serbischen Armee ein Jeep, den sie einemBasketballspieler aus Niksic weggenommen hatten. Aber bei den ersten Gerüchten,dass ihn die überlebenden Visegrader Muslime auf einer ihrer Listen führten, umihn in Gorazde und anschließend in Den Haag vor Gericht zu stellen, setzte sichVuko in einen weißen Polizei-Golf, der bei Bajina Baπta die Grenze zuJugoslawien passierte, riss sich unmittelbar nach seiner Ankunft in Belgrad dieUniform vom Leib und stand am nächsten Tag in der Schlange vor deramerikanischen Botschaft.
©Schöffling & Co., Kaiserstraße 79, D-60329 Frankfurt am Main
Übersetzung:Brigitte Döbert
- Autor: Miljenko Jergovic
- 2006, 2. Aufl., 256 Seiten, Maße: 13,7 x 21,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Brigitte Döbert
- Verlag: Schöffling
- ISBN-10: 3895613908
- ISBN-13: 9783895613906
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