Inés meines Herzens
Roman | Von der Autorin des Weltbestsellers »Das Geisterhaus«
Ein großer Roman über eine faszinierende Frau.
Jetzt vorbestellen
versandkostenfrei
Taschenbuch
9.95 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Inés meines Herzens “
Ein großer Roman über eine faszinierende Frau.
Klappentext zu „Inés meines Herzens “
Ungeduld des Herzens treibt Inés Suárez im 16. Jahrhundert aus ihrer spanischen Heimat auf die gefährliche Reise in die kürzlich entdeckte Neue Welt. Sie gelangt nach Peru und begegnet dort Pedro de Valdivia, einem charismatischen Feldherrn aus dem Heer des Francisco Pizarro. In ihm findet sie die Liebe ihres Lebens. Doch Pedros kriegerischer Ehrgeiz und Inés' Wunsch nach einem uneingeschränkten Leben führen das Liebespaar auf getrennte Wege ...Mit viel Hingabe und Einfühlungsvermögen verleiht Isabel Allende in ihrem Weltbestseller der historischen Gestalt der Inés Suárez ein Gesicht und eine Stimme und nimmt ihre Leser mit auf eine packende Reise durch ein bewegtes und bewegendes Leben.
Lese-Probe zu „Inés meines Herzens “
Inés meines Herzens von Isabel Allende LESEPROBE
Im Jahre 1537 nahm ich Abschied von meiner Familie, die ich nicht mehr wiedersehen sollte, und reiste mit meiner Nichte Constanza in das schöne, nach Orangenblüten und Jasmin duftende Sevilla und von dort auf den klaren Wassern des Guadalquivir weiter in die belebte Hafenstadt Cádiz mit ihren engen, gepflasterten Gassen und maurischen Kuppeln. Dort gingen wir an Bord eines behäbigen, aber sicheren Dreimasters, der unter dem Kommando von Kapitän Manuel Martín fuhr. Schwitzende Männer brachten in langer Reihe die Vorräte aufs Schiff: Fässer mit Wasser, Bier, Wein und Öl, Säcke mit Mehl, Trockenfleisch, lebendes Geflügel, eine Kuh und zwei Schweine zum Verzehr während der Reise und daneben etliche Pferde, die in der Neuen Welt gutes Geld einbrachten. Ich hatte ein scharfes Auge darauf, daß mein sicher verschnürtes Gepäck an dem Platz verstaut wurde, den Kapitän Martín mir zugewiesen hatte. In der winzigen Kajüte, die ich mit meiner Nichte teilen sollte, richtete ich als erstes einen Altar für unsere Señora del Socorro ein.
»Es ist sehr mutig, daß Ihr diese Reise unternehmt, Doña Inés. Wo erwartet Euch Euer Mann?« wollte Kapitän Manuel Martín wissen.
»Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht, Kapitän.«
»Wie? Ist er denn nicht in Neugranada?«
»Sein letzter Brief kam aus einem Ort, der Coro genannt wird, in Venezuela, aber seither ist einige Zeit vergangen, und womöglich ist er nicht mehr dort.«
»Die Neuen Indien sind größer als die übrige bekannte Welt. Es wird nicht leicht sein, Euren Mann zu finden.«
»So lange werde ich ihn suchen.«
»Wie wollt Ihr das anstellen,
... mehr
Verehrteste?«
»Indem ich mich durchfrage, was bleibt mir übrig «
»Na, dann, viel Glück. Für mich ist es das erste Mal, daß ich Frauen an Bord habe. Ich möchte Euch und Eure Nichte bitten, daß Ihr Euch in Zurückhaltung übt.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ihr beide seid jung und nicht häßlich anzusehen. Gewiß werdet Ihr erraten, was ich damit sagen will. Nach einer Woche auf hoher See werden die Matrosen sich nach einer Frau sehnen, und da zwei an Bord sind, ist die Versuchung groß. Außerdem glauben die Seeleute, Weibsvolk an Bord locke Stürme und anderes Ungemach an. Zu Eurem Besten und zu meiner Beruhigung wäre es mir lieb, wenn Ihr Euch von meinen Männern fernhieltet.«
Der Kapitän war ein untersetzter, bulliger Galicier mit kurzen Beinen, einer gewaltigen Nase, Nagetieräuglein und ledriger Haut, gegerbt von Salzluft und Sonne. Mit dreizehn hatte er als Schiffsjunge angeheuert, und die Jahre, die er seither an Land verbracht hatte, ließen sich an einer Hand abzählen. Sein rauhes Äußeres deutete in nichts auf seine höflichen Manieren und seine Herzensgüte hin, die sich später erweisen sollte, als er mir in einem Moment größter Bedrängnis beistand.
Es ist ein Jammer, daß ich damals nicht schreiben konnte, denn sicher hätte ich begonnen, mir Notizen zu machen. Zwar ahnte ich nicht, daß mein Leben einer Schilderung wert sein würde, aber diese Reise hätte in allen Einzelheiten festgehalten werden sollen, da erst so wenige Menschen die salzige Weite des Ozeans überquert haben, diese bleiernen Wasser, die von verborgenem Leben brodeln, ein einziger Überfluß und Schrecken, Gischt, Wind und Einsamkeit. In diesem Bericht, der viele Jahre nach den Ereignissen entsteht, möchte ich mich möglichst treu an die Wahrheit halten, doch die Erinnerung folgt stets ihren Launen und mischt Erlebtes mit Ersehntem und Vorgestelltem. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Einbildung ist zart und in meinem Alter schon ohne Belang, da ich allein noch Zeugnis zu geben vermag. Auch ist das Erinnern gefärbt von Eitelkeiten. Der Engel des Todes sitzt wartend auf einem Stuhl neben meinem Schreibpult, und ich bin noch selbstverliebt genug, meine Wangen mit Rouge aufzufrischen, wenn Besuch kommt, und meine Geschichte niederzuschreiben. Was wäre eitler, als das eigene Leben zu erzählen?
Ich hatte nie zuvor das Meer gesehen; ich glaubte, es sei wie ein breiter Fluß, hatte indes nie einen Gedanken daran verschwendet, daß man das gegenüberliegende Ufer nicht sehen konnte. Ich verkniff mir jede Bemerkung darüber, um meine Unwissenheit zu überspielen und auch die Angst, die mich bis auf die Knochen frösteln machte, als das Schiff auf die offene See hinausfuhr und zu schwanken begann.
Wir waren sieben Passagiere, und bis auf Constanza, die einen ehernen Magen besaß, wurden alle seekrank. Ich fühlte mich so elend, daß ich Kapitän Martín am zweiten Tag bat, mich in einem Ruderboot zurück nach Spanien zu schicken. Er lachte dröhnend und nötigte mir eine Pinte Rum auf, die so freundlich war, mich in andere Sphären zu versetzen, und nach dreißig Stunden kam ich, grün im Gesicht und abgezehrt, wieder zu mir und konnte sogar etwas Brühe trinken, die meine reizende Nichte mir mit dem Löffel ein- flößte. Das Festland war außer Sicht und unser Schiff auf dem dunklen Wasser, unter einem grenzenlosen Himmel, von allen guten Geistern verlassen. Ich konnte nicht begreifen, wie der Steuermann mit seinem Astrolabium und den Gestirnen den Weg fand, wo doch nichts ringsum einen Anhaltspunkt bot. Ich dürfe beruhigt sein, versicherte er mir, diese Reise habe er schon oft unternommen und die Route sei Spaniern und Portugiesen, die sie seit Jahrzehnten befuhren, hinlänglich bekannt. Auch seien die Seekarten längst keine gut gehüteten Geheimnisse mehr, selbst die verfluchten Engländer besäßen sie schon. Mit den Karten von der Meerenge des Magellan oder den Küsten des Pazifiks verhielt es sich anders; sie wurden von den Steuerleuten mit dem Leben verteidigt, weil sie kostbarer waren als jeder Schatz der Neuen Welt.
Ich gewöhnte mich nie an das Wogen der Wellen, das Ächzen der Planken, das Knirschen der Eisenbeschläge, das beständige Zerren der Segel im Wind. Nachts tat ich kaum ein Auge zu. Am Tag quälten mich die Enge und vor allem die Blicke wie von geifernden Hunden, mit denen die Männer mir nachstellten. Ich mußte mir einen Platz am Herd erkämpfen, um unser Essen zu kochen, und auch ein wenig Einsamkeit, wenn ich die Latrine benutzte, die nichts war als ein Kabuff mit einem Loch über dem Ozean. Constanza dagegen beklagte sich nie, ja wirkte sogar heiter. Nach einem Monat auf See wurden die Vorräte knapp, und das schon brackige Trinkwasser mußte rationiert werden. Ich schaffte den Hühnerkäfig in unsere Kajüte, weil mir die Eier geklaut wurden, und zweimal am Tag holte ich die Tiere heraus und ließ sie mit einem Strick am Bein übers Deck laufen.
Einmal mußte ich zur Eisenpfanne greifen, um mich eines Matrosen zu erwehren, der aufdringlicher war als alle anderen, ein gewisser Sebastián Romero, den Namen habe ich nicht vergessen, denn ich weiß, daß wir uns im Fegefeuer wiedersehen. In der drangvollen Enge des Schiffs nutzte dieser Mann jede Gelegenheit, gegen mich zu taumeln, und tat immer, als wäre der Seegang daran schuld. Ich sagte ihm wieder und wieder, er solle mich in Ruhe lassen, aber das schien ihn nur anzustacheln. Eines Abends überraschte er mich, als ich allein in der kleinen Kombüse unter der Brücke werkelte. Noch ehe seine Pranke mich zu fassen bekam, spürte ich seinen stinkenden Atem im Nacken, und ohne lange zu fackeln, drehte ich mich um und zog ihm die Eisenpfanne über den Kopf wie Jahre zuvor dem armen Juan de Málaga, als der die Hand gegen mich erhob. Sebastián Romeros Schädel war weniger hart als der von Juan, er ging zu Boden und blieb, alle viere von sich gestreckt, einige Augenblicke benommen liegen, während ich Lappen zusammensuchte, um ihn zu verarzten. Die Blutung war weniger stark, als ich erwartet hätte, aber rasch schwoll sein Gesicht an und bekam eine Farbe wie Auberginen. Ich half ihm auf die Beine, und weil die Wahrheit keinem von uns genehm sein konnte, einigten wir uns darauf, daß er sich an einem Balken gestoßen hatte.
Unter den Passagieren des Schiffs war der Zeichner und Chronist Daniel Belalcázar, den die Krone ausgesandt hatte, um Karten zu zeichnen und Zeugnis von seinen Beobachtungen zu geben. Er war ein Mann in den Dreißigern, schlank und sehnig, hatte ein kantiges Gesicht und die olivenölfarbene Haut eines Andalusiers. Das Haar trug er im Nacken zu einem kurzen Zopf gefaßt, an seinem linken Ohr funkelte ein goldener Ring, und er trabte, um sich zu ertüchtigen, stundenlang vom Bug zum Heck und wieder zurück. Nur einmal hatte sich jemand von der Mannschaft über ihn lustig gemacht, Belalcázar hatte ihn mit einem Fausthieb auf die Nase niedergestreckt und wurde fortan nicht mehr belästigt. Er hatte früh zu reisen begonnen, kannte die entlegenen Küsten Afrikas und Asiens und erzählte uns, er sei einmal in die Gefangenschaft des gefürchteten osmanischen Korsaren Barbarossa geraten und als Sklave nach Algerien verkauft worden, wo er nach vielen Schrecken zwei Jahre später hatte entkommen können. Immer trug er ein dickes, in ein Wachstuch geschlagenes Heft unter dem Arm, in das er mit ameisenkleinen Buchstaben seine Gedanken notierte. Ansonsten zerstreute er sich, indem er die Matrosen bei der Arbeit und vor allem meine Nichte zeichnete. In Vorbereitung auf das Kloster kleidete sich Constanza wie eine Novizin, hatte sich aus grobem Stoff ein Habit genäht und ein Dreieckstuch, das ihren Kopf bis in die Mitte der Stirn bedeckte, keine Strähne ihres Haars sehen ließ und unter dem Kinn festgesteckt wurde. Allerdings verbarg dieser scheußliche Aufzug weder ihre stolze Haltung noch ihre schwarzen, wie Oliven schimmernden Augen. Erst erreichte Belalcázar, daß sie ihm Modell saß, dann, daß sie diesen Lappen vom Kopf nahm, und schließlich, daß sie den Altweiberknoten im Nacken löste und der Brise erlaubte, ihre schwarzen Locken zu zerwühlen. Was die offiziellen, durch Siegel bestätigten Dokumente auch immer über den makellosen Stammbaum unserer Familie sagen mögen, ich vermute, in unseren Adern fließt nicht wenig sarazenisches Blut. Ohne das Nonnengewand glich Constanza einer Odaliske, als wäre sie einer osmanischen Tapisserie entsprungen.
Es kam der Tag, als allen der Magen knurrte. Da entsann ich mich der Empanadas und überredete den Schiffskoch, einen Schwarzen aus Nordafrika, dessen Gesicht mit Narben verziert war, daß er mir Mehl abtrat, Fett und etwas Trockenfleisch, das ich vor dem Kochen in Meerwasser einweichte. Aus meinen eigenen Vorräten steuerte ich Oliven bei, dazu Rosinen und einige gekochte Eier, die ich sehr fein hackte, damit sie einen kleinen Haufen ergaben, und mischte Kreuzkümmel darunter, ein billiges Gewürz, das dem Gekochten eine eigene Note verleiht. Ich hätte viel für ein paar Zwiebeln gegeben, von denen, die in Plasencia immer überreichlich vorhanden gewesen waren, aber im Lagerraum fand sich keine einzige mehr. Ich kochte die Füllung, walkte den Teig und buk die Empanadas in der Pfanne, weil es keinen Ofen gab. Die Mannschaft war so begeistert davon, daß alle von nun an etwas von ihrem Proviant für die Füllung beitrugen. Ich buk Empanadas mit Linsen, mit Kichererbsen, Fisch, Hühnerfleisch, Hartwurst, Käse, Tinten- fisch und Haifischfleisch und gewann mir das Ansehen von Mannschaft und Passagieren. Ihre Hochachtung gewann ich nach einem Sturm, als ich die Verletzten versorgte und die gebrochenen Knochen von zwei Matrosen richtete, wie ich es im Hospital von Plasencia von den Nonnen gelernt hatte. Der Sturm war der einzige ernsthafte Zwischenfall auf unserer Reise, sieht man davon ab, daß wir nur knapp einem französischen Kaperschiff entgingen, das Jagd auf spanische Schiffe machte. Hätte es uns eingeholt, uns wäre ein übles Ende sicher gewesen, wie Kapitän Manuel Martín sagte, denn die Kaperfahrer waren gut bewaffnet. Als uns klar wurde, in welcher Gefahr wir schwebten, fielen meine Nichte und ich vor der Statue unserer Señora del Socorro auf die Knie und flehten sie an, uns zu retten, und sie wirkte ein Wunder und schickte einen so dichten Nebel, daß die Franzosen uns aus dem Blick verloren. Daniel Belalcázar behauptete später, die Nebelbank sei schon dagewesen, ehe wir zu beten begannen; der Steuermann habe nur Kurs auf sie halten müssen.
Dieser Belalcázar war ein Mann von schwachem Glauben, aber er konnte sehr geistreich sein. Abends unterhielt er uns mit Geschichten von seinen Reisen und davon, was wir in der Neuen Welt zu sehen bekämen. »Keine Zyklopen, Riesen, Menschen mit vier Armen und Hundeköpfen, aber gewiß werdet Ihr rohen und bösartigen Gestalten begegnen, vor allem unter den Spaniern«, spottete er. Er behauptete, die Bewohner der Neuen Welt seien nicht allesamt Wilde; Azteken, Mayas und Inkas seien gesitteter als wir, zumindest würden sie sich waschen und wären nicht von Kopf bis Fuß verlaust.
»Gier, nichts als Gier«, sagte er. »Mit dem Tag, als wir Spanier die Neue Welt betraten, war es um die Sitten dieser Völker geschehen. Erst nahmen sie uns freundlich auf. Ihre Neugier siegte über die Vorsicht. Als sie sahen, daß diesen bärtigen Fremden, die aus dem Meer gekommen waren, das Gold gefiel, dieses weiche, nutzlose Metall, gaben sie es mit vollen Händen her. Aber bald kränkte sie unsere Unersättlichkeit und unsere grausame Überhebung. Wie denn auch nicht! Unsere Soldaten schänden ihre Frauen, brechen in ihre Häuser ein, nehmen sich ungefragt, was ihnen beliebt, und wer es wagt, ihnen in den Weg zu treten, wird von einer Klinge durchbohrt. Wir behaupten, das Land, das wir eben erst betreten haben, gehöre einem Monarchen, der jenseits des Meeres lebt, und erwarten von den Eingeborenen, daß sie zwei gekreuzte Hölzer anbeten.«
»Daß das nur ja niemand hört, Herr Belalcázar! Man würde Euch des Verrats am König und der Ketzerei bezichtigen«, mahnte ich ihn.
»Ich sage nur, wie es ist. Ihr werdet es selbst sehen, die Konquistadoren kennen keine Scham: Sie kommen an wie Bettler, führen sich auf wie Diebe und halten sich für hohe Herren.«
Diese drei Monate der Überfahrt waren lang wie drei Jahre, doch gaben sie mir einen Vorgeschmack auf die Freiheit. Keine Verwandten - die schüchterne Constanza zählte nicht -, keine Nachbarn oder Priester, die mich überwacht hätten; ich war niemandem Rechenschaft schuldig.
Ich entledigte mich der schwarzen Witwenkleider und des Leibchens, das mein Fleisch einschnürte. Daniel Belalcázar wiederum überredete Constanza, ihr Nonnengewand abzulegen und meine Röcke zu tragen.
Die Tage wollten kein Ende nehmen, von den Nächten zu schweigen. Der Schmutz, die Beengtheit, das spärliche und kaum genießbare Essen, der Mißmut der Männer, das alles machte diese Fahrt zu einem Besuch in der Hölle, aber wenigstens blieben wir von Seeschlangen verschont, die das Schiff hätten verschlingen können, von Monstren und Tritonen, von Sirenen, die den Matrosen die Sinne rauben, von den unerlösten Seelen Ertrunkener, von Geisterschiffen und Irrlichtern. Die Mannschaft hatte von diesen und mehr Fährnissen gesprochen, die auf dem Meer lauern, aber Belalcázar versicherte, ihm sei derartiges niemals begegnet.
© Suhrkamp Verlag
Übersetzung: Svenja Becker
»Indem ich mich durchfrage, was bleibt mir übrig «
»Na, dann, viel Glück. Für mich ist es das erste Mal, daß ich Frauen an Bord habe. Ich möchte Euch und Eure Nichte bitten, daß Ihr Euch in Zurückhaltung übt.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ihr beide seid jung und nicht häßlich anzusehen. Gewiß werdet Ihr erraten, was ich damit sagen will. Nach einer Woche auf hoher See werden die Matrosen sich nach einer Frau sehnen, und da zwei an Bord sind, ist die Versuchung groß. Außerdem glauben die Seeleute, Weibsvolk an Bord locke Stürme und anderes Ungemach an. Zu Eurem Besten und zu meiner Beruhigung wäre es mir lieb, wenn Ihr Euch von meinen Männern fernhieltet.«
Der Kapitän war ein untersetzter, bulliger Galicier mit kurzen Beinen, einer gewaltigen Nase, Nagetieräuglein und ledriger Haut, gegerbt von Salzluft und Sonne. Mit dreizehn hatte er als Schiffsjunge angeheuert, und die Jahre, die er seither an Land verbracht hatte, ließen sich an einer Hand abzählen. Sein rauhes Äußeres deutete in nichts auf seine höflichen Manieren und seine Herzensgüte hin, die sich später erweisen sollte, als er mir in einem Moment größter Bedrängnis beistand.
Es ist ein Jammer, daß ich damals nicht schreiben konnte, denn sicher hätte ich begonnen, mir Notizen zu machen. Zwar ahnte ich nicht, daß mein Leben einer Schilderung wert sein würde, aber diese Reise hätte in allen Einzelheiten festgehalten werden sollen, da erst so wenige Menschen die salzige Weite des Ozeans überquert haben, diese bleiernen Wasser, die von verborgenem Leben brodeln, ein einziger Überfluß und Schrecken, Gischt, Wind und Einsamkeit. In diesem Bericht, der viele Jahre nach den Ereignissen entsteht, möchte ich mich möglichst treu an die Wahrheit halten, doch die Erinnerung folgt stets ihren Launen und mischt Erlebtes mit Ersehntem und Vorgestelltem. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Einbildung ist zart und in meinem Alter schon ohne Belang, da ich allein noch Zeugnis zu geben vermag. Auch ist das Erinnern gefärbt von Eitelkeiten. Der Engel des Todes sitzt wartend auf einem Stuhl neben meinem Schreibpult, und ich bin noch selbstverliebt genug, meine Wangen mit Rouge aufzufrischen, wenn Besuch kommt, und meine Geschichte niederzuschreiben. Was wäre eitler, als das eigene Leben zu erzählen?
Ich hatte nie zuvor das Meer gesehen; ich glaubte, es sei wie ein breiter Fluß, hatte indes nie einen Gedanken daran verschwendet, daß man das gegenüberliegende Ufer nicht sehen konnte. Ich verkniff mir jede Bemerkung darüber, um meine Unwissenheit zu überspielen und auch die Angst, die mich bis auf die Knochen frösteln machte, als das Schiff auf die offene See hinausfuhr und zu schwanken begann.
Wir waren sieben Passagiere, und bis auf Constanza, die einen ehernen Magen besaß, wurden alle seekrank. Ich fühlte mich so elend, daß ich Kapitän Martín am zweiten Tag bat, mich in einem Ruderboot zurück nach Spanien zu schicken. Er lachte dröhnend und nötigte mir eine Pinte Rum auf, die so freundlich war, mich in andere Sphären zu versetzen, und nach dreißig Stunden kam ich, grün im Gesicht und abgezehrt, wieder zu mir und konnte sogar etwas Brühe trinken, die meine reizende Nichte mir mit dem Löffel ein- flößte. Das Festland war außer Sicht und unser Schiff auf dem dunklen Wasser, unter einem grenzenlosen Himmel, von allen guten Geistern verlassen. Ich konnte nicht begreifen, wie der Steuermann mit seinem Astrolabium und den Gestirnen den Weg fand, wo doch nichts ringsum einen Anhaltspunkt bot. Ich dürfe beruhigt sein, versicherte er mir, diese Reise habe er schon oft unternommen und die Route sei Spaniern und Portugiesen, die sie seit Jahrzehnten befuhren, hinlänglich bekannt. Auch seien die Seekarten längst keine gut gehüteten Geheimnisse mehr, selbst die verfluchten Engländer besäßen sie schon. Mit den Karten von der Meerenge des Magellan oder den Küsten des Pazifiks verhielt es sich anders; sie wurden von den Steuerleuten mit dem Leben verteidigt, weil sie kostbarer waren als jeder Schatz der Neuen Welt.
Ich gewöhnte mich nie an das Wogen der Wellen, das Ächzen der Planken, das Knirschen der Eisenbeschläge, das beständige Zerren der Segel im Wind. Nachts tat ich kaum ein Auge zu. Am Tag quälten mich die Enge und vor allem die Blicke wie von geifernden Hunden, mit denen die Männer mir nachstellten. Ich mußte mir einen Platz am Herd erkämpfen, um unser Essen zu kochen, und auch ein wenig Einsamkeit, wenn ich die Latrine benutzte, die nichts war als ein Kabuff mit einem Loch über dem Ozean. Constanza dagegen beklagte sich nie, ja wirkte sogar heiter. Nach einem Monat auf See wurden die Vorräte knapp, und das schon brackige Trinkwasser mußte rationiert werden. Ich schaffte den Hühnerkäfig in unsere Kajüte, weil mir die Eier geklaut wurden, und zweimal am Tag holte ich die Tiere heraus und ließ sie mit einem Strick am Bein übers Deck laufen.
Einmal mußte ich zur Eisenpfanne greifen, um mich eines Matrosen zu erwehren, der aufdringlicher war als alle anderen, ein gewisser Sebastián Romero, den Namen habe ich nicht vergessen, denn ich weiß, daß wir uns im Fegefeuer wiedersehen. In der drangvollen Enge des Schiffs nutzte dieser Mann jede Gelegenheit, gegen mich zu taumeln, und tat immer, als wäre der Seegang daran schuld. Ich sagte ihm wieder und wieder, er solle mich in Ruhe lassen, aber das schien ihn nur anzustacheln. Eines Abends überraschte er mich, als ich allein in der kleinen Kombüse unter der Brücke werkelte. Noch ehe seine Pranke mich zu fassen bekam, spürte ich seinen stinkenden Atem im Nacken, und ohne lange zu fackeln, drehte ich mich um und zog ihm die Eisenpfanne über den Kopf wie Jahre zuvor dem armen Juan de Málaga, als der die Hand gegen mich erhob. Sebastián Romeros Schädel war weniger hart als der von Juan, er ging zu Boden und blieb, alle viere von sich gestreckt, einige Augenblicke benommen liegen, während ich Lappen zusammensuchte, um ihn zu verarzten. Die Blutung war weniger stark, als ich erwartet hätte, aber rasch schwoll sein Gesicht an und bekam eine Farbe wie Auberginen. Ich half ihm auf die Beine, und weil die Wahrheit keinem von uns genehm sein konnte, einigten wir uns darauf, daß er sich an einem Balken gestoßen hatte.
Unter den Passagieren des Schiffs war der Zeichner und Chronist Daniel Belalcázar, den die Krone ausgesandt hatte, um Karten zu zeichnen und Zeugnis von seinen Beobachtungen zu geben. Er war ein Mann in den Dreißigern, schlank und sehnig, hatte ein kantiges Gesicht und die olivenölfarbene Haut eines Andalusiers. Das Haar trug er im Nacken zu einem kurzen Zopf gefaßt, an seinem linken Ohr funkelte ein goldener Ring, und er trabte, um sich zu ertüchtigen, stundenlang vom Bug zum Heck und wieder zurück. Nur einmal hatte sich jemand von der Mannschaft über ihn lustig gemacht, Belalcázar hatte ihn mit einem Fausthieb auf die Nase niedergestreckt und wurde fortan nicht mehr belästigt. Er hatte früh zu reisen begonnen, kannte die entlegenen Küsten Afrikas und Asiens und erzählte uns, er sei einmal in die Gefangenschaft des gefürchteten osmanischen Korsaren Barbarossa geraten und als Sklave nach Algerien verkauft worden, wo er nach vielen Schrecken zwei Jahre später hatte entkommen können. Immer trug er ein dickes, in ein Wachstuch geschlagenes Heft unter dem Arm, in das er mit ameisenkleinen Buchstaben seine Gedanken notierte. Ansonsten zerstreute er sich, indem er die Matrosen bei der Arbeit und vor allem meine Nichte zeichnete. In Vorbereitung auf das Kloster kleidete sich Constanza wie eine Novizin, hatte sich aus grobem Stoff ein Habit genäht und ein Dreieckstuch, das ihren Kopf bis in die Mitte der Stirn bedeckte, keine Strähne ihres Haars sehen ließ und unter dem Kinn festgesteckt wurde. Allerdings verbarg dieser scheußliche Aufzug weder ihre stolze Haltung noch ihre schwarzen, wie Oliven schimmernden Augen. Erst erreichte Belalcázar, daß sie ihm Modell saß, dann, daß sie diesen Lappen vom Kopf nahm, und schließlich, daß sie den Altweiberknoten im Nacken löste und der Brise erlaubte, ihre schwarzen Locken zu zerwühlen. Was die offiziellen, durch Siegel bestätigten Dokumente auch immer über den makellosen Stammbaum unserer Familie sagen mögen, ich vermute, in unseren Adern fließt nicht wenig sarazenisches Blut. Ohne das Nonnengewand glich Constanza einer Odaliske, als wäre sie einer osmanischen Tapisserie entsprungen.
Es kam der Tag, als allen der Magen knurrte. Da entsann ich mich der Empanadas und überredete den Schiffskoch, einen Schwarzen aus Nordafrika, dessen Gesicht mit Narben verziert war, daß er mir Mehl abtrat, Fett und etwas Trockenfleisch, das ich vor dem Kochen in Meerwasser einweichte. Aus meinen eigenen Vorräten steuerte ich Oliven bei, dazu Rosinen und einige gekochte Eier, die ich sehr fein hackte, damit sie einen kleinen Haufen ergaben, und mischte Kreuzkümmel darunter, ein billiges Gewürz, das dem Gekochten eine eigene Note verleiht. Ich hätte viel für ein paar Zwiebeln gegeben, von denen, die in Plasencia immer überreichlich vorhanden gewesen waren, aber im Lagerraum fand sich keine einzige mehr. Ich kochte die Füllung, walkte den Teig und buk die Empanadas in der Pfanne, weil es keinen Ofen gab. Die Mannschaft war so begeistert davon, daß alle von nun an etwas von ihrem Proviant für die Füllung beitrugen. Ich buk Empanadas mit Linsen, mit Kichererbsen, Fisch, Hühnerfleisch, Hartwurst, Käse, Tinten- fisch und Haifischfleisch und gewann mir das Ansehen von Mannschaft und Passagieren. Ihre Hochachtung gewann ich nach einem Sturm, als ich die Verletzten versorgte und die gebrochenen Knochen von zwei Matrosen richtete, wie ich es im Hospital von Plasencia von den Nonnen gelernt hatte. Der Sturm war der einzige ernsthafte Zwischenfall auf unserer Reise, sieht man davon ab, daß wir nur knapp einem französischen Kaperschiff entgingen, das Jagd auf spanische Schiffe machte. Hätte es uns eingeholt, uns wäre ein übles Ende sicher gewesen, wie Kapitän Manuel Martín sagte, denn die Kaperfahrer waren gut bewaffnet. Als uns klar wurde, in welcher Gefahr wir schwebten, fielen meine Nichte und ich vor der Statue unserer Señora del Socorro auf die Knie und flehten sie an, uns zu retten, und sie wirkte ein Wunder und schickte einen so dichten Nebel, daß die Franzosen uns aus dem Blick verloren. Daniel Belalcázar behauptete später, die Nebelbank sei schon dagewesen, ehe wir zu beten begannen; der Steuermann habe nur Kurs auf sie halten müssen.
Dieser Belalcázar war ein Mann von schwachem Glauben, aber er konnte sehr geistreich sein. Abends unterhielt er uns mit Geschichten von seinen Reisen und davon, was wir in der Neuen Welt zu sehen bekämen. »Keine Zyklopen, Riesen, Menschen mit vier Armen und Hundeköpfen, aber gewiß werdet Ihr rohen und bösartigen Gestalten begegnen, vor allem unter den Spaniern«, spottete er. Er behauptete, die Bewohner der Neuen Welt seien nicht allesamt Wilde; Azteken, Mayas und Inkas seien gesitteter als wir, zumindest würden sie sich waschen und wären nicht von Kopf bis Fuß verlaust.
»Gier, nichts als Gier«, sagte er. »Mit dem Tag, als wir Spanier die Neue Welt betraten, war es um die Sitten dieser Völker geschehen. Erst nahmen sie uns freundlich auf. Ihre Neugier siegte über die Vorsicht. Als sie sahen, daß diesen bärtigen Fremden, die aus dem Meer gekommen waren, das Gold gefiel, dieses weiche, nutzlose Metall, gaben sie es mit vollen Händen her. Aber bald kränkte sie unsere Unersättlichkeit und unsere grausame Überhebung. Wie denn auch nicht! Unsere Soldaten schänden ihre Frauen, brechen in ihre Häuser ein, nehmen sich ungefragt, was ihnen beliebt, und wer es wagt, ihnen in den Weg zu treten, wird von einer Klinge durchbohrt. Wir behaupten, das Land, das wir eben erst betreten haben, gehöre einem Monarchen, der jenseits des Meeres lebt, und erwarten von den Eingeborenen, daß sie zwei gekreuzte Hölzer anbeten.«
»Daß das nur ja niemand hört, Herr Belalcázar! Man würde Euch des Verrats am König und der Ketzerei bezichtigen«, mahnte ich ihn.
»Ich sage nur, wie es ist. Ihr werdet es selbst sehen, die Konquistadoren kennen keine Scham: Sie kommen an wie Bettler, führen sich auf wie Diebe und halten sich für hohe Herren.«
Diese drei Monate der Überfahrt waren lang wie drei Jahre, doch gaben sie mir einen Vorgeschmack auf die Freiheit. Keine Verwandten - die schüchterne Constanza zählte nicht -, keine Nachbarn oder Priester, die mich überwacht hätten; ich war niemandem Rechenschaft schuldig.
Ich entledigte mich der schwarzen Witwenkleider und des Leibchens, das mein Fleisch einschnürte. Daniel Belalcázar wiederum überredete Constanza, ihr Nonnengewand abzulegen und meine Röcke zu tragen.
Die Tage wollten kein Ende nehmen, von den Nächten zu schweigen. Der Schmutz, die Beengtheit, das spärliche und kaum genießbare Essen, der Mißmut der Männer, das alles machte diese Fahrt zu einem Besuch in der Hölle, aber wenigstens blieben wir von Seeschlangen verschont, die das Schiff hätten verschlingen können, von Monstren und Tritonen, von Sirenen, die den Matrosen die Sinne rauben, von den unerlösten Seelen Ertrunkener, von Geisterschiffen und Irrlichtern. Die Mannschaft hatte von diesen und mehr Fährnissen gesprochen, die auf dem Meer lauern, aber Belalcázar versicherte, ihm sei derartiges niemals begegnet.
© Suhrkamp Verlag
Übersetzung: Svenja Becker
... weniger
Autoren-Porträt von Isabel Allende
Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie - und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt - für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen. Becker, SvenjaSvenja Becker, geboren 1967 in Kusel (Pfalz), studierte Spanische Sprach- und Literaturwissenschaft. Sie lebt als Übersetzerin (u. a. Allende, Guelfenbein, Onetti) in Saarbrücken.
Bibliographische Angaben
- Autor: Isabel Allende
- 2011, 394 Seiten, Maße: 10,8 x 17,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Svenja Becker
- Verlag: INSEL VERLAG
- ISBN-10: 3458357041
- ISBN-13: 9783458357049
- Erscheinungsdatum: 14.03.2011
Rezension zu „Inés meines Herzens “
»Inés ist eine starke Frau, stärker und selbstbewußter noch als die Heldinnen in anderen Büchern Allendes. ... Isabel Allende schreibt hier ein präzises, ausdruckstarkes, ja, sogar klangvolles Spanisch, dessen Schönheit die Übersetzerin ins Deutsche hinübergerettet hat.«
Pressezitat
» Isabel Allende schreibt hier ein präzises, ausdruckstarkes, ja, sogar klangvolles Spanisch, dessen Schönheit die Übersetzerin ins Deutsche hinübergerettet hat.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar zu "Inés meines Herzens"
0 Gebrauchte Artikel zu „Inés meines Herzens“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Inés meines Herzens".
Kommentar verfassen