Letzte Grüße
Die Einladung zu einer Lesereise durch Amerika kommt für den Schriftsteller Alexander Sowtschick im rechten Augenblick. Sein neuer Roman will nicht recht vorwärts gehen. Seine Ehe mit Marianne dümpelt vor sich hin. Die Beleidigungsklage eines Kollegen,...
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Die Einladung zu einer Lesereise durch Amerika kommt für den Schriftsteller Alexander Sowtschick im rechten Augenblick. Sein neuer Roman will nicht recht vorwärts gehen. Seine Ehe mit Marianne dümpelt vor sich hin. Die Beleidigungsklage eines Kollegen, den Sowtschick "Dünnbrettbohrer" genannt hat, steht ins Haus. Und auch der bevorstehende 70. Geburtstag löst zwiespältige Gefühle aus.
Also macht sich der distinguierte ältere Herr mit Goldrandbrille auf in die Neue Welt. 37 Stationen sind zu absolvieren, vom aufregenden New York über die frömmelnd-puritanischen Universitäten an der Ostküste bis in den kanadischen Norden. Sowtschick liest vor beflissenen Kulturträgern und gelangweilten Studenten, vor unbefriedigten Archivarinnen und ältlichen Professorengattinnen.
Doch seine Bücher sind weniger präsent, als er erhoffte, und die Vorurteile seiner Gastgeber gegenüber den Deutschen findet er verstörend. Selbst die kleinen erotischen Abenteuer erweisen sich als nicht wirklich erregend. Über allem liegt die Melancholie des Abschieds, gepaart mit der illusionslosen Ironie eines Unzeitgemäßen. Die junge Generation hat ihn längst überholt. Doch wer dem Ende wirklich näher ist, bleibt offen.
Walter Kempowski gilt als der ''große Erzähler des deutschen Kleinbürgertums.''FAZ
Der Schriftsteller Alexander Sowtschick steckt in ziemlichen Nöten. Er hat einen Kollegen beschimpft und demzufolge eine Beleidigungsklage am Hals. Der Roman, an dem er seit Monaten schreibt, will keine Form annehmen, dabei hat er doch von seinem Verleger einen gewaltigen Vorschuss bekommen. Auch seine Ehe verläuft ein wenig langweilig. Da kommt die Einladung von einem deutsch-amerikanischen Institut gerade recht: die Staaten bereisen, Lesungen abhalten vor einem interessierten Publikum. Doch dort angekommen, scheint alles schief zu laufen. Und in jedem Institut, das er besucht, wird ihm vorgeschwärmt, wie großartig unlängst der Auftritt seines Kollegen, des Lyrikers Schätzing, gewesen sei ...
Ausgezeichnet mit zahlreichen renommierten Preisen zählt Kempowski zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren.
Letzte Grüße von Walter Kempowski
LESEPROBE
«DeutscheWochen?» - Alexander hatte die Einladung spontan absagen wollen: vier WochenAmerika? Aus allem herausgerissen werden, nicht mehr im Büchergang auf- undabschreiten, nicht im Garten den Frauen zusehen, wie sie sich über das Unkrautbücken; Harke und Hacke sind an die weiße Mauer gelehnt? Die rosa aufdämmerndenTage, die dunkelroten Sonnenuntergänge, die Silhouetten der Bäume vor dengefärbten Wolken - ausgreifend und verzweigt Einen Acht-Stunden-Flug ertragenüber nachtdunklem Meer, eingeklemmt zwischen Rauchern und Tempotuchmenschen,von vorn Gestank in regelmäßigen Anblasungen und von hinten endloses Gerede?Dann: «drüben» von einer Stadt in die andere vagabundieren, beleuchtete Wasserfälle,nachgebaute Einwandererhütten, Bibliotheken, eine wie die andere, schlechteHotels! - Und Tag für Tag Rede und Antwort stehen müssen für Dinge, die mannicht zu verantworten hat? «Leugnen Sie auch den Holocaust?» Vor Leuten, dienoch nie etwas von einem gehört haben, geschweige denn gelesen? «Warumschreiben Sie?» «Welche Position nimmt der Erzähler in Ihrer Prosa ein?» Nein. Andererseits:vier Wochen Amerika? Die täglichen Unannehmlichkeiten des Arbeitstages hintersich lassen, der Roman kommt nicht von der Stelle, und die leidige Sache mitder Beleidigungsklage, «Dünnbrettbohrer», weshalb hatte er auch den an sich so liebenswertenKollegen Mergenthaler aus Aschaffenburg einen Dünnbrettbohrer genannt? VierWochen entrückt zu sein, Gast, immerfort eingeladen zu werden zu Essen undTrinken und zusätzlich pro Lesung noch zweihundertfünfzig Dollar in die Handgedrückt bekommen? Und: auch sonst alles gratis? Wäre es nicht eine Sünde, einsolches Angebot auszuschlagen? Vier Wochen kreuz und quer den neuen Kontinentbereisen? Auf den Klippen des Pazifischen Ozeans sitzen und sich von Schaumumflocken lassen Ausgebreitet schweben über Canyons und riesige Flüsse, dieHighways hinauf-hinuntergleiten durch Wälder und Wüsten, je nachdem? - Und:würde man die Erwartungen des deutschamerikanischen Instituts nicht enttäuschenmit einer Absage? Wer konnte denn wissen, wer sich stark gemacht hatte für ihn:«Ich bin dafür, daß wir endlich mal den Sowtschick hinüberschicken» EineEinladung war ja längst fällig gewesen. Zum Dank für solch warme Fürsprachedann ein Nein! aus Sassenholz wie eine kalte Dusche? Und: Wann käme man da malwieder hin: New York, San Francisco, Boston, Denver - Wo lag eigentlichDenver? Ganze Kompanien deutscher Schriftsteller waren bereits drüben gewesen,Niels Pötting, Hinze aus Mölln, Kargus aus St. Peter - sogar Ellen Butt-Prömse, eine Verfasserin von Pferde- Lyrik,und Udo Scharrenhejm, dessen Mutter aus Spanien stammte und dessen VaterIsländer war. Leute, die man besser hätte zu Hause lassen sollen, statt sie alsBotschafter des Landes nach drüben zu schicken, wo sie dann mit narrativem Kitschaufwarteten und in politischer Hinsicht sonst was erzählten; aller Welt auf dieNerven gingen, also - irgendwie peinlich. «Deutsche Wochen», da hatte man dochals ein deutscher Romancier eine Verantwortung zu tragen. Sämtliche Dichtermännlichen und weiblichen Geschlechts, die vom deutsch-amerikanischen Instituthinübergeschickt wurden, hatten danach ein Buch über ihre Reise veröffentlicht,die Klippen des Pazifischen Ozeans erwähnt und die Highways hinauf-hinunter,die gelben Taxis von New York und das Elend ethnischer Minderheiten. Auch dasböte sich an, die Sache für eine abrundende Publikation auszunutzen. Warum nicht?«Die Menschen da drüben freuen sich auf Sie», stand in dem Brief des Instituts,womit die Null-Komma-null-null-null-Prozent der amerikanischen Bevölkerunggemeint sein mochten, die überhaupt eine Ahnung davon hatten, daß es in Europaauch Schriftsteller gab. Oder einzelne Emigranten und Auswanderer, die ihrealte Heimat ganz anders in Erinnerung hatten, als sie in den neuestenPublikationen aus Frankfurt und München dargestellt wurde. DieBeleidigungsklage - weshalb hatte er sich auch hinreißen lassen, den sensiblenBrockes-Preisträger Fritz-Harry Mergenthaler einen Dünnbrettbohrer zu nennen?Den Gedanken daran würde er mitnehmen müssen hinüber, der war nichtabzuschütteln. Auch das wehe Gefühl in der Brust, das ihm manches Mal zu schaffenmachte, und die gelegentlichen Schwindelanfälle würden ihn begleiten,Anwandlungen, die ihn sogar zwangen, sich an einer Wand festzuhalten? Vielleichtdoch lieber nicht aufbrechen «zu fernen Gestaden», das endlose Fliegen, Fahren,Sitzen, Warten Außerdem: ein Romanmanuskript auf dem Schreibtisch, für dasschon Vorschüsse kassiert worden waren. «Karneval über Lethe», der Roman, derwehmütige Abgesang an sein Publikum: Der Wagen rollt aus und kommt rüttelnd zumStillstand. Es kam nicht recht vom Fleck, das Monstrum Vielleicht würde einelängere Pause das so überaus empfindliche Gebilde für immer zerstören. Abervielleicht würde die Pause der Arbeit ja auch zugute kommen. Abstand gewinnen,und nach der Rückkehr mit frischer Kraft und neuen Ideen das Werk vollenden,das leider schon angekündigt worden war in einer literarischen Wochenzeitung, obwohldoch erst ein paar Seiten vorlagen: Nun konnte man nicht mehr zurück. Für eineAmerikareise sprach der Hinweis, der dann später der Vita würde hinzugefügtwerden können: «1989 im Rahmen der Deutschen Wochen eine zweite ausgedehnteStudienreise nach Amerika Gastdozent an verschiedenen Universitäten» DieEinladung hatte unanständig lange auf sich warten lassen, das war nicht zuleugnen. Also annehmen die Einladung, Luft schöpfen und sich in der Neuen Weltumsehen und - warum nicht, hinterher, wie all die andern es taten -Reiseskizzen veröffentlichen, ganz unangestrengt Aufgesammeltes,Gelegenheitsnotizen und Beobachtungen. «Unruhig in unruhiger Zeit», als Titelgar nicht schlecht. «Highways - Unruhig in unruhiger Zeit»? Oder «Ruhig inunruhiger Zeit»? - Auf alle Fälle «Highways», das war schon mal festzuhalten. Sowtschicknahm sich den Iro-Weltatlas vor, den von 1968, schlug die Seite sechs auf,«Nordamerika und Kanada», und fuhr mit dem Zeigefinger von einer Stadt zurnächsten, in derselben Reihenfolge, wie er die Stationen dann abfahren würde, einenach der andern. Stadt, Land, Fluß, Berge. Die Rocky Mountains hinauf-hinunter- Bären an den Rastplätzen -, auf staubender Piste Kaktuswüsten durchrasen undüber das breite, symphonische Geschlängel der Riesenflüsse hinwegziehen. EineTournee durch fünfundzwanzig Städte: deutsche Kultur verbreiten, wo immer esgewünscht wird: in Washington ein Stehempfang, Lesungen vor deutschen Vereinen.Und im Mittleren Westen im Kreise properer College-Studentinnen Vorträge halten:Auf dem Rasen sitzen sie, die Sportsgeschöpfe, um ihn herum gruppiert, gutgenährt und sauber, den Rock weit um sich gebreitet, und er selbst lehnt aneiner Zeder, in weißem Anzug, mit weißen Schuhen, über seine Bücherhinwegsinnend, die es ihnen nahezubringen gälte. Ein Bändchen Heine-Gedichte gutsichtbar in der Rocktasche stecken haben für alle Fälle, ein Eckchenhervorzupfen das Dings, damits jeder sieht. Heine kann nie schaden. Heine oderTucholsky. Kleist! (...)
© btbVerlag
Walter Kempowski, 1929 in Rostock geboren, wurde 1948 voneinem sowjetischen Militärtribunal wegen angeblicher Wirtschaftsspionage zu 25Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er acht Jahre in Bautzen verbüßte. Nachseiner Entlassung zog er in den Westen und arbeitete jahrelang alsDorfschullehrer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Mit seiner "DeutschenChronik", zu der Romane wie "Tadellöser & Wolff" (1971),"Aus großer Zeit" (1978) und "Herzlich willkommen" (1984)gehören, wurde Kempowski zum Chronisten des deutschen Bürgertums. Seinemonumentale mehrbändige Echolot-Collage etablierte ihn als einen derbedeutendsten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"nennt ihn "eine Ausnahmeerscheinung in der deutschenLiteraturlandschaft", für die "Süddeutsche Zeitung" ist er der"Historiograph des untergegangenen Deutschland". Zuletzt ist von ihm"Das Echolot. Abgesang '45" erschienen. Walter Kempowski lebt undarbeitet in Nartum bei Bremen.
- Autor: Walter Kempowski
- 2005, 429 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442733308
- ISBN-13: 9783442733309
- Erscheinungsdatum: 25.05.2005
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