Party im Blitz
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''Nie sonst hat Canetti seine Leser so dicht an sich herangelassen. Ein grandioses Buch.''
FAZ
Party imBlitz von Elias Canetti
LESEPROBE
Aus England
Ich bin inVerwirrung über England, es war ein ganzes Leben, eingefügt in ein Früher undSpäter und im Grunde ausreichend für alles.
Ich mußnach dem Chaos überlegen, was aus dieser scheinbaren Ordnung zu gewinnen ist.Ach, welche Ordnung. Man war nahe daran zu glauben: eine Ordnung für ewig.Kaum war der Krieg gewonnen, die Siegesfeier, das Feuer auf der Heath, begannder Zerfall. Eine Weile noch hielt man sich in der Ordnung des Krieges. Vieleswar rationiert, man trug es diszipliniert. Murren ist in diesem Lande niegefährlich - so schien es. Es muß einmal gefährlich gewesen sein, als diebiblischen Streitigkeiten ausbrachen, in jenem fernen 17. Jahrhundert. An diese Zeit vermagich noch immer nicht zu glauben. Es kommt mir wie eine sehr aufgeregteGeschichte vor, mit wunderbaren Berichten. Eine Sprache, die noch gar derBibelübersetzung entstammt oder dem großen Drama. Wie dicht war Englanddamals? Schottland war noch Schottland und Irland erst scheinbar erobert. AberEngländer tummelten sich schon auf allen Meeren, plünderten Spanier, führtengegen Holländer Krieg, köpften ein Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegesihren König. Wie hing das zusammen? Wurde dieser Krieg auf die Insel verlagert,kaum war er auf dem Festland endlich beschlossen?
Ich denkean die großen Dichter seit Shakespeare, die noch in dieses 17. Jahrhundert hinüberreichen: ein Ben Jonson,John Donne, Milton, Dryden, und an den jungen Swift. Welche Prosa in der erstenHälfte! Burton, Sir Thomas Browne, John Aubrey, nie werde ich genug von ihnengelesen haben. Bunyan, George Fox. Hobbes, dieser allein schon unermeßlich. Wiekümmerlich Deutschland damit verglichen! Spanien mehr. Frankreich genug, aberdie größte Literatur von allen in diesem Jahrhundert ist die englische.
Sie istauch im nächsten mehr als die aller andern. Im r9. Jahrhundert immer noch. Wasist ihr in diesem Jahrhundert geschehen! Ich hatte in England gelebt, als sein Geist zerfiel.Ich war Zeuge des Ruhmes eines Eliot. Wird man sich je genug dessen schämen?Ein Amerikaner bringt einen Franzosen mit aus Paris, der jung verschwand(Laforgue), träufelt seinen Lebensekel auf ihn, lebt wahrhaftig als Bankangestellter,während er alles Frühere taxiert, verringert, was immer mehr Atem hat als er,läßt sich von seinem verschwenderischen Landsmann, der die Größe und Spannungeines Verrückten hat, beschenken und rückt mit dem Ergebnis heraus: seinerImpotenz, die er dem ganzen Lande mitteilt, ergibt sich jeder Ordnung, die altgenug ist, sucht jeden Elan zu verhindern, ein Wüstling des Nichts, AusläuferHegels, Schänder Dantes (in welche Höllenregion würde ihn dieser sperren?),dünnlippig, kaltherzig, frühalt, Blakes unwürdig wie Goethes und jeder Lava,erkaltet bevor er heiß war, weder Katze noch Vogel noch Kröte, schon gar nichtMaulwurf, gottgehorsam, nach England gesandt (als wäre ich zurück nachSpanien), mit kritischen Spitzen statt Zähnen, von einer mannstollen Fraugequält - seine einzige Entschuldigung -, so sehr gequält, daß ihm die »Blendung«eingegangen wäre, wenn er sich an sie gewagt hätte, einen höflichen Tom inBloomsbury, von der edlen Virginia erlaubt und eingeladen, allen, die ihn zu Recht gerügt haben,entronnen, und schließlich durch einen Preis ausgezeichnet, den nichtVirginia, nicht Pound, nicht Dylan, den niemand, der ihn verdient hätte - außerYeats - bekam.
Von demRuhm dieser erbärmlichen Figur war ich Zeuge. Ich hörte von ihm zuerst - ichkannte nicht seinen Namen -, als ich - in der allerersten Zeit - in Hyde ParkGardens wohnte. Jasper Ridley, ein junger Mann, der Oxford hinter sich hatteund ganz wenige Monate vor Kriegsausbruch der Mann der Cressida Bonham-Carterwurde, nannte ihn freundlich belehrend als den Neuen, den eigentlichen Dichterund machte mir zur »Einführung« seine »Elizabethan Essays« zum Geschenk. WenigeJahre später fiel er blutjung im Krieg und Cressida, seine Witwe blieb miteinem kleinen Sohn von ihm zurück. Diesem freundlichen, eifrigen, offenen,heiteren, schwachen Mann, dem ich das beste Andenken bewahre, verdanke ich denNamen der trockensten Figur des Jahrhunderts, von der ich später, zum Kriegsende,als er sich der Religion seiner Vorfahren zuwandte, um sie für die der Königeaufzugeben, mehr und mehr hörte, so viel, daß beinahe nichts anderes übrigblieb.
An dieserFigur hätte ich erkennen müssen, was mit England geschieht. Aber der Krieg kamdazwischen, in dem England der Welt als letztes sein Bestes gab, den ersten Widerstand gegenden Wahn, der alles zu verschlingen drohte. Man ist diesem Land für vielesdankbar, aus der wahren Geschichte der Menschheit läßt es sich so wenigauslassen wie Florenz und Venedig, Athen und Paris. Aber daß ich in dieserselben Zeit des Krieges das Glück seiner.....empfing, machte mich unempfindlichfür den Geruch der Entkräftung, der von Eliot ausging.
(...)
© 2003 Carl Hanser Verlag, München
- Autor: Elias Canetti
- 2005, 1. Auflage., 256 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596164877
- ISBN-13: 9783596164875
- Erscheinungsdatum: 01.06.2005
Andreas Isenschmid, Neue Züricher Zeitung, 3.8.03
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