Rot ist mein Name
Man schreibt das Jahr 1591, Istanbul ist vom...
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Man schreibt das Jahr 1591, Istanbul ist vom Schnee bedeckt. Ein Toter spricht zu uns aus der Tiefe eines Brunnens. Er kennt seinen Mörder, und er kennt auch die Ursache für den Mord: ein Komplott gegen das gesamte Osmanische Reich, seine Religion, seine Kultur, seine Tradition. Darin verwickelt sind die Miniaturenmaler, die beauftragt sind, für den Sultan zehn Buchblätter zu malen, ein Liebender und der Mörder, der den Leser bis zum Schluß zum Narren hält.
Ein spannender Roman, der, als historischer Krimi verkleidet, immer wieder auch auf die gegenwärtige Spannung zwischen Orient und Okzident verweist.
Rot ist mein Name von Orhan Pamuk
LESEPROBE
Mein Nameist Kara
Meine Ankunft in Istanbul, der Stadt,in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin, hatte jetzt, nachdem ich zwölfJahre fortgewesen war, der eines Schlafwandlers geglichen. Die Heimaterde ruft,sagt man von dem, der dem Tode nahe ist, auch mich hat der Tod gerufen. NurSterben sei hier, dachte ich zuerst, als ich den städtischen Boden betrat, dannbegegnete mir die Liebe. Doch die Liebe war in jenem ersten Augenblick derAnkunft so weit entfernt und vergessen wie meine Erinnerungen an Istanbul.Zwölf Jahre zuvor hatte ich mich in die Tochter meiner Tante verliebt, diedamals noch im Kindesalter gewesen war.
Während ich im Land der Perser durchendlose Steppen, schneebedeckte Gebirge und trostlose Städte reiste, Briefeüberbrachte oder Steuern eintrieb, hatte ich bereits vier Jahre nach meinem Abschiedvon Istanbul bemerkt, wie das Antlitz meiner kindlichen Geliebten in meinemGedächtnis allmählich verblaßte. Ich war verwirrt und versuchte mit größerMühe, mich ihrer Züge zu erinnern, begriff jedoch, daß ein Gesicht, das manniemals mehr betrachtet, langsam in Vergessenheit geraten muß. Im sechstenjener Jahre im Osten, die ich als Schreiber und Reisender im Dienste einiger Paschasverbrachte, wurde mir endgültig klar, daß die Züge, die ich in meiner Phantasiezum Leben erweckte, nicht mehr die meiner Istanbuler Geliebten waren.Desgleichen wußte ich, daß mir im achten Jahr auch die falsche Erinnerung dessechsten Jahres entfallen war und mir mein Gedächtnis wieder etwas ganz anderesvorspielte. Als ich zwölf Jahre später, sechsunddreißig Jahre alt, in meineStadt zurückkehrte, wurde mir schmerzlich bewußt, wie sehr und wie lange schonich das Antlitz meiner Geliebten vergessen hatte.
Viele meiner Freunde, Verwandten undBekannten aus meinem Viertel waren verstorben in diesen zwölf Jahren. Ichsuchte den Friedhof auf, der auf das Goldene Horn hinunterschaut, und sprach Gebetefür meine Mutter und meine Onkel, die während meiner Abwesenheit das Zeitlichegesegnet hatten. Der Geruch schlammiger Erde mischte sich unter meineErinnerungen; an der Umrandung vom Grab meiner Mutter hatte jemand einen Krugzerbrochen, und beim Anblick der Scherben begann ich, warum auch immer, zuweinen. Ich weiß nicht, ob ich um die Toten weinte oder weil ich nach so vielenJahren seltsamerweise noch immer am Beginn meines Lebens stand oder weil ich imGegenteil ahnte, daß ich am Ende meiner Lebensreise angekommen war? Es hattefast unmerklich zu schneien begonnen. Ich war in die vereinzelt umherwirbelndenFlocken eingetaucht und hatte in der Ungewißheit meines Lebens meinen Wegverloren, als ich bemerkte, daß mich ein finster aussehender Hund aus einerfinsteren Ecke des Friedhofes beobachtete. Meine Tränen versiegten, ich wischtemir die Nase. Der schwarze Hund wedelte freundlich mit dem Schwanz, und ichverließ den Friedhof. Danach mietete ich ein Haus, das früher von einem meiner väterlichenVerwandten bewohnt worden war, und ließ mich in dem Viertel nieder. DieHausbesitzerin gemahnte ich an ihren Sohn, der im Krieg von safawidischenSoldaten getötet worden war. Sie würde für mein Wohlergehen sorgen und mir dieMahlzeiten zubereiten.
Ich verließ das Haus, irrte langedurch die Straßen, als sei es nicht Istanbul, sondern eine der Städte Arabiensam anderen Ende der Welt, ein vorübergehender Aufenthaltsort, den ich erkunden wollte.Waren die Straßen enger geworden, oder schien es nur so? An manchen Stellen, wosie zwischen langen Häuserreihen von hüben und drüben eingeklemmt waren, mußteich mich dicht an Türen und Wänden vorbeidrängen, um den Lastpferdenauszuweichen. Waren die Reichen zahlreicher geworden, oder war auch dies nurscheinbar so? Ich sah einen prunkvollen Wagen, wie es ihn weder in Arabien nochim Land der Perser gab, er glich einer stolzen, von Pferden gezogenen Burg.Beim Çemberlitas, der Verbrannten Säule, sah ich in Lumpen gehüllte,dreiste Bettler, die sich unter dem üblen Geruch, der vom Hühnermarktherüberwehte, aneinanderdrängten. Einer war blind, er lächelte und starrte inden fallenden Schnee. Vielleicht wollte ichs nicht wahrhaben, wenn es hieß,früher sei Istanbul ärmer, kleiner und glücklicher gewesen, doch ich wußte es mitdem Herzen. Denn das Haus meiner Geliebten, die ich hier zurückgelassen hatte,stand noch immer an seinem Platz unter Linden und Kastanienbäumen, doch wohntenun jemand anders hier, wie ich an der Tür zu hören bekam. Die Mutter meinerGeliebten, meine Tante, sei gestorben, der Onkel sei mit seiner Tochterverzogen und die Familie habe einiges Unheil ertragen müssen, sagten mir dieneuen Bewohner, ohne zu merken, wie erbarmungslos sie das Herz und dieWunschträume eines anderen Menschen zerbrachen. Jetzt will ich aber nichtweiter darauf eingehen, will nur sagen, daß an den Zweigen der Linde in demalten Garten Eiszäpfchen hingen, so groß wie mein kleiner Finger, und daß derGarten, der an sonnenwarme Sommertage und tiefes Grün erinnerte, den Menschen nunin seiner Trauer, Vernachlässigung und seiner Schneedecke an den Tod denkenließ.
© S. Fischer Verlag
Übersetzung: Ingrid Iren
Autoren-Porträt von Orhan Pamuk
2006erhielt Orhan Pamuk alserster türkischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur. Der Preis istmit umgerechnet knapp 1,1 Millionen Euro dotiert und wird jährlich verliehen.Im Vorjahr hatte den Preis der englische Dramatiker Harold Pintererhalten. Die höchste literarische Auszeichnung der Welt wurde erstmals 1901von der Schwedischen Akademie in Stockholm im Auftrag der Nobel-Stiftungvergeben. In der Begründung wurde Orhan Pamuk gewürdigt als Schriftsteller, "whoin the quest for the melancholicsoul of his native city hasdiscovered new symbols for theclash and interlacing of cultures" (der aufder Suche nach der melancholischen Seele seiner Heimatstadt neue Symbole fürdas Aufeinanderprallen und die Verflechtung der Kulturen gefunden hat).
Am 7. Juni1952 wurde Orhan Pamuk inIstanbul geboren. Zunächst studierte er drei Jahre lang Architektur an derTechnischen Universität in Istanbul. Später schloss er ein Journalismus-Studiuman der Universität Istanbul ab. Im Alter von 22 Jahren begann er mit demSchreiben. Rasch erhielt er Preise für seine ersten Veröffentlichungen. In den80er Jahren erreichte er auch die Aufmerksamkeit des ausländischen Publikums.So schrieb die New York Times: "Im Osten ist ein neuer Stern aufgegangen - dertürkische Schriftsteller Orhan Pamuk."
PamuksWerke sind in über 30 Sprachen erschienen. Aufgrund kritischer Äußerungen zurtürkischen Politik der jüngeren und jüngsten Vergangenheit, etwa in der Kurdenproblematikoder im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern, ist Pamuk in seiner Heimat vielfach angegriffen worden. Ende2005 wurde Orhan Pamukwegen "öffentlicher Herabsetzung des Türkentums" angeklagt, ein Tatbestand, dermit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Der Prozess wurde Anfang 2006eingestellt. Im Herbst 2005 erhielt Orhan Pamuk den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, eineninternational renommierten Preis, den vor Pamuk zumBeispiel Hermann Hesse, Manès Sperber, Max Frisch undSiegfried Lenz erhalten hatten. In der Begründung der Jury hieß es unteranderem: "In seinen Romanen "Die weiße Festung", "Rot ist mein Name" oder "Schnee"verbindet er orientalische Erzähltraditionen mit den Stilelementen derwestlichen Moderne und entwickelt Bilder und Begriffe, die unsere Gesellschaftin einem nicht eng verstandenen Europa gebrauchen wird."
- Autor: Orhan Pamuk
- 2003, 18. Auflage, 560 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ingrid Iren
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596156602
- ISBN-13: 9783596156603
- Erscheinungsdatum: 16.10.2003
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