Therese
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Therese von Arthur Schnitzler
LESEPROBE
Zu der Zeit, da der Oberstleutnant Hubert Fabiani nacherfolgter Pensionierung aus seinem letzten Standort Wien - nicht wie diemeisten seiner Berufs- und Schicksalsgenossen nach Graz, sondern - nachSalzburg übersiedelte, war Therese eben sechzehn Jahre alt geworden. Es war imFrühling, die Fenster des Hauses, in dem die Familie Wohnung nahm, sahen überdie Dächer weg den bayrischen Bergen zu; und Tag für Tag, beim Frühstück schon,pries es der Oberstleutnant vor Frau und Kindern als einen besonderen Glücksfall,daß es ihm in noch rüstigen Jahren, mit kaum sechzig, gegönnt war, erlöst von Dienstespflichten,dem Dunst und der Dumpfheit der Großstadt entronnen, sich nach Herzenslust deinseit Jugendtagen ersehnten Genuß der Natur hingeben zu dürfen. Therese und manchmalauch ihren um drei Jahre älteren Bruder Karl nahm er gern auf kleineFußwanderungen mit; die Mutter blieb daheim, mehr noch als früher ins Lesen vonRomanen verloren, um das Hauswesen wenig bekümmert, was schon in Komorn, Lembergund Wien Anlaß zu manchem Verdruß gegeben, und hatte bald wieder, man wußtenicht wie, zur Kaffeestunde zwei- oder dreimal die Woche einen Kreis vonschwatzenden Weibern um sich versammelt, Frauen oder Witwen von Offizieren undBeamten, die ihr den Klatsch der kleinen Stadt über die Schwelle brachten. DerOberstleutnant, wenn er zufällig daheim war, zog sich dann stets in sein Zimmerzurück, und beim Abendessen ließ er es an hämischen Bemerkungen über dieGesellschaften seiner Gattin nicht fehlen, die diese mit unklaren Anspielungen aufgewisse gesellige Vergnügungen des Gatten in früherer Zeit zu erwidern pflegte.Oft geschah es darin, daß der Oberstleutnant sich stumm erhob und die Wohnungverließ, uni erst in später Nachtstunde mit dumpf über die Treppe hallendenSchritten zurückzukehren. Wenn er gegangen war, pflegte die Mutter zu denKindern in dunkler Weise von den Enttäuschungen zu reden, diezwar keinem Menschen erspart blieben, insbesondere aber vom Dulderlos derFrauen; erzählte wohl auch, beispielsweise, mancherlei aus den Büchern, die sieeben gelesen; doch all das in so verworrener Art, daß man glauben konnte, siemenge den Inhalt verschiedener Romane durcheinander, - und Therese stand nichtan, eine solche Vermutung gelegentlich scherzhaft auszusprechen. Dann schaltdie Mutter sie vorlaut, wandte sich gekränkt dem Sohne zu und streichelte ihmwie zur Belohnung für sein geduldig-gläubiges Zuhören Haar und Wangen, ohne zubemerken, wie er verschlagen zu der in Ungnade gefallenen Schwesterhinüberblinzelte. Therese aber nahm ihre Handarbeit wieder vor oder setzte sichan das immer verstimmte Pianino, um die Studien weiterzutreiben, die sie inLemberg begonnen und in der Großstadt unter der Leitung einer billigenKlavierlehrerin fortgeführt hatte.
Die Spaziergänge mit dem Vater nahmen noch vor Einbruch desHerbstes ein nicht ganz unerwartetes Ende. Schon geraume Zeit hindurch hatteTherese gemerkt, daß der Vater die Wanderungen eigentlich nur fortsetzte, umsich und seine Sehnsucht nicht Lügen zu strafen. Stumm beinahe, jedenfallsohne die Ausrufe des Entzückens, in die die Kinder früher hatten einstimmen müssen,wurde der vorgesetzte Weg zurückgelegt, und erst zu Hause, im Angesicht derGattin, versuchte der Oberstleutnant wie in einem Frage- und Antwortspiel denKindern die einzelnen Momente des eben erledigten Spaziergangs mit verspäteter Begeisterungzurückzurufen. Aber auch das nahm bald ein Ende; der Touristenanzug, den derOberstleutnant seit seiner Pensionierung alltäglich getragen, wurde in denSchrank gehängt, und ein dunkler Straßenanzug trat an seine Stelle.
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© Fischer Verlage
- Autor: Arthur Schnitzler
- 2004, 3. Aufl., 304 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596159172
- ISBN-13: 9783596159178
- Erscheinungsdatum: 01.05.2004
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