Wer zu früh kommt . . .
Roman. Originalausgabe
Weiberheld Jonathan ist verzweifelt: Ihm bleiben nur noch sieben Schuss, das ist medizinisch erwiesen. Vorbei ist es mit der Wollust! Ausgerechnet jetzt bedrängen ihn die Frauen mehr als je zuvor. Und schlimmer noch: Jonathan hat sich gerade zum ersten Mal...
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Produktinformationen zu „Wer zu früh kommt . . . “
Klappentext zu „Wer zu früh kommt . . . “
Weiberheld Jonathan ist verzweifelt: Ihm bleiben nur noch sieben Schuss, das ist medizinisch erwiesen. Vorbei ist es mit der Wollust! Ausgerechnet jetzt bedrängen ihn die Frauen mehr als je zuvor. Und schlimmer noch: Jonathan hat sich gerade zum ersten Mal in seinem Leben richtig verliebt. Was ist, wenn er seiner Traumfrau sein hartes Schicksal gesteht?
Lese-Probe zu „Wer zu früh kommt . . . “
Wer zu früh kommt... von Christoph Treutwein1
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Jonathan Kaiser betrat das Foyer der Privatklinik seines Bruders mit einem kleinen Pfeifen auf den Lippen. Ein wenig Swing, ein wenig Blues. Vom Nacken bohrte sich der Schmerz wie ein langer Dorn abwärts. In Schultern, Ellenbogen und Brust pochte es, die Leber fühlte sich geschwollen an, in der linken Niere zog es leicht. Blinddarm, Leisten und der rechte Hoden brannten, die Muskeln der Oberschenkel zuckten unkontrolliert, und in der rechten Hüfte machte sich ein unaussprechlicher Schmerz breit. Als geübter Hypochonder konnte er sich innerhalb von Sekunden in diesen Zustand versetzen. Er überflog wie immer die überdimensionalen Aktzeichnungen an den Wänden, die von manisch-depressiven Alzheimer-Patienten gemalt worden und inzwischen auf dem Kunstmarkt viel wert waren, und ließ seinen Blick dann zu der Rezeption in fröhlichem Froschgrün wandern, hinter der drei blutjunge Arzthelferinnen auf ihren Computern klimperten. Er wählte die kleine vollbusige Blondine in der Mitte aus, die mit dem Herzmund, und schlenderte so gelassen wie möglich auf sie zu.
Die unterbezahlte Sklavin strahlte ihn an, als wäre die Welt in Ordnung.
»Jonathan Kaiser«, stellte sich Jonathan vor, »ich habe einen Termin bei meinem Bruder.«
»Der Test?«, zwinkerte sie ihm zu.
»Der Test?«, fragte die bildhübsche Asiatin links von ihr voller Mitleid.
»Wir kommen gar nicht nach mit diesen Tests«, stellte die Afrikanerin rechts von ihr bedrückt fest.
»Der Test«, sagte Jonathan tonlos.
Sein Bruder hatte eine fatale Neigung zu exotischen Kindfrauen und zu Hause eine brave fromme Gattin und drei wohlerzogene Kinder. Neid und Bewunderung schossen Jonathan durch den Kopf.
»Ein wenig müssen Sie noch warten«, sagte der Herzmund mit rauchig sächselnder Stimme, »unser Doktor Kaiser hat gerade noch einen Notfall.«
Jonathan spähte auf das kleine Schild an ihrer Brust. »Sie sehen übrigens phantastisch aus, Melanie.«
»Sie können sich setzen«, erwiderte Melanie und deutete nach rechts. »Machen Sie es sich gemütlich. Es wird nicht lange dauern.«
»Solange es auch dauert«, sagte Jonathan, »wie wäre es, wenn wir beide uns bei einem Cappuccino treffen? Die Seele baumeln lassen. Danach wird nichts mehr lange dauern.«
Er musterte Melanie mit den aufreizend gesenkten Augenlidern von Robert de Niro.
Der Herzmund kritzelte seine Handynummer auf einen Rezeptblock, riss das Blatt beherzt ab und schob es ihm hin. »Bis bald.«
In diesem Moment glaubte er an sich wie Schwarzenegger in seiner mittleren Phase. Augenblicklich schwanden seine Schmerzen, und es ging ihm besser denn je. Immerhin sagte man ihm nach, gutaussehend, charmant, witzig, berechnend und zynisch zu sein - kurz: für die Frauenwelt eine schillernde Persönlichkeit. Ein Mischling aus Til Schweiger, Johnny Depp und Michael Ballack, vielleicht eine Nummer kleiner.
Jonathan suchte in den Zeitschriften nach der einzig wichtigen und fand ein Exemplar von Paula aus dem letzten Jahr. Paula - die etwas andere Frauenzeitschrift für Jung und Alt war sein Leben. Er setzte sich, um seine Kolumne zu finden. Da waren sie ja, seine allseits beliebten Tipps für das Sexualleben der Frau: Bei der Reiterstellung hat die Frau die maximale Kontrolle. Wie geritten wird, ist klar: Er liegt rücklings, und sie sitzt auf seinem Gemächt. Das verschafft ihr die Macht über seine Lust und ihm einen irrsinnigen Ausblick.
Du liebe Güte, wie lange war das schon her, dass er das verfasst hatte?
Die Arzthelferin winkte ihm zu. »Es dauert noch«, rief sie, »hoffentlich haben Sie etwas Schönes zum Lesen gefunden?«
»Aber ja«, rief Jonathan zurück, »lesen Sie vielleicht auch die Paula?«
»Sicher«, strahlte Melanie, »Paula ist mein Lebenselexier!«
Wahrheit oder Heuchelei? Egal. Jonathan war hier bekannt, genoss seine Prominenz, nickte zufrieden und las weiter: Tipp für Anfänger: Teasen Sie Ihren Schatz! Geben Sie Tempo und unterbrechen Sie dann abrupt, bis er Sie anfleht, ihn zu erlösen!
Er sah über den oberen Rand der Zeitschrift und studierte die Arzthelferin. Bei den vollen, sinnlichen Lippen konnte man sich als Mann ziemlich sicher sein, von ihr mit ebenso vollen, aber zarten Schamlippen empfangen zu werden.
Er konnte es nicht lassen. War ja auch schließlich sein Beruf, solche Erkenntnisse seiner zu neunzig Prozent weiblichen Leserschaft zu vermitteln. Zudem war er ein Mann der Präzision, ein Rechercheur der alten Schule und dabei fleißig wie eine Biene. Nie würde er unsaubere oder falsche Informationen in die Welt setzen. Schließlich war er geborener Schwabe, auch wenn er in den neuen Bundesländern gelandet war.
Alles, was er tat, war redlich und rein.
Tipp für Fortgeschrittene - hatte er seinerzeit geschrieben -: Statt sich hinzuknien, gehen Sie doch einmal vorsichtig über IHM in die Hocke. Sehr intensiv! Aber geben Sie gut auf ihn Acht - ER ist ein empfindsames Organ!
Besser könnte er es auch heute nicht formulieren! Nun, es ist mein Job, so zu denken, dachte er und pumpte sich sogleich eine gehörige Portion Glück und Potenz in seine Hoden.
Die Arzthelferin zwitscherte ihm zu. »Es ist gleich so weit. Der Doktor wird sich sofort um Sie kümmern.«
Jonathan legte die Zeitschrift weg und wandte sich einem der Zerrspiegel zu, in denen alle Patienten grau, alt und sterbenskrank aussahen. Er betastete seine Nase und seine Ohren. Sie waren in Ordnung, nicht zu kalt und nicht zu heiß. Er betrachtete sein Spiegelbild - immer noch Typ Napoleon, klein und doch so groß -, reckte sich, betastete seine grauen Tränensäcke und rückte mit einem schnellen Griff sein Glied zurecht. Er holte tief Luft und hörte einen gedämpften gregorianischen Chor, der jeden, der hier eintrat, daran erinnern sollte, wie schnell der Mensch wieder zu Asche wird. Musik, die speziell für Arztpraxen und Kliniken produziert wurde.
Die letzten Nächte waren ungewöhnlich anstrengend gewesen. Er dachte an Liliane, mit der er am Abend wieder eine lange Sitzung haben würde. Vor ein paar Stunden hatte sie ihm die Liste ihrer neuesten geheimen Wünsche in die Redaktion gesimst. Liliane, die erste Frau in seinem Leben, mit der er nun schon fast vier Monate lang zusammen war.
Jonathans jüngerer Bruder Michael führte einen schwankenden Drei-Zentner-Gigolo aus seinem Sprechzimmer.
»Das wird schon wieder«, lachte er und stützte das monumentale Bündel Elend kraftvoll bis zur Tür, »kommen Sie dreimal wöchentlich zur inneren Wellness-Körperwäsche, dann fühlen Sie sich spätestens in einem Jahr wie neugeboren.«
Er sah dem Patienten in seinem blütenweißen Ärzteoutfit nach, eilte Jonathan auf leisen Sohlen entgegen und strahlte ihn verdächtig vergnügt an.
»Alter Fettsack«, sagte er.
»Ich?«
»Nein, er.« Michael nickte zur Tür. »Der macht's nicht mehr lange.« Unter Brüdern gab es keine ärztliche Schweigepflicht. »Überall Sollbruchstellen: Halsschlagader, Prostata, Krampfadern ...«
Unwillkürlich wich Jonathan zurück. Sie waren seit jeher kein ideales Brüderpaar. Nur ihr alter Vater, der bei ihnen stets von Fritz und Elmar Wepper, Uli und Dieter Hoeness und Hans-Jochen und Bernhard Vogel zu schwärmen pflegte, sorgte dafür, dass sie sich trafen und dabei die Form wahrten.
Jonathan entschlüpfte der brüderlichen Umschlingung, während er den Atem anhielt, um der herben Mischung aus Rasier- und Mundwasser und Desinfektionsmitteln zu entgehen. Er hasste Männer, die sich innig aneinanderpressten, und hatte so seine Zweifel, ob Kain und Abel das je miteinander versucht hatten.
»Wie geht's uns denn?«, fragte Michael fröhlich und zog Jonathan mit einer schlangenhaft schnellen Bewegung ein Augenlid nach unten. »Du siehst alt aus.«
»Ich bin älter als du. Was ist mit dem Test?«
Vor Wochen waren Jonathan erstmals Gerüchte zu Ohren gekommen, dass die moderne Medizin nun in der Lage war, eine der drängendsten Fragen eines jeden Mannes zu beantworten: Wie viele Orgasmen ihm lebenslang zur Verfügung stehen und - um ihm die mühsame Aufarbeitung der Vergangenheit und komplizierte Rechenaufgaben zu ersparen - wie viele ihm noch verbleiben. Tausende Männer konsultierten seither ihre Ärzte, um ihre Schusszahl testen zu lassen. Die meisten waren offensichtlich zufrieden. Ihre Schüsse reichten bis ins hohe Alter, ob Lehrer, Künstler, Pfarrer, Verbrecher oder Politiker, ganz unabhängig davon, ob sie Gebrauch von ihnen machten oder sie mit ins kühle Grab nahmen.
Bruderherz Michael hatte ihm persönlich eine Mail geschickt:
»Eine Forschergruppe an einer amerikanischen Universität konnte vor einiger Zeit Daten zur Dauer der männlichen Sexualreife und Potenz entwickeln. Dabei wurden an Zellproteine gebundene Testosteronderivate zur Proligenerations-Acceleranz gesetzt. Die Ergebnisse ließen hochsignifikante Aussagen über die Erektions- und Ejakulationsfrequenz zu. Auf dem Boden dieser Untersuchungsergebnisse hat jetzt das biologische Forschungsunternehmen ›Uniscience‹ einen Test entwickelt ... bla bla bla.«
Kurz bevor er die Mail löschen wollte, war sein Blick auf die ungeheure Drohung im letzten Satz gefallen:
»Nach bisherigen Resultaten besteht keinerlei Korrelation zwischen momentaner Potenz und verbleibender Ejakulationszahl.«
Lieber auf Nummer sicher gehen, hatte er gedacht und sich schnell einen Termin geben lassen.
Jonathan Kaiser betrat das Foyer der Privatklinik seines Bruders mit einem kleinen Pfeifen auf den Lippen. Ein wenig Swing, ein wenig Blues. Vom Nacken bohrte sich der Schmerz wie ein langer Dorn abwärts. In Schultern, Ellenbogen und Brust pochte es, die Leber fühlte sich geschwollen an, in der linken Niere zog es leicht. Blinddarm, Leisten und der rechte Hoden brannten, die Muskeln der Oberschenkel zuckten unkontrolliert, und in der rechten Hüfte machte sich ein unaussprechlicher Schmerz breit. Als geübter Hypochonder konnte er sich innerhalb von Sekunden in diesen Zustand versetzen. Er überflog wie immer die überdimensionalen Aktzeichnungen an den Wänden, die von manisch-depressiven Alzheimer-Patienten gemalt worden und inzwischen auf dem Kunstmarkt viel wert waren, und ließ seinen Blick dann zu der Rezeption in fröhlichem Froschgrün wandern, hinter der drei blutjunge Arzthelferinnen auf ihren Computern klimperten. Er wählte die kleine vollbusige Blondine in der Mitte aus, die mit dem Herzmund, und schlenderte so gelassen wie möglich auf sie zu.
Die unterbezahlte Sklavin strahlte ihn an, als wäre die Welt in Ordnung.
»Jonathan Kaiser«, stellte sich Jonathan vor, »ich habe einen Termin bei meinem Bruder.«
»Der Test?«, zwinkerte sie ihm zu.
»Der Test?«, fragte die bildhübsche Asiatin links von ihr voller Mitleid.
»Wir kommen gar nicht nach mit diesen Tests«, stellte die Afrikanerin rechts von ihr bedrückt fest.
»Der Test«, sagte Jonathan tonlos.
Sein Bruder hatte eine fatale Neigung zu exotischen Kindfrauen und zu Hause eine brave fromme Gattin und drei wohlerzogene Kinder. Neid und Bewunderung schossen Jonathan durch den Kopf.
»Ein wenig müssen Sie noch warten«, sagte der Herzmund mit rauchig sächselnder Stimme, »unser Doktor Kaiser hat gerade noch einen Notfall.«
Jonathan spähte auf das kleine Schild an ihrer Brust. »Sie sehen übrigens phantastisch aus, Melanie.«
»Sie können sich setzen«, erwiderte Melanie und deutete nach rechts. »Machen Sie es sich gemütlich. Es wird nicht lange dauern.«
»Solange es auch dauert«, sagte Jonathan, »wie wäre es, wenn wir beide uns bei einem Cappuccino treffen? Die Seele baumeln lassen. Danach wird nichts mehr lange dauern.«
Er musterte Melanie mit den aufreizend gesenkten Augenlidern von Robert de Niro.
Der Herzmund kritzelte seine Handynummer auf einen Rezeptblock, riss das Blatt beherzt ab und schob es ihm hin. »Bis bald.«
In diesem Moment glaubte er an sich wie Schwarzenegger in seiner mittleren Phase. Augenblicklich schwanden seine Schmerzen, und es ging ihm besser denn je. Immerhin sagte man ihm nach, gutaussehend, charmant, witzig, berechnend und zynisch zu sein - kurz: für die Frauenwelt eine schillernde Persönlichkeit. Ein Mischling aus Til Schweiger, Johnny Depp und Michael Ballack, vielleicht eine Nummer kleiner.
Jonathan suchte in den Zeitschriften nach der einzig wichtigen und fand ein Exemplar von Paula aus dem letzten Jahr. Paula - die etwas andere Frauenzeitschrift für Jung und Alt war sein Leben. Er setzte sich, um seine Kolumne zu finden. Da waren sie ja, seine allseits beliebten Tipps für das Sexualleben der Frau: Bei der Reiterstellung hat die Frau die maximale Kontrolle. Wie geritten wird, ist klar: Er liegt rücklings, und sie sitzt auf seinem Gemächt. Das verschafft ihr die Macht über seine Lust und ihm einen irrsinnigen Ausblick.
Du liebe Güte, wie lange war das schon her, dass er das verfasst hatte?
Die Arzthelferin winkte ihm zu. »Es dauert noch«, rief sie, »hoffentlich haben Sie etwas Schönes zum Lesen gefunden?«
»Aber ja«, rief Jonathan zurück, »lesen Sie vielleicht auch die Paula?«
»Sicher«, strahlte Melanie, »Paula ist mein Lebenselexier!«
Wahrheit oder Heuchelei? Egal. Jonathan war hier bekannt, genoss seine Prominenz, nickte zufrieden und las weiter: Tipp für Anfänger: Teasen Sie Ihren Schatz! Geben Sie Tempo und unterbrechen Sie dann abrupt, bis er Sie anfleht, ihn zu erlösen!
Er sah über den oberen Rand der Zeitschrift und studierte die Arzthelferin. Bei den vollen, sinnlichen Lippen konnte man sich als Mann ziemlich sicher sein, von ihr mit ebenso vollen, aber zarten Schamlippen empfangen zu werden.
Er konnte es nicht lassen. War ja auch schließlich sein Beruf, solche Erkenntnisse seiner zu neunzig Prozent weiblichen Leserschaft zu vermitteln. Zudem war er ein Mann der Präzision, ein Rechercheur der alten Schule und dabei fleißig wie eine Biene. Nie würde er unsaubere oder falsche Informationen in die Welt setzen. Schließlich war er geborener Schwabe, auch wenn er in den neuen Bundesländern gelandet war.
Alles, was er tat, war redlich und rein.
Tipp für Fortgeschrittene - hatte er seinerzeit geschrieben -: Statt sich hinzuknien, gehen Sie doch einmal vorsichtig über IHM in die Hocke. Sehr intensiv! Aber geben Sie gut auf ihn Acht - ER ist ein empfindsames Organ!
Besser könnte er es auch heute nicht formulieren! Nun, es ist mein Job, so zu denken, dachte er und pumpte sich sogleich eine gehörige Portion Glück und Potenz in seine Hoden.
Die Arzthelferin zwitscherte ihm zu. »Es ist gleich so weit. Der Doktor wird sich sofort um Sie kümmern.«
Jonathan legte die Zeitschrift weg und wandte sich einem der Zerrspiegel zu, in denen alle Patienten grau, alt und sterbenskrank aussahen. Er betastete seine Nase und seine Ohren. Sie waren in Ordnung, nicht zu kalt und nicht zu heiß. Er betrachtete sein Spiegelbild - immer noch Typ Napoleon, klein und doch so groß -, reckte sich, betastete seine grauen Tränensäcke und rückte mit einem schnellen Griff sein Glied zurecht. Er holte tief Luft und hörte einen gedämpften gregorianischen Chor, der jeden, der hier eintrat, daran erinnern sollte, wie schnell der Mensch wieder zu Asche wird. Musik, die speziell für Arztpraxen und Kliniken produziert wurde.
Die letzten Nächte waren ungewöhnlich anstrengend gewesen. Er dachte an Liliane, mit der er am Abend wieder eine lange Sitzung haben würde. Vor ein paar Stunden hatte sie ihm die Liste ihrer neuesten geheimen Wünsche in die Redaktion gesimst. Liliane, die erste Frau in seinem Leben, mit der er nun schon fast vier Monate lang zusammen war.
Jonathans jüngerer Bruder Michael führte einen schwankenden Drei-Zentner-Gigolo aus seinem Sprechzimmer.
»Das wird schon wieder«, lachte er und stützte das monumentale Bündel Elend kraftvoll bis zur Tür, »kommen Sie dreimal wöchentlich zur inneren Wellness-Körperwäsche, dann fühlen Sie sich spätestens in einem Jahr wie neugeboren.«
Er sah dem Patienten in seinem blütenweißen Ärzteoutfit nach, eilte Jonathan auf leisen Sohlen entgegen und strahlte ihn verdächtig vergnügt an.
»Alter Fettsack«, sagte er.
»Ich?«
»Nein, er.« Michael nickte zur Tür. »Der macht's nicht mehr lange.« Unter Brüdern gab es keine ärztliche Schweigepflicht. »Überall Sollbruchstellen: Halsschlagader, Prostata, Krampfadern ...«
Unwillkürlich wich Jonathan zurück. Sie waren seit jeher kein ideales Brüderpaar. Nur ihr alter Vater, der bei ihnen stets von Fritz und Elmar Wepper, Uli und Dieter Hoeness und Hans-Jochen und Bernhard Vogel zu schwärmen pflegte, sorgte dafür, dass sie sich trafen und dabei die Form wahrten.
Jonathan entschlüpfte der brüderlichen Umschlingung, während er den Atem anhielt, um der herben Mischung aus Rasier- und Mundwasser und Desinfektionsmitteln zu entgehen. Er hasste Männer, die sich innig aneinanderpressten, und hatte so seine Zweifel, ob Kain und Abel das je miteinander versucht hatten.
»Wie geht's uns denn?«, fragte Michael fröhlich und zog Jonathan mit einer schlangenhaft schnellen Bewegung ein Augenlid nach unten. »Du siehst alt aus.«
»Ich bin älter als du. Was ist mit dem Test?«
Vor Wochen waren Jonathan erstmals Gerüchte zu Ohren gekommen, dass die moderne Medizin nun in der Lage war, eine der drängendsten Fragen eines jeden Mannes zu beantworten: Wie viele Orgasmen ihm lebenslang zur Verfügung stehen und - um ihm die mühsame Aufarbeitung der Vergangenheit und komplizierte Rechenaufgaben zu ersparen - wie viele ihm noch verbleiben. Tausende Männer konsultierten seither ihre Ärzte, um ihre Schusszahl testen zu lassen. Die meisten waren offensichtlich zufrieden. Ihre Schüsse reichten bis ins hohe Alter, ob Lehrer, Künstler, Pfarrer, Verbrecher oder Politiker, ganz unabhängig davon, ob sie Gebrauch von ihnen machten oder sie mit ins kühle Grab nahmen.
Bruderherz Michael hatte ihm persönlich eine Mail geschickt:
»Eine Forschergruppe an einer amerikanischen Universität konnte vor einiger Zeit Daten zur Dauer der männlichen Sexualreife und Potenz entwickeln. Dabei wurden an Zellproteine gebundene Testosteronderivate zur Proligenerations-Acceleranz gesetzt. Die Ergebnisse ließen hochsignifikante Aussagen über die Erektions- und Ejakulationsfrequenz zu. Auf dem Boden dieser Untersuchungsergebnisse hat jetzt das biologische Forschungsunternehmen ›Uniscience‹ einen Test entwickelt ... bla bla bla.«
Kurz bevor er die Mail löschen wollte, war sein Blick auf die ungeheure Drohung im letzten Satz gefallen:
»Nach bisherigen Resultaten besteht keinerlei Korrelation zwischen momentaner Potenz und verbleibender Ejakulationszahl.«
Lieber auf Nummer sicher gehen, hatte er gedacht und sich schnell einen Termin geben lassen.
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Autoren-Porträt von Christoph Treutwein
Christoph Treutwein hat sich im Kampf um gute Quoten und eine bessere Welt aufopfernd und erfolgreich quer durch die deutsche Filmund Fernsehunterhaltung geschrieben. Nichts ist ihm fremd. Wer zu früh kommt ist sein erster Roman. Christoph Treutwein lebt in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christoph Treutwein
- 2010, 416 Seiten, Maße: 12,2 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548281737
- ISBN-13: 9783548281735
Rezension zu „Wer zu früh kommt . . . “
»Es ist nicht so leicht, einen wirklich witzigen Roman über Sex zu schreiben. Christoph Treutwein hat es mit Wer zu früh kommt ... geschafft.« B.Z. 14.08.10 »Saukomisch« Joy, 2010/10
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