Wie durch ein dunkles Glas / Commissario Brunetti Bd.15
Marco, ein Bekannter von Commissario Brunetti und Vianello, wird öffentlich von seinem Schwiegervater, dem Besitzer einer Glasmanufaktur, bedroht. Ist der junge Umweltaktivist in Gefahr? Dann gibt es einen Toten vor einem Brennofen. Und Brunetti...
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Marco, ein Bekannter von Commissario Brunetti und Vianello, wird öffentlich von seinem Schwiegervater, dem Besitzer einer Glasmanufaktur, bedroht. Ist der junge Umweltaktivist in Gefahr? Dann gibt es einen Toten vor einem Brennofen. Und Brunetti findet in einem Buch des Mordopfers einen wichtigen Hinweis.
"Ein literarischer Leckerbissen."
RBB
LESEPROBE
1. Kapitel
Brunetti stand am Fenster und flirtete mit dem Frühling. Er war da! Gleich drüben, am anderen Ufer des Kanals, zeigte er sich in den frischen, jungen Trieben, die dort aus der Erde spitzten. In all den Jahren hatte Brunetti nie jemanden in dem Garten arbeiten sehen, und doch mußte während der letzten Tage irgendwer den Boden aufgelockert haben, auch wenn ihm das erst jetzt auffiel.
Zwischen den Grashalmen schimmerten zartweiße Blümchen, und die unerschrockenen kleinen, die sich so dicht an den Boden schmiegten und deren Namen er sich nie merken konnte - die mit den gelben und rosafarbenen Blüten - brachen aus dem frisch gewendeten Erdreich hervor.
Er stieß die Fensterflügel auf und ließ frische Luft in sein überheiztes Büro strömen. Sie duftete nach neuem Wachstum oder steigenden Säften oder was immer es war, das die sprichwörtlichen Frühlingsgefühle wachrief und jenes Urverlangen nach Glück. Und weil dieses Etwas auch die Würmer hervorgelockt hatte, waren anscheinend sogar die Vögel, die drüben so eifrig im Garten pickten, in Hochstimmung. Zwei von ihnen zankten sich um einen Leckerbissen, dann flog einer davon, und Brunetti sah ihm nach, bis er links hinter der Kirche verschwand.
»Verzeihung«, hörte er jemanden hinter sich sagen und unterdrückte sein Lächeln, bevor er sich umdrehte. Vor ihm stand Vianello in Uniform, blinzelte nervös und wirkte viel zu ernst für einen so schönen Tag. Angesichts seiner Miene und der steifen Haltung war Brunetti versucht, ihn mit Rang und Namen anzusprechen, obwohl sie sich seit Vianellos Beförderung zum Inspektor doch immer häufiger duzten. Unschlüssig vermied er die Anrede fürs erste und fragte höflich:
»Hättest du wohl einen Moment Zeit?«
Wenn Vianello so umstandslos das vertrauliche tu benutzte und Brunetti auch nicht mit »Commissario« ansprach, war er wohl doch nicht dienstlich hier.
Um die Situation vollends zu entspannen, sagte Brunetti: »Ich habe mir gerade die Blumen dort drüben angesehen« - er wies mit einer Kopfbewegung in Richtung Garten - »und mich gefragt, was wir an einem Tag wie heute im Büro verloren haben.«
Da lächelte Vianello endlich. »Der erste Tag, an dem man den Frühling spürt. Da habe ich früher immer die Schule geschwänzt.«
»Ich auch«, schwindelte Brunetti. »Und womit hast du dir die Zeit vertrieben?«
Vianello setzte sich auf den rechten der beiden Besucherstühle, seinen angestammten Platz. »Mein älterer Bruder hat damals den Rialto beliefert, und statt in die Schule bin ich zu ihm auf den Markt, und wir haben den ganzen Vormittag Obst- und Gemüsekisten geschleppt. Um die Zeit, wenn normalerweise Unterrichtsschluß war, bin ich dann heim zum Mittagessen.« Er schmunzelte und lachte schließlich laut heraus. »Meine Mutter ist mir immer auf die Schliche gekommen. Wie, weiß ich nicht, aber sie fragte mich jedesmal, was am Rialto los gewesen sei und warum ich ihr keine Artischocken mitgebracht hätte.« Kopfschüttelnd hing Vianello seinen Erinnerungen nach. »Und den Kindern ergeht es heute mit Nadia nicht anders: als ob sie ihre Gedanken lesen könnte und einfach weiß, wann sie den Unterricht geschwänzt oder etwas ausgefressen haben.« Er sah Brunetti an. »Kannst du dir erklären, wie sie das machen?«
»Wer? Mütter?«
»Ja.«
»Du hast es eben selbst gesagt, Lorenzo. Indem sie Gedanken lesen.« Und da die Atmosphäre nun hinreichend entspannt schien, fragte Brunetti ganz direkt: »Also, was führt dich zu mir?«
Schlagartig kehrte Vianellos anfängliche Nervosität zurück. Er stellte die übereinandergeschlagenen Beine nebeneinander, preßte die Knie zusammen und setzte sich kerzengerade hin. »Es handelt sich um einen Freund«, sagte er. »Er hat Probleme.«
»Womit?«
»Mit uns.«
»Der Polizei?«
Vianello nickte.
»Hier? In Venedig?«
Vianello schüttelte den Kopf. »Nein, in Mestre. Das heißt, eigentlich in Mogliano, aber sie wurden nach Mestre gebracht.«
»Wer, sie?«
»Na, die Leute, die man festgenommen hat.«
»Was denn für Leute?«
»Die vor der Fabrik.«
»Meinst du das Farbenwerk?« fragte Brunetti, der sich an einen Artikel in der heutigen Morgenzeitung erinnerte. »Ja.«
Der Gazzettino hatte auf der ersten Seite seines Innenteils groß über die Festnahme von sechs Personen berichtet, die am Vortag an einer Anti-Globalisierungsdemo vor einem Farbenwerk in Mogliano Veneto teilgenommen hatten. Die Fabrik war mehrmals wegen Mißachtung der Auflagen zur Giftmüllentsorgung gebührenpflichtig verwarnt worden, ohne daß dies etwas gefruchtet hätte, denn die Firma zahlte lieber die lächerlichen Bußgelder als in neue Filtersysteme zu investieren. Die Demonstranten verlangten die Schließung des Werks und hatten versucht, die Arbeiter am Betreten des Geländes zu hindern. Dabei war es zu einem Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Werktätigen gekommen, der die Polizei auf den Plan rief und mit sechs Festnahmen endete.
»Gehört dieser Freund zur Belegschaft oder zu den NoGlobal-Aktivisten?« fragte Brunetti.
»Weder noch«, entgegnete Vianello und setzte dann hinzu: »Also er ist kein organisierter No-Global. Genauso wenig wie ich.« Da ihm diese Erklärung offenbar selbst unzulänglich schien, atmete Vianello tief durch und begann noch einmal von vorn. »Marco und ich, wir sind zusammen zur Schule gegangen, aber danach hat er studiert und wurde Ingenieur. Er hat sich schon immer für die Umwelt interessiert, und bei Öko Versammlungen und dergleichen sind wir uns dann auch wieder über den Weg gelaufen. Manchmal gehen wir im Anschluß an ein Treffen noch zusammen in die Bar.« ()
© Diogenes Verlag
Übersetzung: Christa E. Seibicke
Autoren-Porträt von Donna Leon
Die Erfinderin des berühmten Commissario Brunetti wurde 1942 in New Jersey geboren. Schon früh machte sich ihr Fernweh bemerkbar. Als sie 1965 eine Freundin auf einer Italienreise begleitete, beschloss sie, Amerika den Rücken zu kehren und in Perugia und Siena zu studieren. Donna Leon lebt seit dieser Zeit ständig im Ausland. Sie arbeitete unter anderem als Reiseleiterin in Rom und als Werbetexterin in London. Später unterrichtete sie an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran, in China und in Saudi-Arabien. 1981 gab sie ihr Nomadenleben auf und ließ sich in Venedig nieder. Zur Zeit hat sie eine Professur für englische und amerikanische Literatur in Vicenza inne.
Leons erster Kriminalroman mit der Figur des Commissario Brunetti erschien 1993 und wurde mit dem japanischen Suntory-Preis ausgezeichnet. Inspiriert wurde Leon dazu in der Oper. Als sie mit einem Bekannten eine Probe im venezianischen Opernhaus besuchte, meinte dieser: „Ich könnte den Dirigenten umbringen!“ „Ich mach’s für dich“, antwortete Leon, „aber in einem Roman.“ So entstand „Venezianisches Finale“. Seitdem hat Leon jedes Jahr einen Brunetti-Krimi geschrieben und den sympathischen Kommissar zu einer der bekanntesten Kriminalfiguren in der Literatur gemacht. Für die ARD wurden bereits mehrere Folgen mit Joachim Król in der Rolle des Brunetti sehr erfolgreich verfilmt. „Sanft entschlafen“, hatte beispielsweise über sieben Millionen Zuschauer. Fortsetzung folgt, garantiert!
Ihre Fangemeinde konnte es kaum erwarten - endlich gibt es den 13. Fall für Commissario Brunetti. Woher kommen die Ideen zu Ihren Krimis?
Die meisten Ideen bekomme ich, wenn ich Zeitung lese. Beim neuen Buch allerdings gibt es eine Parallele zu meinem eigenen Leben. Denn ich litt unter einem LAUTEN Fernseher - jede Nacht, den ganzen Sommer, vier Jahre lang. Der Lärm kam aus der Wohnung einer alten Dame, die mir genau gegenüber wohnte. Weil ich wenig dagegen tun konnte, entschloss ich mich, ihr in meinem Buch den Kopf einzuschlagen. Allerdings habe ich das Motiv letztlich doch aus der Zeitung. Schon vor Jahren las ich einen Artikel, in dem ein ähnlicher Fall geschildert wurde.
Wie entsteht ein Donna Leon-Krimi. Können Sie uns ein bisschen aus Ihrer "Werkstatt" erzählen?
Meine Schreibmethode ist ziemlich einfach. Ich beginne mit einem Verbrechen, und dann verwende ich 300 Seiten darauf, zu schildern, wer es begangen haben könnte und warum.
In der Zeichnung Ihrer Charaktere sind Sie immer nah an einer plausiblen Realität. Dies bezieht sich durchaus auch auf die negativen Eigenschaften der Protagonisten. Ist Commissario Brunetti eine Ausnahme? Wofür steht der gute, kluge Kommissar?
Gott im Himmel, wofür steht eine Person denn schon? Ich glaube, für sehr wenig. Wir gehen einfach durch unser Leben und bemühen uns darum, es angenehm und anständig zu verbringen. Und ein paar negative Eigenschaften hat Brunetti doch auch: Er mag zum Beispiel die Süditaliener nicht sehr, oder?
Ist man eigentlich als Autorin weniger mitleidig, wenn, wie im Falle der Signora Battestini, dem Mordopfer in "Beweise, daß es böse ist", eine besonders unsympathische literarische Gestalt gewaltsam zu Tode kommt?
Es ist eigentlich ziemlich einfach, Leute umzubringen - wenigstens in Büchern. Aber hier trenne ich klar zwischen der Welt der Bücher und der Realität. Im wahren Leben bin ich eine gewaltlose Person. Das reicht bis zu meinem Sprachgebrauch. Ich bringe Ihnen ein Beispiel: Nachdem ich vier Jahre lang den Lärmterror dieser alten Dame ertragen hatte, sah ich sie eines Morgens auf dem Boden ihrer Küche liegen - und habe die Polizei gerufen! Im Buch schlug ich ihr den Kopf ein, im wahren Leben rief ich die Polizei. Für mich ist diese Unterscheidung vielleicht deshalb so klar, weil ich beinahe nie mit Gewalt konfrontiert wurde, nie einen Fernseher hatte und niemals ins Kino gehe.
Sie weben in Ihre Kriminalgeschichten immer auch Zeitkritik ein. Ist es ein Zufall, dass die rumänische Haushaltshilfe zur Hauptverdächtigen wurde und alle sich einig zu sein scheinen, dass sie es war?
Hier findet sich eigentlich nur das wieder, was ich von vielen Italienern gehört habe: Sie trauen den Leuten nicht, die aus dem Osten kommen. Nach meinen Beobachtungen sind dabei die Vorurteile gegenüber Albanern und Rumänen besonders groß.
Eine unvermeidliche Frage zum Schluss: Wie lange müssen Ihre Leser warten, bis Commissario Brunetti wieder ermittelt? Können Sie schon verraten, worum es im nächsten Plot geht?
Blood from a Stone ist in England bereits im März erschienen. Es geht darin um die Vu Cumpra, die senegalesischen Straßenhändler, die man oft in Venedig sieht und die Portemonnaies verkaufen. In dem Buch wird einer von ihnen ermordet. Und Brunetti hat den Verdacht, dass jemand anderes der Täter ist als zunächst angenommen.
Die Fragen stellte Mathias Voigt, Literaturtest.
- Autor: Donna Leon
- 2008, 14. Aufl., 352 Seiten, Maße: 11,3 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christa E. Seibicke
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257237863
- ISBN-13: 9783257237863
- Erscheinungsdatum: 19.09.2008
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