Schottische Disteln
Der reiche Unternehmer Ryan McGregor macht jedes Jahr im August Urlaub vom eigenen Ich und lebt einige Wochen als Einsiedler und Schäfer unerkannt in den Highlands. Dort verliebt sich die Fotografin Andrea in ihn. Ryan ist glücklich, denn er...
Der reiche Unternehmer Ryan McGregor macht jedes Jahr im August Urlaub vom eigenen Ich und lebt einige Wochen als Einsiedler und Schäfer unerkannt in den Highlands. Dort verliebt sich die Fotografin Andrea in ihn. Ryan ist glücklich, denn er wird um seiner selbst willen geliebt und nicht wegen seines Geldes. Doch düstere Schatten verdunkeln plötzlich dieses Glück.
SchottischeDisteln von Christa Canetta
LESEPROBE
Ryan McGregor kletterte auf den Anleger, vertäute sein Bootund packte das Angelgerät und den Eimer mit den Fischen auf die Planken. Mitwildem Gebell kamen seine schwarzweißen Kurzhaarcollies den Abhang heruntergestürmt, um sich mit wedelnden Ruten Streicheleinheiten zu holen. Ryantätschelte die Köpfe, kraulte hinter den Ohren und versetzte jedem einen Klapsauf das kräftige Hinterteil.
"Ab mit euch, ihr sollt die Schafe hüten, nicht mich."
Kläffend rannten die beiden zurück über den Hügelkamm. Vonder Herde war nichts zu sehen, nur ein entferntes Blöken verriet die etwazweihundert Tiere auf der anderen Seite der Erhebung. Ryan schob denbreitrandigen Barbourhut in den Nacken, nahm seine Geräte und die Fische undlief hinter den Hunden her. Im Westen ging die Sonne über dem Moray Firth undden Hügeln der Black Isle unter und warf den langen Schatten des Mannes überdie erblühende Heide.
August in den nördlichen Highlands von Schottland, dasbedeutete violette Farbenpracht so weit das Auge reichte. Ryan liebte diesesLand. Er konnte sich nicht vorstellen, jemals weit entfernt von hier zu leben.Der würzige Wind vom Nordmeer, die duftenden Blüten zu seinen Füßen, derkräftige Kieferngeruch der Bergwälder im Süden und das wunderbare Gefühl absoluterRuhe, wenn er mit dem Boot draußen war, das war sein Leben. Jedenfalls für vierWochen im August. Ryan McGregor war ein hochgewachsener Mann. Seine schmalenSchultern und der durchtrainierte Körper verliehen ihm das Aussehen einesaktiven Sportlers. Er hatte ein gutgeschnittenes Gesicht mit einem offenen,aber sehr wachsamen Blick. Seine Augen waren von einem intensiven Blau, undsein volles blondes Haar fiel ihm jungenhaft und struppig ins Gesicht, als erden Hut abnahm und mit beiden Händen hindurchfuhr. Dennoch sah man ihm seinefast 50 Jahre an. Schuld waren die Falten, die sein Gesicht durchzogen, Folgenharter Arbeit und dem Leben in Sonne und Wind.
Ryan sah zurück zur Förde. Er liebte das Angeln. Schon alskleiner Junge kannte er nichts Schöneres, als mit dem alten Scotthinauszufahren und Fische zu fangen. Während er weiterging, dachte er an dievielen Stunden zurück, die er mit dem Fischer auf dem Firth verbracht hatte undin denen er gelernt hatte, Leinen zu werfen, die Beute einzuholen und den Kescherzu gebrauchen. Scott hatte ihm gezeigt, wo die Meerforellen in denverschiedenen Jahreszeiten standen, wo die wilden Lachse wanderten, wann und wosie laichten und welchen Köder man benutzen musste. Später, als Heranwachsenderund als es den alten Mann nicht mehr gab, fuhr er allein hinaus, und das warfast noch schöner, denn er liebte die Einsamkeit. Er fing niemals mehr Fische,als er brauchte, wobei er behutsam die kleinen heranwachsenden Tiere vom Hakenlöste und zurück ins Wasser warf. Auch heute brachte er nur vier Fische mit.Zwei Forellen waren sein Abendessen, die beiden Lachse würde er räuchern, dennsein Vorrat an Räucherfisch war zu Ende.
Oben am Hügelrand tauchte der Giebel seines Hauses auf. Erhatte es hoch anlegen müssen, denn das Meer war unberechenbar, und wenn derWind direkt von Nordost in die Förde drückte, konnte das Wasser erschreckendhoch steigen. Dann musste er sogar sein Boot mit dem Jeep den Hügelhinaufziehen und oft genug einen neuen Steg bauen, wenn der Sturm abgeflaut war.
Je höher er kam, umso mehr sah er von seinem Haus. Es waraus den grauen Granitsteinen dieser Gegend gebaut und fast unsichtbar in einerLandschaft, die von diesen Felsen geprägt war. Er dachte daran, wie er esentworfen hatte und wie enttäuscht der Baumeister war, weil es so klein undschlicht werden sollte.
Ryan legte seine Sachen ab, zog die Gummistiefel aus undging hinein. Zwei Drittel des Erdgeschosses nahm die große Wohnhalle ein, linksdavon war die Küche. Eine schmale Treppe führte nach oben. Ein geräumigesSchlafzimmer und das Bad im Dachgeschoss, mehr brauchte Ryan nicht. Zufriedenblickte er sich um. Ein großer Kamin versorgte alle vier Räume mit Wärme, undein mühsam über Land gezogenes Kabel brachte den Strom. Er hatte das Haus nachseinen Plänen bauen lassen, als nach dem Tod des Fischers die alte Holzhütteeinzustürzen drohte. Nun besaß er genau das Haus, von dem er immer geträumthatte. Er nahm den Hut ab, hängte die Anglerweste mit den zahllosen Taschen anden Haken und ging in Strümpfen zum Kamin, um Feuer zu machen. Die Wohnhallemit dem gefliesten Boden und den dicken Schafwollteppichen war der gemütlichsteRaum, den er sich vorstellen konnte. Alte Bauernmöbel, bequeme Ohrensessel, einRegal mit Büchern, ein vergilbter Spiegel in geschnitztem Rahmen, ein paarBilder mit Moorlandschaften und die vielen handgewebten Kissen, die überallverteilt waren, garantierten die Geborgenheit, die er immer schon gesuchthatte.
Die kleine Küche neben der Halle verbarg hinter ihremrustikalen Stil modernste Technik und bot Platz für einen großen Holztisch, andem mindestens acht Personen essen konnten. Aber Ryan legte keinen Wert aufGäste, und so saß er meist allein am Tisch, den er zugleich als Arbeits- undSchreibtisch nutzte.
Ryan sah nach dem Feuer, legte Holz nach und holte den Eimerherein. Er nahm die Fische aus, bestreute sie mit Salz, legte die Forellen aufden Teller und ging mit den Lachshälften nach draußen. Etwas entfernt vom Haushatte er sich seinen Räucherofen gebaut. Etwas Holz, etwas Torf undverschiedene Wildkräuter - er wusste genau, welchen Geschmack der Fisch habensollte. Als die helle Flamme zusammengefallen war und die glimmenden Resteihren würzigen Duft entwickelten, hing er die Fischhälften in den Rauch undverschloss den Ofen.
Kühl war es geworden, und die Dämmerung senkte sich herab.Ryan ging ins Haus, nahm eine Wollmütze und den dicken Pullover vom Haken undlief hinter dem Haus hinunter in die Mulde, in der die Schafherde inzwischenihr Nachtquartier bezogen hatte. Wiederkäuend lagen die Tiere im eingezäuntenPferch und hoben kaum die Köpfe, als Ryan kam und das Gatter verschloss. Erlobte die Hunde, die bestens abgerichtet diese Arbeit allein erledigt hatten,und kontrollierte den Zaun.
"Ajax, Bella, auf geht's nach Hause." Darauf hatten diebeiden nur gewartet. Um die Wette rannten sie mit ihm zurück zum Haus. DieHunde kannten das Ritual, tollten kläffend um ihn herum, sprangen an ihm hoch,warfen ihn fast um und warteten bellend vor der Tür, bis er die Stiefelausgezogen hatte.
"Na los, kommt schon." Er holte das Futter aus demKühlschrank, gab heißes Wasser dazu, um es zu erwärmen, und stellte den Hundendie Näpfe hin. Bevor er die Wasserschüsseln für sie gefüllt hatte, war dasFutter schon verschlungen.
Ryan sah zu, wie sie das Wasser aufnahmen und sich auf ihrenDecken in der Nähe des Kamins zusammenrollten. Dann erst zog er sich selbstaus, wusch die Hände und begann sein eigenes Essen vorzubereiten. Die Forellenwurden mit Wildkräutern, die um das Haus herum in Hülle und Fülle wuchsen, undmit Zitronenscheiben gefüllt und in den Backofen geschoben. Ein paar Kartoffelnin den Topf und eine Flasche Bier auf den Tisch: Das Abendessen würde köstlichschmecken. (...)
© Moments in der Area Verlag GmbH
- Autor: Christa Canetta
- 2005, 318 Seiten, Maße: 14,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Moments
- ISBN-10: 3937670459
- ISBN-13: 9783937670454
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