Schwestermutter
Ich bin ein Inzestkind
Wie wird man damit fertig, wenn man als Inzestkind geboren wird?
Sie ist zwölf, als sie versteht, dass die Frau, die sie bislang für ihre Mutter gehalten hat, ihre Großmutter ist - und ihre große Schwester die...
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Produktinformationen zu „Schwestermutter “
Wie wird man damit fertig, wenn man als Inzestkind geboren wird?
Sie ist zwölf, als sie versteht, dass die Frau, die sie bislang für ihre Mutter gehalten hat, ihre Großmutter ist - und ihre große Schwester die leibliche Mutter. Ulrike M. Dierkes erzählt in diesem Buch ihre erschütternde Geschichte als Inzestopfer.
Lese-Probe zu „Schwestermutter “
Schwestermutter – Ich bin ein Inzestkind von Ulrike M. DierkesIch bin ein Inzestkind. Ich wurde geboren, weil mein Vater die älteste seiner vier
Töchter sexuell missbrauchte — Marina wurde mit dreizehn Jahren schwanger. Ich wurde geboren, weil ein junges Mädchen, ein Kind, keine Hilfe erhielt — mein Vater missbrauchte Marina ab ihrem siebten Lebensjahr.
Als die Schwangerschaft festgestellt wurde, befand sich Marina bereits im sechsten Monat, und für eine Abtreibung war es zu spät. Der runde Bauch war nicht mehr zu verbergen, und die Nachbarn in dem kleinen westfälischen Dorf, aus dem ich stamme, tuschelten, das Kind sei vom eigenen Vater. Nur wenige Wochen nach ihrem vierzehnten Geburtstag brachte mich Marina zur Welt.
Meine leibliche Mutter ist also zugleich meine älteste Schwester, deshalb werde ich Marina im Folgenden auch Schwestermutter nennen.
Die Frau, die ich elf Jahre lang für meine leibliche Mutter gehalten habe, war in Wirklichkeit meine Großmutter. In diesem Buch nenne ich sie manchmal Mutter, denn als Kind wusste ich es nicht besser. Doch meist schreibe ich die Frau meines Vaters. Die Distanz, die sich darin ausdrückt, entspricht mehr meinem Verhältnis zu ihr.
Was es bedeutet, das Produkt eines Verbrechens zu sein, können sich Nichtbetroffene wohl kaum vorstellen — wieviel Kraft und Zeit mir mein Schicksal bis heute abverlangt, wie viel Disziplin, Überlebensarbeit und eigene Opfer es erforderte, ehe ich mich als Inzestüberlebende bezeichnen konnte.
Wie lebt man mit solch einer Familiengeschichte? Ist es für ein Inzestkind überhaupt möglich, sich mit seinem Schicksal zu versöhnen, es anzunehmen, sich selbst lieben zu lernen? Oder zerbricht es zwangsläufig daran, scheitert es?
In diesem Buch berichte ich, woran ich in meinem Leben fast zerbrochen und weshalb ich beinahe gescheitert wäre
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und wie ich es geschafft habe, zu überleben und die Person und Persönlichkeit zu werden, die ich heute bin.
Jeder Tag, an dem ich erwache und feststelle, dass ich gesund bin, einen erfüllenden Beruf, Familie und Freunde habe, ist für mich ein guter Tag. Mittlerweile bin ich ein lebensfroher und optimistischer Mensch, doch das ist nicht selbstverständlich. Ich habe hart an mir arbeiten müssen, denn ich war nicht immer glücklich, nicht immer erfolgreich und selten gelassen. — Zu einem in sich ruhenden Menschen, einer starken Frau habe ich mich erst nach und nach entwickelt.
Über manches habe ich bereits geredet, bevor ich dieses Buch schrieb, doch mit Rücksicht auf Lebende und Tote verschwieg ich vieles. Ich habe Täter, Mittäter und Mittäterinnen sowie einige der Mitwissenden, die trotz ihres Wissens geschwiegen haben, inzwischen überlebt. In diesem Buch nun wird nichts beschönigt; ich schone auch mich selbst nicht.
Weil ich trotz meines Schicksals überlebt habe und weil ich die komplexen Zusammenhänge des Geschehenen heute verstehe, bin ich dieses Buch Menschen schuldig, die an ihrem Schicksal zu zerbrechen drohen: den vielen sexuell missbrauchten Mädchen und den aus Missbrauch entstandenen Kindern, die lebenslang unter den Auswirkungen der Verbrechen an ihren Müttern leiden.
Wenn nur ein einziger Missbrauch durch dieses Buch verhindert wird, Inzestopfer und Inzestüberlebende menschlicher behandelt werden oder auch nur ein einziger Pädophiler nach Lektüre dieses Buches die Abartigkeit und Grausamkeit seines Handelns einsieht, dann hat sich das Schreiben gelohnt.
Teil 1: Der Inzest, Meine Geburt und eine Kindheit in Lüge
Kapitel 1
Meine Kindheit ist überschattet von Geheimnissen und Rätseln, und die Menschen, die an der verbrecherischen Entstehungsgeschichte meines Lebens beteiligt sind, tun von Beginn an alles dafür, die Wahrheit zu verschleiern. Als Kind ahne ich noch nicht, welch weiter Weg vor mir liegt und wie weit ich zurückgehen muss, um die Spuren zu verfolgen, die mein Leben bestimmt haben. Viele Jahre vor meiner Geburt fängt alles an.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges flüchtet die Frau meines Vaters mit ihrer Tochter Marina und gemeinsam mit anderen Frauen der Familie aus ihrer Heimat in Schlesien. Marina kam in Breslau zur Welt, während der Vater an der russischen Front kämpfte. Durch den Krieg hat die angesehene schlesische Familie alles verloren, was sie besaß.
In Ostbevern, einem Bauerndorf in Westfalen, nahe der Provinzhauptstadt Münster, finden die Frauen Zuflucht. Nach Kriegsende folgt ihnen der Vater, beinamputiert. Die Familie entscheidet, nicht ins zerstörte Schlesien zurückzukehren, sondern sich in Ostbevern ein neues Zuhause zu schaffen.
Im Dorf kennt damals jeder jeden. Wer hier leben möchte, hat sich den Regeln und Ritualen der Dorfgemeinschaft anzupassen. Fremde gehören nicht hierher, und fremd ist, wen man nicht mit Namen kennt oder wessen Familienverhältnisse nicht hinlänglich bekannt sind.
Der Familienname Jagsch, der Name unserer schlesischen Vorfahren, klingt fremd in den Ohren der Einheimischen. Hier heißen die Leute Beckmann, Haverkamp, Kötter, Loddenkötter oder Schulte. Der ungewöhnliche Name erregt Misstrauen.
Dennoch kann mein Vater vom Lastenausgleich, einer Entschädigung für Vertriebene, günstiges Bauland von der Kirche erwerben.
Gemeinsam mit einem Architekten entwirft er für sich und seine Familie ein Haus, das 1956 bezogen wird. Im Erdgeschoss des Hauses sind der Ess- und Wohnraum, die Küche und das Badezimmer sowie das Elternschlafzimmer, im oberen Stockwerk das Atelier, die Kinderzimmer und ein Zimmer mit Kochgelegenheit, in das die Mutter meines Vaters einzieht.
In Abständen von etwa zwei Jahren kommen Regina, Angelina und Babette zur Welt. Der einzige Sohn, Reginas Zwillingsbruder, stirbt und wird auf dem Dorffriedhof begraben.
Das Dorfleben hat feste Strukturen. Die Menschen gehen fleißig ihrer Arbeit nach — auf Wiesen und Äckern, für die Familie, im Haushalt, in Betrieben oder Firmen. Sonntags besuchen sie den Gottesdienst. Sie nehmen aktiv und ehrenamtlich am Gemeindeleben teil, helfen bei kirchlichen Dorffesten und Vereinsfeiern, treffen sich bei Beerdigungen und zu Geburtsfeiern, an Gedenktagen und zu Prozessionen, feiern gemeinsam Schützenfeste und Kirmes.
Mein Vater ist bald ein bekannter Mann in der Gegend. Obwohl er der ländlichen Bevölkerung, die mehr mit Ackerbau und Viehzucht vertraut ist, reichlich exotisch vorkommt, beeindruckten seine künstlerischen Begabungen und Talente die Menschen über die Dorfgrenzen hinaus. Dies mag auch daran liegen, dass mein Vater Menschen auf Anhieb für sich einnehmen und andere zu seinen Gunsten manipulieren kann. Allerdings zahlen sich diese Eigenschaften nicht finanziell aus, er bleibt sein Leben lang unterbezahlt.
Einige der Dorfbewohner mögen ihn nicht, weil er aufbrausend, jähzornig und aggressiv sein kann und eher arrogant und selbstverliebt durchs Leben geht.
Als Grafiker und als Experte für Schrift und Gestaltung —er beherrscht die Kalligrafie — ist er jedoch gefragt. Er erstellt für Taubenzüchtervereine und Künstlergilden werbewirksame Logos und berät die Honoratioren des Dorfes.
In dem großzügigen, hellen Atelierzimmer mit den großen schrägen Dachfenstern entwirft mein Vater viele Firmenlogos. Weltbekannte Unternehmen, die moderne und traditionelle Marken anbieten, lassen nach dem Krieg ihre Firmenzeichen erneuern oder überarbeiten. Kirchen- und Tageszeitungen geben die Gestaltung ihres Briefpapiers in Auftrag, und für Kirchentage und ähnliche große Veranstaltungen werden Plakate von ihm entworfen.
Doch nicht nur für die beruflichen Zwecke dient meinem Vater sein Atelier. Hier porträtiert er auch seine älteste Tochter Marina. Ab ihrem siebten Lebensjahr muss sie ihm als Modell dienen — und zwar als Nacktmodell. Denn Vater malt keine gewöhnlichen Kinderporträts von der Tochter, er fertigt Aktzeichnungen von dem Kind an.
Wer hierin, so seine Auffassung, etwas Schändliches sähe, sei in seinen Augen nicht normal, habe keine natürliche Einstellung zu Körperlichkeit, Nacktheit und Sexualität.
Doch es geht ihm keinesfalls bloß um Freizügigkeit und künstlerisches Schaffen. Mein Vater nimmt das Aktzeichnen lediglich als Vorwand, um sich Gelegenheit zu verschaffen, seine sieben Jahre alte Tochter sexuell zu missbrauchen. Er ist ein so genannter Pädophiler.
Wenn Marina sich den Übergriffen zu entziehen versucht, zitiert er sie zu sich. Er zwingt sie kraft seiner Autorität als Vater. Ist sie nicht willig oder versucht sich zu wehren, wendet er Gewalt an, würgt sie schließlich.
Wo ist die Mutter des Kindes in diesen Momenten? Wieso gibt es keine Hilfe für das Kind? — Die Frau meines Vaters wendet sich in ihrer Hilflosigkeit an den katholischen Seelsorger des Dorfes. Sie klagt über das Tun ihres Mannes und bittet um Rat und Unterstützung. Der Pfarrer bekniet sie bestürzt, aber ebenso hilflos, sie solle beten und schweigen, dass »es« vorübergehen möge. »Denken Sie an die Familie! An die Kinder! Nicht auszudenken, wenn im Dorf darüber gesprochen wird! Es würde Ihre Existenz zerstören und die Ihrer Familie, wenn es herauskäme!«
Beten und Schweigen helfen jedoch nicht.
Niemand hindert meinen Vater während der nächsten sieben Jahre daran, immer wieder die Ateliertür hinter sich und Marina zu verschließen.
Die anderen Mädchen spielen währenddessen im Haus oder im Garten. Die damals fünfjährige Regina spürt sicher die bedrohliche Atmosphäre, die dreijährige Angelina und Babette, die noch ein Baby ist, wachsen in diese unheilschwangere Stimmung hinein.
Vater vergewaltigt Marina, sooft er dazu Lust verspürt. Weder die Einwände seiner eigenen Mutter noch die Tränen seiner betrogenen, gedemütigten und verratenen Ehefrau rühren ihn. Auch das Gemunkel und Getratsche der Nachbarn gebietet ihm keinen Einhalt.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe
© 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH &Co. KG, Bergisch Gladbach
Jeder Tag, an dem ich erwache und feststelle, dass ich gesund bin, einen erfüllenden Beruf, Familie und Freunde habe, ist für mich ein guter Tag. Mittlerweile bin ich ein lebensfroher und optimistischer Mensch, doch das ist nicht selbstverständlich. Ich habe hart an mir arbeiten müssen, denn ich war nicht immer glücklich, nicht immer erfolgreich und selten gelassen. — Zu einem in sich ruhenden Menschen, einer starken Frau habe ich mich erst nach und nach entwickelt.
Über manches habe ich bereits geredet, bevor ich dieses Buch schrieb, doch mit Rücksicht auf Lebende und Tote verschwieg ich vieles. Ich habe Täter, Mittäter und Mittäterinnen sowie einige der Mitwissenden, die trotz ihres Wissens geschwiegen haben, inzwischen überlebt. In diesem Buch nun wird nichts beschönigt; ich schone auch mich selbst nicht.
Weil ich trotz meines Schicksals überlebt habe und weil ich die komplexen Zusammenhänge des Geschehenen heute verstehe, bin ich dieses Buch Menschen schuldig, die an ihrem Schicksal zu zerbrechen drohen: den vielen sexuell missbrauchten Mädchen und den aus Missbrauch entstandenen Kindern, die lebenslang unter den Auswirkungen der Verbrechen an ihren Müttern leiden.
Wenn nur ein einziger Missbrauch durch dieses Buch verhindert wird, Inzestopfer und Inzestüberlebende menschlicher behandelt werden oder auch nur ein einziger Pädophiler nach Lektüre dieses Buches die Abartigkeit und Grausamkeit seines Handelns einsieht, dann hat sich das Schreiben gelohnt.
Teil 1: Der Inzest, Meine Geburt und eine Kindheit in Lüge
Kapitel 1
Meine Kindheit ist überschattet von Geheimnissen und Rätseln, und die Menschen, die an der verbrecherischen Entstehungsgeschichte meines Lebens beteiligt sind, tun von Beginn an alles dafür, die Wahrheit zu verschleiern. Als Kind ahne ich noch nicht, welch weiter Weg vor mir liegt und wie weit ich zurückgehen muss, um die Spuren zu verfolgen, die mein Leben bestimmt haben. Viele Jahre vor meiner Geburt fängt alles an.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges flüchtet die Frau meines Vaters mit ihrer Tochter Marina und gemeinsam mit anderen Frauen der Familie aus ihrer Heimat in Schlesien. Marina kam in Breslau zur Welt, während der Vater an der russischen Front kämpfte. Durch den Krieg hat die angesehene schlesische Familie alles verloren, was sie besaß.
In Ostbevern, einem Bauerndorf in Westfalen, nahe der Provinzhauptstadt Münster, finden die Frauen Zuflucht. Nach Kriegsende folgt ihnen der Vater, beinamputiert. Die Familie entscheidet, nicht ins zerstörte Schlesien zurückzukehren, sondern sich in Ostbevern ein neues Zuhause zu schaffen.
Im Dorf kennt damals jeder jeden. Wer hier leben möchte, hat sich den Regeln und Ritualen der Dorfgemeinschaft anzupassen. Fremde gehören nicht hierher, und fremd ist, wen man nicht mit Namen kennt oder wessen Familienverhältnisse nicht hinlänglich bekannt sind.
Der Familienname Jagsch, der Name unserer schlesischen Vorfahren, klingt fremd in den Ohren der Einheimischen. Hier heißen die Leute Beckmann, Haverkamp, Kötter, Loddenkötter oder Schulte. Der ungewöhnliche Name erregt Misstrauen.
Dennoch kann mein Vater vom Lastenausgleich, einer Entschädigung für Vertriebene, günstiges Bauland von der Kirche erwerben.
Gemeinsam mit einem Architekten entwirft er für sich und seine Familie ein Haus, das 1956 bezogen wird. Im Erdgeschoss des Hauses sind der Ess- und Wohnraum, die Küche und das Badezimmer sowie das Elternschlafzimmer, im oberen Stockwerk das Atelier, die Kinderzimmer und ein Zimmer mit Kochgelegenheit, in das die Mutter meines Vaters einzieht.
In Abständen von etwa zwei Jahren kommen Regina, Angelina und Babette zur Welt. Der einzige Sohn, Reginas Zwillingsbruder, stirbt und wird auf dem Dorffriedhof begraben.
Das Dorfleben hat feste Strukturen. Die Menschen gehen fleißig ihrer Arbeit nach — auf Wiesen und Äckern, für die Familie, im Haushalt, in Betrieben oder Firmen. Sonntags besuchen sie den Gottesdienst. Sie nehmen aktiv und ehrenamtlich am Gemeindeleben teil, helfen bei kirchlichen Dorffesten und Vereinsfeiern, treffen sich bei Beerdigungen und zu Geburtsfeiern, an Gedenktagen und zu Prozessionen, feiern gemeinsam Schützenfeste und Kirmes.
Mein Vater ist bald ein bekannter Mann in der Gegend. Obwohl er der ländlichen Bevölkerung, die mehr mit Ackerbau und Viehzucht vertraut ist, reichlich exotisch vorkommt, beeindruckten seine künstlerischen Begabungen und Talente die Menschen über die Dorfgrenzen hinaus. Dies mag auch daran liegen, dass mein Vater Menschen auf Anhieb für sich einnehmen und andere zu seinen Gunsten manipulieren kann. Allerdings zahlen sich diese Eigenschaften nicht finanziell aus, er bleibt sein Leben lang unterbezahlt.
Einige der Dorfbewohner mögen ihn nicht, weil er aufbrausend, jähzornig und aggressiv sein kann und eher arrogant und selbstverliebt durchs Leben geht.
Als Grafiker und als Experte für Schrift und Gestaltung —er beherrscht die Kalligrafie — ist er jedoch gefragt. Er erstellt für Taubenzüchtervereine und Künstlergilden werbewirksame Logos und berät die Honoratioren des Dorfes.
In dem großzügigen, hellen Atelierzimmer mit den großen schrägen Dachfenstern entwirft mein Vater viele Firmenlogos. Weltbekannte Unternehmen, die moderne und traditionelle Marken anbieten, lassen nach dem Krieg ihre Firmenzeichen erneuern oder überarbeiten. Kirchen- und Tageszeitungen geben die Gestaltung ihres Briefpapiers in Auftrag, und für Kirchentage und ähnliche große Veranstaltungen werden Plakate von ihm entworfen.
Doch nicht nur für die beruflichen Zwecke dient meinem Vater sein Atelier. Hier porträtiert er auch seine älteste Tochter Marina. Ab ihrem siebten Lebensjahr muss sie ihm als Modell dienen — und zwar als Nacktmodell. Denn Vater malt keine gewöhnlichen Kinderporträts von der Tochter, er fertigt Aktzeichnungen von dem Kind an.
Wer hierin, so seine Auffassung, etwas Schändliches sähe, sei in seinen Augen nicht normal, habe keine natürliche Einstellung zu Körperlichkeit, Nacktheit und Sexualität.
Doch es geht ihm keinesfalls bloß um Freizügigkeit und künstlerisches Schaffen. Mein Vater nimmt das Aktzeichnen lediglich als Vorwand, um sich Gelegenheit zu verschaffen, seine sieben Jahre alte Tochter sexuell zu missbrauchen. Er ist ein so genannter Pädophiler.
Wenn Marina sich den Übergriffen zu entziehen versucht, zitiert er sie zu sich. Er zwingt sie kraft seiner Autorität als Vater. Ist sie nicht willig oder versucht sich zu wehren, wendet er Gewalt an, würgt sie schließlich.
Wo ist die Mutter des Kindes in diesen Momenten? Wieso gibt es keine Hilfe für das Kind? — Die Frau meines Vaters wendet sich in ihrer Hilflosigkeit an den katholischen Seelsorger des Dorfes. Sie klagt über das Tun ihres Mannes und bittet um Rat und Unterstützung. Der Pfarrer bekniet sie bestürzt, aber ebenso hilflos, sie solle beten und schweigen, dass »es« vorübergehen möge. »Denken Sie an die Familie! An die Kinder! Nicht auszudenken, wenn im Dorf darüber gesprochen wird! Es würde Ihre Existenz zerstören und die Ihrer Familie, wenn es herauskäme!«
Beten und Schweigen helfen jedoch nicht.
Niemand hindert meinen Vater während der nächsten sieben Jahre daran, immer wieder die Ateliertür hinter sich und Marina zu verschließen.
Die anderen Mädchen spielen währenddessen im Haus oder im Garten. Die damals fünfjährige Regina spürt sicher die bedrohliche Atmosphäre, die dreijährige Angelina und Babette, die noch ein Baby ist, wachsen in diese unheilschwangere Stimmung hinein.
Vater vergewaltigt Marina, sooft er dazu Lust verspürt. Weder die Einwände seiner eigenen Mutter noch die Tränen seiner betrogenen, gedemütigten und verratenen Ehefrau rühren ihn. Auch das Gemunkel und Getratsche der Nachbarn gebietet ihm keinen Einhalt.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe
© 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH &Co. KG, Bergisch Gladbach
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Bibliographische Angaben
- Autor: Ulrike M. Dierkes
- 253 Seiten, Maße: 13,4 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997805
- ISBN-13: 9783828997806
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