Tödliches Lachen / Julia Durant Bd.9
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Lange tappt Kommissarin Durant im Dunkeln, denn Svenja Martens, das Opfer, scheint ein völlig unauffälliger Mensch gewesen zu sein. Da passiert ein zweiter Frauenmord, und wieder wird Julia ein Foto des Opfers zugespielt. Sollte es sich um den Beginn einer grausamen Serie handeln? Julia ahnt nicht, dass sich der Täter ganz in ihrer Nähe befindet ...
Lange tappt Kommissarin Durant im Dunkeln, denn Svenja Martens, das Opfer, scheint ein völlig unauffälliger Mensch gewesen zu sein. Da passiert ein zweiter Frauenmord, und wieder wird Julia ein Foto des Opfers zugespielt. Sollte es sich um den Beginn einer grausamen Serie handeln? Julia ahnt nicht, dass sich der Täter ganz in ihrer Nähe befindet ...
Tödliches Lachen von Andreas Franz
LESEPROBE
Mike war um kurz nach zwei nachHause gekommen und hatte sich eine Packung Spaghetti gemacht, einFertiggericht, das sich schnell zubereiten ließ und keine Kochkünsteerforderte. Sechs Stunden Schule hatten ihre Spuren hinterlassen, vor allem dieLateinarbeit, die er sicher nicht schlecht geschrieben hatte, aber dennochhasste er dieses Fach, denn er fragte sich, wozu er diese Sprache später einmalbrauchen würde. Doch sein Vater und auch sein Großvater hatten ihn geradezugedrängt, es statt Französisch als zweite Fremdsprache zu wählen, obwohl ihmFranzösisch, das etwas Sanftes, Beschwingtes und Sinnliches hatte, viel bessergefiel. Außerdem hatte Mike ein konkretes Ziel vor Augen - er wollteMathematiker oder Physiker werden. Schon jetzt war er in diesen Fächern seinenMitschülern um Lichtjahre voraus, konnte Aufgaben lösen, vor denen selbst diebesten Abiturienten, die meisten Studenten und sogar einige Professoren kapitulierten.Und es war erst ein halbes Jahr her, als er einen internationalen Mathematik-Wettbewerbfür Schüler und Studenten gewann.
Noch maximal zwei Jahre, dann warder Schulstress vorbei, aber im Moment dachte Mike nur an heute und denrestlichen Tag mit noch einer halben, höchstens einer Stunde Hausaufgaben, dieer jedoch erst später, irgendwann gegen Abend, erledigen würde. Sein Vater warnoch in der Firma, und die Putzfrau hatte wie immer das Haus um Punkt einsverlassen. Sie kam zweimal in der Woche, um sauber zu machen, eine jungeSpanierin, die nur gebrochen Deutsch sprach, aber ihre Arbeit hervorragend erledigte.Er mochte sie, auch wenn er sie nicht oft sah und lediglich von ihr wusste,dass sie verheiratet war und zwei Kinder hatte.
Mike ging mit dem Teller auf seinZimmer, setzte sich an den Schreibtisch und las beim Essen ein Asterix-Heft.
Ein paarmalmusste er schmunzeln, und er war gerade bei der letzten Gabel, als das Telefonklingelte. Großmutter.
Sie fragte ihn wie jeden Tag, wie esihm gehe, wie die Schule gewesen sei. Das Übliche. Mike antwortete brav undbeendete das Gespräch nach wenigen Sätzen. Er legte sich aufs Bett und machteden Fernseher an, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an dieDecke, während im Hintergrund eine billige Talkshow lief.
Sein Blick ging nach einer Weile zurWand, wo ein großes Foto seiner Mutter hing. Zehn Jahre waren seit ihrem Todvergangen, die Erinnerung an sie war vollständig verblasst.
Das Einzige, was ihm geblieben war,war dieses Foto, das in einem großen Rahmen über seinem Schreibtisch hing. Erbetrachtete sie lange - eine schöne Frau, mit fast mystischen und doch aufseltsame Weise traurigen Augen, die ihn ansahen, als wollten sie ihm etwasmitteilen.
Manchmal meinte er, dass sie ihmsagen wollte, wie traurig sie sei, ihn allein mit dem Vater zurückgelassen zu haben.
Von einem Tag auf den andern war sieverschwunden, daran konnte er sich noch vage erinnern, und irgendwann hatte ihmsein Vater auf seine ständigen Fragen hin, wo Mama sei, geantwortet, sie seijetzt oben im Himmel. Er war auch noch nie an ihrem Grab gewesen, denn seinVater hatte erst vor kurzem gesagt, sie habe eine Seebestattung gewollt, dochdas solle er niemandem erzählen, nur er wisse davon und seine Eltern.
Also liegt deine Asche jetztirgendwo im Meer verteilt, dachte Mike und lächelte der hübschen jungen Frauzu. Er hatte seinen Vater gefragt, woran sie gestorben sei, worauf dieserantwortete, sie habe einen Unfall gehabt. Jedes Mal, wenn er das Gespräch aufseine Mutter brachte, wurde sein Vater kurz angebunden und bisweilen auch unwirsch,einmal hatte er Mike sogar angebrüllt und gesagt, das sei alles lange her under solle sich auf sein eigenes Leben konzentrieren.
Mike setzte sich nach einer halbenStunde auf, fuhr sich ein paarmal durch das kurzgeschnittene Haar, schob die Brille zurecht, die er seit seiner frühesten Kindheittragen musste, und überlegte, was er tun konnte.
Er war gestern fünfzehn geworden,und sein Vater hatte gemeint, er sei nun auf dem besten Weg, ein richtiger Mannzu werden. Die Feier sollte in drei Tagen am Samstag stattfinden, im kleinenKreis, Großeltern, Vater, sein Onkel und seine Tante und vielleicht zweiMitschüler, die auch nichts weiter als das waren, denn Mike hatte keineFreunde. Dafür gab es mehrere Gründe. Er interessierte sich nicht für Sport,während fast alle Jungs und auch etliche Mädchen in seiner Klasse auf Fußball standen,und er ging auch nicht gerne in die Disco oder machte all die andern Sachenmit, die Jungs in seinem Alter eben so machten. Selbst Mädchen waren für ihn nochkein wirkliches Thema, auch wenn es ein paar in seiner Klasse gab, die ihnschon interessiert hätten. Aber sie waren für ihn unerreichbar, hatten alleschon feste Freunde, coole Jungs mit Mopeds, Motorrädern oder gar Autos. Siewaren außerdem alle mindestens ein, manche sogar zwei oder drei Jahre älter,und er wurde von ihnen gar nicht wahrgenommen, es sei denn, eine von ihnen hatteProbleme in einem der naturwissenschaftlichen Fächer und brauchte dringendNachhilfe. Aber für die meisten in seiner Klasse war er ein Streber, einer, mitdem man sich nicht abgab.
Nur ein Mädchen unterschied sich vomRest. Auch sie war hübsch, sehr hübsch sogar, und sie war überaus intelligent, wieer fand, und auch sie schwamm nicht mit dem Strom. Sie war eben anders, sie warbesonders.
Louise war ein Einzelkind wie Mike.Der Vater hatte sich kurz nach ihrer Geburt aus dem Staub gemacht, und nunlebte sie allein mit ihrer Mutter in einem Reihenhaus am Stadtrand vonDüsseldorf, nur wenige Minuten von ihm entfernt. Sie war schon einige Male beiihm zu Hause gewesen, sie hatten sich unterhalten und festgestellt, dass esniemanden sonst gab, mit dem sie über Themen sprechen konnten, die für das Grosder anderen Jugendlichen langweilig waren. Sie war siebzehn, fast so groß wieer und hatte etwas, das ihn magisch anzog. Doch er traute sich nicht, ihr seineGefühle zu zeigen, denn schließlich lagen zwei Jahre zwischen ihnen.
Dennoch träumte er immer wieder vonihr, wenn er wie jetzt allein in seinem Zimmer war und keiner ihn störte.
Sie gingen fast jeden Tag gemeinsamzur Schule, sie telefonierten recht häufig miteinander - aber sie hatten sich nochnie berührt. Er hätte sie gerne einmal angefasst, einfach um zu spüren, wie siesich anfühlte, ihre Haut, ihre Hände, wie ihr Haar duftete. Er träumte auchdavon, sie einmal zu umarmen, und wenn seine Träume noch weiter gingen, dannhielt er sie ganz fest im Arm und streichelte und küsste sie. Bisweilen dachteer: Vielleicht wartet sie nur darauf, dass ich den Anfang mache. Doch dannverwarf er den Gedanken sofort wieder und sagte sich, wie bescheuert er dochsei, auch nur zu denken, sie könnte sich für ihn interessieren. Für Mike, einenmutterlosen, pickligen Jungen von fünfzehn Jahren, mit einer dicken Brille aufder Nase.
Mike hatte Louise zu seinemGeburtstag eingeladen, aber sie hatte bedauernd abgelehnt, da sie am Samstag mitihrer Mutter nach Frankfurt fahre, um ihre Tante zu besuchen.
Er hatte das Gefühl, dass es ihrwirklich leid tat, nicht kommen zu können.
Er war auch noch nie bei ihr zuHause gewesen, und ihre Mutter kannte er nur vom Sehen, eine unscheinbare Frau,in deren Gesicht sich tiefe Gräben gezogen hatten, obwohl sie erst Mittedreißig war. Und es gab auch keinen Mann in ihrem Leben. Louise hatte ihmeinmal anvertraut, dass ihre Mutter einen Hass auf Männer habe und sie ihrgerne helfen würde, aber jedes Mal, wenn sie das Thema anschneide, blocke ihreMutter ab. Und einmal erzählte sie ihm traurig, dass sie nicht nurKettenraucherin sei, sondern auch regelmäßig zur Flasche greife. Louise warüberhaupt ein ernstes, trauriges Mädchen, auch wenn sie oft lachte, aber siefühlte sich einsam, von der Mutter im Stich gelassen und von den Mitschülern unverstanden.Mike war der Einzige, zu dem sie noch Vertrauen hatte, dem sie viele Dingeerzählte, die niemand außer ihr wusste, nicht einmal ihre Mutter, die ohnehindas Leben um sich herum kaum noch wahrzunehmen schien.
Sein Vater war ganz anders. Erführte seit dem Verlust von Mikes Mutter ein recht lockeres Leben. Immer wiederbrachte er neue Bekanntschaften ins Haus, meist junge Damen, mit denen er sehrschnell im Schlafzimmer verschwand, aus dem kurz darauf Stöhnen und Schreiedrangen. Mike wusste, was dieses Stöhnen und diese Schreie bedeuteten, undsetzte sich entweder Kopfhörer mit lauter Musik auf oder verließ das Haus, umspazieren zu gehen oder sich auf die Terrasse zu setzen.
Noch während er in Gedankenversunken war, klingelte das Telefon erneut. Louise. Sie teilte ihm mit, dassdie Fahrt nach Frankfurt am Samstag abgesagt wurde, da ihre Tante krankgeworden sei. Ob die Einladung noch gelte.
Er freute sich wie ein kleines Kind,sie am Samstag zu sehen, auch wenn es ihn schon jetzt nervte, wenn er sich die Fragenseines Vaters und seiner Großeltern vorstellte. Ist das deine neue Flamme? Istes was Ernstes? Er rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.
Keiner von ihnen kannte Louise. Siewar immer nur bei ihm gewesen, wenn er allein zu Hause war. Allein, wie diemeiste Zeit. In einem viel zu großen Haus. Neun Zimmer, ein Schwimmbad mitSauna und Whirlpool im Keller, ein riesiger Garten, drei Autos. Sein Vaterverdiente Unsummen, aber Mike interessierte dies wenig, für ihn zählten andereDinge, auch wenn er mehr Taschengeld bekam als alle andern Jugendlichen inseinem Alter. Viel mehr Taschengeld.
Nach dem Anruf ging Mike nach untenund setzte sich mit einem Buch in die Bibliothek. Am liebsten hätte er mitLouise hier gesessen. Er überlegte, ob er sie anrufen und fragen solle, ob sieLust habe, zu ihm zu kommen. Er verwarf den Gedanken wieder, denn er sagtesich, dass sie bestimmt etwas anderes vorhabe.
Er hörte den Porsche vorfahren,schaute auf die Uhr und stellte verwundert fest, dass zwei Stunden vergangenwaren, seit er sich in die Bibliothek zurückgezogen hatte.
Mike stand auf und rannte in seinZimmer, denn er wollte seinem Vater nicht begegnen. Es gab Zeiten, da ging er ihmaus dem Weg. Sie hatten sich nicht viel zu sagen, und daran würde sich auch nieetwas ändern. Mike konnte mit dem Lebenswandel seines Vaters nichts anfangen.Er arbeitete viel, aber er gönnte sich auch eine Menge Luxus, vor allem Frauen.Doch keine von ihnen holte er sich ins Haus, um gepflegte Konversation zubetreiben, sondern nur zum Vergnügen. Alle waren schön, sein Vater stand aufblonde, vollbusige Frauen, nur ab und zu war auch eine Dunkelhaarige darunter.
Er hörte Stimmen, die seines Vatersund die einer Frau.
Sie lachten und kamen die Treppeherauf. Mike dachte, dies würde wieder einer jener Abende werden, in denen sichsein Pseudovater, wie er ihn abfällig betitelte, mit der Dame seiner Wahl insSchlafzimmer zurückziehen würde, doch es vergingen nur wenige Minuten, bis esan seine Tür klopfte und sein Vater hereinkam.
»Hi«,begrüßte er Mike. »Kann ich dich kurz sprechen?«
»Klar. Was gibts?«
»Ich habe eine nachträglicheGeburtstagsüberraschung für dich.« Er wartete dieReaktion von Mike ab, der seinen Vater nur verwundert anschaute.
»Willst du gar nicht wissen, was esist?«
»Was?«,fragte er gelangweilt.
»Weißt du, als ich fünfzehn war, dawar ich schon ein Mann, wenn du verstehst. Man kann nicht früh genug anfangen, dasLeben zu genießen, es geht viel zu schnell vorbei. Und ich denke, es ist an derZeit, dass auch du endlichWas ich sagen will, ist, du solltest auch endlich einMann werden.«
»Was meinst du damit?«
»Ich hole deine Überraschung rein.Sie wird dir gefallen, ich glaube, ich kenne deinen Geschmack«, antwortete er,öffnete die Tür und winkte mit der Hand. Eine mittelgroße, etwa zwanzigjährigejunge Frau mit langen dunkelbraunen Haaren und einem vollen Busen kam herein.
Sein Vater grinste, die junge Frauwarf einen kurzen Blick auf Mike, der mit gefalteten Händen auf seinem Bett saßund kaum zu atmen wagte.
»Deine Überraschung. Mach mir keineSchande, hörst du. Ihr habt so viel Zeit, wie ihr wollt. Ich verzieh mich dannmal. Vorstellen könnt ihr euch ja selber.«
»Hm«, war alles, was Mikeherausbrachte. Sein Mund war trocken, seine Stimme schien zu versagen. Er sahdie Frau an, die einen Minirock und eine fast durchsichtige enge Bluse trug,die so weit ausgeschnitten war, dass sie ihre Brüste nur spärlich verhüllte.
Sein Vater schloss leise die Türhinter sich. Die junge Frau trat näher.
»Hi, ichbin Moni. Und du bist Mike«, sagte sie mit heller Stimme,setzte sich neben ihn und schlug die langen braunen Beine übereinander. Sieduftete nach einem süßlichen Parfum, das unangenehm in seine Nase zog, was vielleichtdaran lag, dass sein Vater ständig irgendwelche Weiber mit nach Hause brachte,die sich mit irgendwelchem Zeug eingedieselt hatten.Er rutschte ein paar Zentimeter von ihr weg, auch wenn ihr Körper, zumindestdas, was er von ihr sah, ihn erregte.
»Hm.«
»Bist du immer so schweigsam?«, fragte sie und kramte eine Zigarette aus ihrerHandtasche. »Na ja, egal. Hast dun Aschenbecher?«
»Nee, ich«
»Ganz locker, Kleiner«, sagte sie,zündete sich die Zigarette an, stand auf und holte sich eine Untertasse, diesie auf der Fensterbank stehen sah. »Ich bin ein Geburtstagsgeschenk. Willst dudich erst waschen gehen? Oder wollen wir zusammen baden? Dein Dad hat gemeint, wir könnten auch zusammen ins Bad gehen.Wir haben das ganze Haus für uns.«
Mike wurde knallrot und lächelteverschämt. Er hatte mit so etwas nicht gerechnet, eigentlich wollte er dasalles nicht, aber er hatte keine Wahl. Würde er diese Monizurückweisen, würde er Ärger mit seinem Vater bekommen.
Und außerdem hatten die meisten,wenn nicht gar alle Jungs in seiner Klasse schon mal mit einem Mädchengeschlafen. Aber Moni war nicht das, was er sich fürsein erstes Mal vorstellte. Louise war diejenige, in die er sich verliebt hatteund mit der er sich hätte vorstellen können zu schlafen.
Mit einem Mal spürte er, wie Moni seinen Rücken streichelte, ihre Hand nach vorn glittund über seine Brust fuhr und tiefer und immer tiefer und ihr Griff festerwurde.
»Gehen wir ins Bad, es wird Zeit,dass wir ein bisschen Spaß haben. Und du brauchst auch keine Angst zu haben, ichbeiße nicht, nur manchmal«, sagte sie und lachte dabei auf, ein Lachen, dassich anhörte, als käme es aus weiter Ferne und als würde sie ihn verspotten.
Sie nahm ihn bei der Hand, und ererhob sich wie in Trance und folgte ihr. Er wunderte sich nur, dass sie sich sogut auskannte, obwohl er sie noch nie hier gesehen hatte.
Im Bad standen eine FlascheChampagner und zwei Gläser. »Machst du die auf?«,fragte sie, während sie sich auszog.
Seine Hände zitterten leicht, undals Moni merkte, dass er offenbar noch nie eineChampagnerflasche geöffnet hatte, übernahm sie das für ihn, schenkte ein undsagte:
»Auf unsere Freundschaft.« Sie stießmit ihm an, legte ihren Arm um seinen und fuhr fort: »Und jetzt ex.«
© DroemerKnaurVerlag
Interview mit Andreas Franz
Es hatlange gedauert, ehe ein Buch von Ihnen von einem Verlag angenommen wurde undSie zu einem erfolgreichen Krimiautor wurden. Schreiben Sie gerne, oder istSchreiben vor allem harte Arbeit für Sie? Wie empfinden Sie es, nun einBestsellerautor zu sein?
Ich schreibe sogar sehr gerne, aber es ist auch harteArbeit, verdammt harte Arbeit. Doch wie empfinde ich es, nun einBestsellerautor zu sein?! Bin ich überhaupt einer, nur weil ich ein paartausend Bücher mehr als ein paar andere verkaufe? Ich denke, das Problem ist,dass die meisten glauben, Bestsellerautormüsste gleichbedeutend sein mit Bestverdiener.Das ist jedoch ein Riesenirrtum. Es gibt überall, auch hierzulande,Bestsellerautoren, die Millionen verdienen, ich hingegen bin froh, dass ichmeine Familie einigermaßen über die Runden bringen kann. Ein weiteres Problemist, dass z.B. ein Grisham oder Crichton oder eine Walters oder Cornwell oder George und viele andere schon Monate vorErscheinen ihres neuen Werks - ganz gleich wie gut oder miserabel es auch ist -medienwirksam von den Verlagen promotet werden, dazuerhalten sie Vorschüsse, von denen ich und auch andere Autoren jahrelangsorglos leben könnten. Für die oben genannten wird automatisch ein Platz in derBestsellerliste reserviert, doch wenn ich mir zu vielen derer Bücher dieLeserrezensionen anschaue, dann weichen diese doch sehr häufig von der Meinungder Medienrezensenten ab. Seltsam, oder? Meine Leserschaft hat sich im Laufeder Jahre fast ausschließlich durch Mund-zu-MundPropaganda aufgebaut, und durch die Empfehlungen von Buchhändlern, denen ichsehr, sehr dankbar bin. Das heißt aber auch, dass ich noch lange Zeit hartweiterarbeiten muss, bevor ich mir mal einen Burnoutoder einen richtig langen Urlaub leisten kann, von einem schicken Haus ganz zuschweigen. Aber schau mer mal, was die Zukunftbringt. Ich lebe nach dem Motto - cogito ergo sum, ich denke, also bin ich. Und ich hoffe, noch langedenken und auch beobachten zu können. Und sollte irgend jemand nach demGelesenen meinen, ich wäre nur neidisch auf die Großverdiener - falsch, imGegenteil, ich schreibe wenigstens noch selbst und bin froh und dankbar, einenBeruf ausüben zu können, von dem ich immer geträumt habe.
1970 haben Siedas Gymnasium verlassen und eine Sprachschule besucht, um "etwas Ordentlichesaus meinem Leben zu machen." Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Schreiben war ein lang gehegter Traum, derWirklichkeit wurde. Was kann es Schöneres und Erfüllteresgeben?!
Es gibt immerwieder Polizisten, die an dem, was sie über Jahre sehen, seelisch zerbrechen.Wie wird innerhalb der Polizei mit psychischen Problemen umgegangen? Welche Artvon Hilfe ist hier überhaupt möglich?
Es gibt Polizeipsychologen, die sich um z.B. traumatisierteBeamte kümmern, die mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurden. Allerdingsreden viele Beamte nicht über ihre Probleme, sondern fangen etwa an zu trinken,häusliche Gewalt findet man in dieser Berufsgruppe auch nicht selten, dieScheidungsrate ist relativ hoch. Welche Hilfe überhaupt möglich ist ich weißes nicht.
In IhrenKrimis geht es häufig um verschiedene Formen des Missbrauchs. Was bedeutetIhnen dieses Thema?
Missbrauch jedweder Form ist für mich verabscheuungswürdig, weiler nicht nur häufig den Körper verletzt, sondern vor allem die Seele tötet.Und ich gebe zu, es macht mich unendlich wütend, wenn ich wieder einmal voneinem besonders gravierenden Fall höre. In meinen Büchern spielt Missbraucheine große Rolle, denn ich möchte meine Leser auch zum Nachdenken anregen.Kinder können sich nicht wehren, sie schreien ihren Schmerz nach innen undhaben nur sehr selten eine Chance, ihrem Peiniger zu entkommen. Und ich sprecheauch aus eigener Erfahrung, da ich in meiner Kindheit fast vierzehn Jahremiterleben musste, wie meine Mutter beinahe täglich misshandelt und missbrauchtwurde. Deshalb an alle Männer: Finger weg von Kindern und Frauen, es gibtandere Möglichkeiten, seine inneren und äußeren Konflikte zu lösen! Über dasVorwort meines ersten Romans "Jung, blond, tot" habe ich geschrieben: Wenn die Seele verbrennt, bleibt nichteinmal Asche. Missbrauch wird jedenfalls immer wieder mal in einem meinerBücher vorkommen, es wird allerdings kein Dauerthema sein.
Fast alle vonIhnen beschriebenen Fälle beruhen auf wahren Begebenheiten. Sie haben guteKontakte zur Frankfurter Polizei. Gleichzeitig sagen Sie - wie mit ähnlichenWorten übrigens auch Henning Mankell: "DieWirklichkeit sieht allemal düsterer aus, als meine Phantasie es zulässt." Wiepasst das zusammen? Welche Wirklichkeiten verschließen sich Ihnen beimSchreiben?
Es ist richtig, dass ich das gesagt habe. Jedes Mal, wennich mit Kripobeamten spreche, erfahre ich, wie skrupellos manche Menschenvorgehen, so skrupellos, dass meine Phantasie nicht ausreicht, um mir diesauszudenken. Allerdings erhalte ich so nach und nach Einblick in Abgründe, diedie wenigsten sehen oder sehen wollen. Dabei handelt es sich nicht nur um"einfache" Mörder oder Serientäter, sondern auch um die kriminellenMachenschaften in Politik und Wirtschaft. Es ist ein dichtes und immer dichterwerdendes Netz der organisierten Kriminalität, die mittlerweile alle Bereichedes politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens infiltriert oder sogarunter Kontrolle hat. Und das ist erschreckend, aber nicht mehr zu ändern.
Die Personenin Ihren Romanen sind psychologisch sehr einfühlsam gezeichnet. Dabei fälltauf, dass insbesondere das Verhalten der Täter erklärt, ja manchmal geradezu"entschuldigt" wird. Glauben Sie, dass sich jede kriminelle Tatpsychologisch erklären lässt?
Dass ich Täterverhalten entschuldige, ist schlichtwegfalsch. Ich versuche lediglich zu ergründen, was einen Menschen zum Beispiel zueinem Mörder hat werden lassen. Und da gibt es unzählige Gründe, doch einer derhäufigsten - gerade bei Serienkillern - ist persönlich erlebter Missbrauch. Wieich oben bereits erwähnte, verletzt Missbrauch nicht nur den Körper, sonderntötet die Seele, vor allem, wenn dieser Missbrauch über einen längeren Zeitraumhinweg geschieht. Da ich selbst im Alter von fünfzehn Jahren mit einemSerienkiller befreundet war und seine Kindheitsgeschichte fast zwanzig Jahrespäter erfuhr (darauf beruht übrigens "Jung, blond, tot"), begann ich michintensiver mit dem Phänomen Serienkiller zu beschäftigen. Ich entschuldigenicht einen einzigen Mord, ich entschuldige aber auch nicht das, was dieseMenschen letztlich dazu getrieben hat, diese schrecklichen Taten zu begehen.Nur in dem Buch "Das achte Opfer" versuche ich, Verständnis für das Verhaltendes Täters zu wecken, denn dieses Buch beruht ebenfalls auf einer wahrenGeschichte, die mir von einem höchst resignierten Hauptkommissar, der seitbeinahe fünfunddreißig Jahren bei der Kripo ist, erzählt wurde. In besagtemBuch lege ich den Finger in eine Wunde und prangere unser Justizsystem an, wasdazu führte, dass ich mehrere wütende Briefe und Mails von Staatsanwälten undRichtern erhalten habe, in denen ich bezichtigt wurde, Selbstjustizgutzuheißen. Diese werten Damen und Herren sollten das Buch einmal nicht ausder juristischen, sondern der menschlichen Warte lesen. Außerdem sehe ich michweniger als Roman-, denn als Berichtautor, da fast alle von mirniedergeschriebenen Fälle auf wahren Begebenheiten beruhen - und ich merke anden Reaktionen meiner LeserInnen, dass genau dies anmeinen Büchern geschätzt wird. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jedekriminelle Tat psychologisch erklären lässt, da manche Taten im Affekt oder ineinem Zustand geistiger Verwirrung geschehen und somit nicht erklärbar sind,nicht einmal von den Tätern. Eigentlich lassen sich die wenigsten Taten, ganzgleich welcher Art, psychologisch erklären, auch wenn manche sogenannte Gutachter und Psychologen das zu können meinen.Der menschliche Geist, die Psyche und die Emotionen sind dazu noch viel zuwenig erforscht.
Die Fragenstellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Andreas Franz
- 2006, 31. Aufl., 448 Seiten, Maße: 11,5 x 17,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426633507
- ISBN-13: 9783426633502
- Erscheinungsdatum: 06.09.2006
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