Älter werden
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Älter werden “
Klappentext zu „Älter werden “
Älter werden wir alle, von Anfang an, und es gibt keine Aussicht auf Umkehr. Erst, wir sind noch ein Kind, wollen wir es unbedingt, dann, wir sind erwachsen, widerfährt es uns fast unmerklich, schließlich, die Jahre gehen ins Land, kommen die Tage des Rückblicks, auf die Zeit, in der wir die Zukunft noch vor uns hatten.»Älter werden« gibt persönlich erzählend, räsonierend und kommentierend einen Rückblick auf das gelebte Leben und einen Ausblick auf möglicherweise Kommendes. Diese erzählten Erinnerungen und gedanklichen Spiele fügen sich zu einem poetischen Bericht über eines der zentralen Themen unserer Zeit.
Lese-Probe zu „Älter werden “
Älter werden von Silvia Bovenschen LESEPROBE Anfangen Aufhören
Wann habe ich angefangen, bei der Ansicht älterer Filme zu registrieren, welche der Schauspieler schon gestorben sind?
Wann habe ich angefangen, bewußt im Fernsehen alte deutsche Filme aus den fünfziger oder frühen sechziger Jahren anzusehen, Filme, die mich (ihr Inhalt nicht und ihre Ästhetik schon gar nicht) überhaupt nicht interessieren, nur in der Hoffnung, noch einmal den stillen Frieden kriegsverschonter Straßen in den sogenannten besseren Wohngegenden der Städte zu sehen: selten mal ein Auto, zuweilen ein Motorrad mit Beiwagen, baumgesäumte, stille Straßen in Schwarzweiß, holpriges Pflaster, freilaufende Hunde ... Ich sehe die Stille eines Sommertages. War ich als Kind glücklich, als ich das sah, oder will ich mich jetzt darin als glückliches Kind sehen?
Wann habe ich angefangen, die Menschen auf der Straße einzuteilen in diese, die leben wollen, und in jene, die leben müssen?
Als Heiner Müller in einem Interview kundgab, daß der Zeitpunkt erreicht sei, da die Zahl der gegenwärtig Lebenden größer sei als die der Toten aller Vergangenheit, habe ich überlegt, wann der Zeitpunkt erreicht sein wird, da die Zahl der in mir präsenten Toten, die ich einmal mochte, gar liebte, größer sein wird als die der mir nahestehenden Lebenden.Jahreszeiten
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Einst, als Kind, nahm ich die Jahreszeiten, wie sie kamen - den Wechsel von Helligkeit und Dunkelheit, Wärme und Kälte, Schulzeit und Ferienzeit. Es lohnte nicht, über diese Ablösungen nachzudenken, das Jeweilige dauerte zu lang, unendlich lang. Im Winter konnte ich mir nicht einmal mehr sehnend vorstellen, daß es dereinst wieder Sommer werden würde.
Wann habe ich angefangen, die Jahreszeiten ernst zu nehmen? Im Herbst den Anfang eines Sterbens zu sehen? Mich vor dem Winter zu fürchten, wirklich zu fürchten?
Altern des Lachens
Wenn ich jetzt Filme sehe, die ich in meiner Jugend schon einmal sah, schäme ich mich nicht bei der Erinnerung, daß mich einst diese Schnulze (wann wurde dieses Wort aufgegeben?) zum Weinen brachte, wohl aber bei der, daß ich einmal bei jener Klamotte herzlich lachte.
Dicke Pferde
Sie verschwanden so langsam, so schleichend aus dem Straßenbild, daß mir ihr Verschwinden erst viel später auffiel, als es sie lange schon nicht mehr gab: die Gezeichneten, die Versehrten, die Krüppel, wie man damals noch sagte. Männer an Krücken, ein leeres Hosenbein hochgebunden, ein inhaltsloser Jackenärmel schlaff herunterhängend, die starre hölzerne Hand im schwarzen Handschuh, schlecht geflickte Gesichter.
wieder ins Bett gehen könnte«, sagt meine achtundachtzigjährige Freundin F. G. am Telephon. »Das kenne ich«, sage ich. »Wenn ich kleine Arbeitsgänge im Haushalt erledigt habe, die ich früher so nebenbei hinter mich gebracht hätte, muß ich mich gleich wieder hinlegen«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. »Für alles, wirklich für alles, was ich tue, brauche ich jetzt die doppelte, wenn nicht dreifache Zeit«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. »Es vergeht kein Tag, am dem ich nicht an den Tod denke«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. Dann erzählt sie mir übergangslos eine witzige Alltagsbeobachtung, die mir sagt, daß sie noch gerne lebt. Dieses Nebeneinander kenne ich auch.
So gesehen, nach Maßgabe solcher Erfahrungen, hätte ich das Buch schon vor zwanzig Jahren schreiben können.Verkaufsüberlegungen
Einst sollte dieses Buch den Titel »Einst« erhalten. Ich mag dieses diffuse Wort. In seiner Unbestimmtheit entspricht es dem Zustand meines Gedächtnisses. Diese Analogie überdeckte ein leichtes Unbehagen im Hintergrund. Bis meine Freundin S. Sch. sagte: »Nicht schlecht, aber für einen Titel doch etwas betulich.« Genau! »Älter werden« fand Gnade bei ihr.
Jetzt: »Vielleicht solltest du dir doch noch einen anderen Titel überlegen«, sagt mein Lektor, der ein Freund ist, am Telephon. Er ist zwanzig Jahre jünger als ich. »Warum?« frage ich. »Es könnte sein, daß sich von dem Titel ›Älter werden‹ nur Ältere angesprochen fühlen«, sagt er. »Warum?« frage ich tückisch weiter. »Älter wird man doch vom ersten Tag des Lebens an.« Er lacht etwas genervt.
Er hat natürlich recht. Ab der Mitte des Lebens steht das Altern anders im Bewußtsein als in den vorangegangenen Jahren. Das Buch »Älter werden« hätte ich mir ohne Empfehlung im Alter von dreißig Jahren wahrscheinlich nicht gekauft. Ich ändere den Titel trotzdem nicht.
»Würdest du ein Buch mit dem Titel ›Älter werden‹ kaufen?« frage ich am gleichen Tag meinen Freund Th. J., der auch zwanzig Jahre jünger ist. »Auf keinen Fall«, sagt er. »Warum?« - »Es klingt wie ein Ratgeber-Buch.«
Ich überlege, ob ich den Titel nicht doch ändern sollte.
Wenige Stunden später ruft mich mein Freund A. G. D. an - auch er ist erheblich jünger. Ich frage ihn, was er von dem Titel hält: »Guter Titel«, sagt er, »lakonisch und einfach.« Ich bin froh, er war mir immer ein guter Ratgeber und Anreger für meine Texte. Wie angenehm sind doch Ratschläge, die den eigenen Neigungen entgegenkommen.Seenot
MS. Ich wußte früh, daß dies die Abkürzung für Motorschiff ist. Wenn ich die Abkürzung oder das Wort Motorschiff hörte, assoziierte ich eine Zeitlang ein kleines Boot, das ich als Kind besaß. Es war etwas zu groß für die Badewanne. Aber wenn wir im Sommer an einen See fuhren, kam es zum Einsatz. Es war weiß, hatte einen großen Schornstein, einen Kajütenaufbau, war bunt bewimpelt, und am Bug stand MS Esperanza.
Aber dann, noch in satter Jugend, mußte ich erfahren, daß MS auch die Abkürzung für eine tückische Krankheit ist, die mich befallen hatte. Rasend schnell drehte sich der Assoziationswind. Plötzlich befand sich das fröhlich beflaggte Schiffchen, das einst einen sommerlichen Ausflugsspaß verhieß, in schwerer See.
© Fischer Verlag
Wann habe ich angefangen, die Jahreszeiten ernst zu nehmen? Im Herbst den Anfang eines Sterbens zu sehen? Mich vor dem Winter zu fürchten, wirklich zu fürchten?
Altern des Lachens
Wenn ich jetzt Filme sehe, die ich in meiner Jugend schon einmal sah, schäme ich mich nicht bei der Erinnerung, daß mich einst diese Schnulze (wann wurde dieses Wort aufgegeben?) zum Weinen brachte, wohl aber bei der, daß ich einmal bei jener Klamotte herzlich lachte.
Dicke Pferde
Sie verschwanden so langsam, so schleichend aus dem Straßenbild, daß mir ihr Verschwinden erst viel später auffiel, als es sie lange schon nicht mehr gab: die Gezeichneten, die Versehrten, die Krüppel, wie man damals noch sagte. Männer an Krücken, ein leeres Hosenbein hochgebunden, ein inhaltsloser Jackenärmel schlaff herunterhängend, die starre hölzerne Hand im schwarzen Handschuh, schlecht geflickte Gesichter.
wieder ins Bett gehen könnte«, sagt meine achtundachtzigjährige Freundin F. G. am Telephon. »Das kenne ich«, sage ich. »Wenn ich kleine Arbeitsgänge im Haushalt erledigt habe, die ich früher so nebenbei hinter mich gebracht hätte, muß ich mich gleich wieder hinlegen«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. »Für alles, wirklich für alles, was ich tue, brauche ich jetzt die doppelte, wenn nicht dreifache Zeit«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. »Es vergeht kein Tag, am dem ich nicht an den Tod denke«, sagt sie. »Das kenne ich«, sage ich. Dann erzählt sie mir übergangslos eine witzige Alltagsbeobachtung, die mir sagt, daß sie noch gerne lebt. Dieses Nebeneinander kenne ich auch.
So gesehen, nach Maßgabe solcher Erfahrungen, hätte ich das Buch schon vor zwanzig Jahren schreiben können.Verkaufsüberlegungen
Einst sollte dieses Buch den Titel »Einst« erhalten. Ich mag dieses diffuse Wort. In seiner Unbestimmtheit entspricht es dem Zustand meines Gedächtnisses. Diese Analogie überdeckte ein leichtes Unbehagen im Hintergrund. Bis meine Freundin S. Sch. sagte: »Nicht schlecht, aber für einen Titel doch etwas betulich.« Genau! »Älter werden« fand Gnade bei ihr.
Jetzt: »Vielleicht solltest du dir doch noch einen anderen Titel überlegen«, sagt mein Lektor, der ein Freund ist, am Telephon. Er ist zwanzig Jahre jünger als ich. »Warum?« frage ich. »Es könnte sein, daß sich von dem Titel ›Älter werden‹ nur Ältere angesprochen fühlen«, sagt er. »Warum?« frage ich tückisch weiter. »Älter wird man doch vom ersten Tag des Lebens an.« Er lacht etwas genervt.
Er hat natürlich recht. Ab der Mitte des Lebens steht das Altern anders im Bewußtsein als in den vorangegangenen Jahren. Das Buch »Älter werden« hätte ich mir ohne Empfehlung im Alter von dreißig Jahren wahrscheinlich nicht gekauft. Ich ändere den Titel trotzdem nicht.
»Würdest du ein Buch mit dem Titel ›Älter werden‹ kaufen?« frage ich am gleichen Tag meinen Freund Th. J., der auch zwanzig Jahre jünger ist. »Auf keinen Fall«, sagt er. »Warum?« - »Es klingt wie ein Ratgeber-Buch.«
Ich überlege, ob ich den Titel nicht doch ändern sollte.
Wenige Stunden später ruft mich mein Freund A. G. D. an - auch er ist erheblich jünger. Ich frage ihn, was er von dem Titel hält: »Guter Titel«, sagt er, »lakonisch und einfach.« Ich bin froh, er war mir immer ein guter Ratgeber und Anreger für meine Texte. Wie angenehm sind doch Ratschläge, die den eigenen Neigungen entgegenkommen.Seenot
MS. Ich wußte früh, daß dies die Abkürzung für Motorschiff ist. Wenn ich die Abkürzung oder das Wort Motorschiff hörte, assoziierte ich eine Zeitlang ein kleines Boot, das ich als Kind besaß. Es war etwas zu groß für die Badewanne. Aber wenn wir im Sommer an einen See fuhren, kam es zum Einsatz. Es war weiß, hatte einen großen Schornstein, einen Kajütenaufbau, war bunt bewimpelt, und am Bug stand MS Esperanza.
Aber dann, noch in satter Jugend, mußte ich erfahren, daß MS auch die Abkürzung für eine tückische Krankheit ist, die mich befallen hatte. Rasend schnell drehte sich der Assoziationswind. Plötzlich befand sich das fröhlich beflaggte Schiffchen, das einst einen sommerlichen Ausflugsspaß verhieß, in schwerer See.
© Fischer Verlag
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Autoren-Porträt von Silvia Bovenschen
Silvia Bovenschen, geboren 1946, gestorben am 25. Oktober 2017, lebte als Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Essayistin zuletzt in Berlin. 2000 wurde sie mit dem Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, 2007 erhielt sie den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik und 2012 den Schillerpreis der Stadt Mannheim. Unter anderem erschienen »Schlimmer machen, schlimmer lachen« (1998), »Über-Empfindlichkeit. Spielformen der Idiosynkrasie« (2000), »Älter werden« (2006), »Verschwunden« (2007), »Wer Weiß Was« (2009), »Wie geht es Georg Laub?« (2011), »Nur Mut« (2013), »Sarahs Gesetz« (2015) und zuletzt der Roman »Lug und Trug und Rat und Streben« (2018).Literaturpreise:Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim (2000)Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (2000)Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk (2007)Schillerpreis der Stadt Mannheim (2012)
Bibliographische Angaben
- Autor: Silvia Bovenschen
- 2008, 8. Auflage, 156 Seiten, Maße: 12,4 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596175321
- ISBN-13: 9783596175321
- Erscheinungsdatum: 08.04.2008
Rezension zu „Älter werden “
"Ein großes Buch. Aber keines, vor dem der Leser in die Knie geht, sondern eines, das ihn voller Lust den Beobachtungen und den Gedankengängen der Autorin folgen lässt. Älter werden beflügelt wie manche Filme, wie Musik es tut. (...)Silvia Bovenschen ist ein heiteres, leichtes Buch über eines der schwersten Themen, übers Altern und Sterben geglückt. Groß ist dieses Buch, weil es auch um die Lüge in diesem Bild vom Alter weiß und nicht davor scheut, an seine Schrecken zu erinnern." (Berliner Zeitung)"Was für ein geistreiches, anmutiges, inspirierendes Buch, was für ein seltenes Buch! In diesem Fall ist Älter werden ein Glück." (Brigitte)
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