Bildung
Dietrich Schwanitz ist es...
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Dietrich Schwanitz ist es gelungen, unser modernes Allgemeinwissen zu sichten und neu zu ordnen.
Er reduziert die Flut des Wissens auf das Wesentliche und stellt die richtigen Zusammenhänge her.
Bildung
von DietrichSchwanitz
LESEPROBE
Wissen
Einleitung über denZustand der Schulen und desBildungssystems, die
man ohne weiteres überspringen kann
Als Robinson Crusoe sichnach dem Schiffbruch an Land gerettet und
sich einigermaßen erholthatte, besann er sich auf die Fähigkeiten
eines guten Bürgers: Erverschaffte sich einen Überblick über das
Wrack; er machteInventur; er bilanzierte seine Möglichkeiten; und
er analysierte seineSituation.
Wir sind, was die Bildungbetrifft, in der Lage Robinsons. Wir haben
Schiffbruch erlitten. Dasist schlimm, aber es ist keine Katastrophe,
solange man seine Moralbehält, nicht in Panik gerät, lernfähig ist
und zäh genug, alleswieder neu aufzubauen. Machen wir also Inventur.
Sichten wir das Wissenund trennen wir das Wesentliche vom Unwesentlichen.
Überprüfen wir unsereMaßstäbe. Korrigieren wir unsere Fehler. Und
gewinnen wir dabei unsereUrteilsfähigkeit zurück. Wie ist die Lage,
wenn wir sie nichtbeschönigen?
Die drei monströsenSchwestern: die Gorgonen
Bildung ist zu einemSchattenreich geworden. In ihm sind die Vorstellungen
davon verdampft, was maneigentlich lernen soll. Eine ernsthafte,
fachlich solideÜberlegung über Bildungsziele findet nirgendwo statt.
Stattdessen herrschen die beidenSchwestern - die große Verunsicherung
und die großeUnübersichtlichkeit.
Immer neue Modelle werdendurchgespielt. Die Schule ist zum Prinzip
des Tauschhandelszurückgekehrt. Deutsch kann durch Sport ausgeglichen
werden und Mathematikdurch Religion. Punkte in Leistungskursen zählen
doppelt soviel wie die ingewöhnlichen Kursen. Das hat die Schule
zu einem Markt gemacht,auf dem Zensuren gehandelt werden und die
Schüler mit den Lehrernum Prozentpunkte feilschen. Daß alles mit
allem kombinierbar, allesaustauschbar und alles kompensierbar ist,
hat die dritte der Gorgonenschwestern inthronisiert: die große Beliebigkeit.
Ihre Herrschaft hat dieIdee vom unaustauschbaren, mit der Sache verbundenen
Bildungswert eines Fachesverdunsten lassen. Das Grundprinzip jeder
Ordnung vonWissensbeständen wurde fallengelassen: die Unterscheidung
von Wesentlichem undAustauschbarem, von Zentralem und Randständigem,
Pflicht und Kür,Kernfächern und Wahlfächern.
Mythos und Kosmologielehren uns: Wenn die Entwicklung einen Tiefpunkt
erreicht hat, ist es Zeitfür eine Umkehr; die längste Nacht ist zugleich
auch die Sonnenwende;nach dem Abstieg in die Hölle erfolgt die Auferstehung.
Deshalb ist es an derZeit, die Herrschaft der drei Schwestern zu
beenden - der großenVerunsicherung, der großen Unübersichtlichkeit
und der großenBeliebigkeit. Zu den mythologischen Gorgonen gehört
die Medusa,deren Blick tötet; hält man ihr den Spiegel vor, tötet
sie sich selbst. Fangenwir damit an.
Schulen
Die Schulen leiden inDeutschland an einem quälenden Widerspruch: Die
Schüler sollen überalldas gleiche lernen, damit die Abschlüsse -
vor allem das Abitur -wenigstens ungefähr das gleiche Niveau haben.
Aber jedes Bundeslandmacht seine eigene Schulpolitik, und wie die
aussieht, hängt von derPartei ab, von der es regiert wird. Weil aber
in einerLeistungsgesellschaft die Karrieren der Menschen vom Bildungssystem
abhängen, ist dasSchulwesen zwischen den Parteien besonders umkämpft.
Deshalb gibt es diebeiden Lager der SPD-Länder und der CDU-Länder.
Ein Herzensanliegen derSPD ist die Gesamtschule. Sie wurde auf Kosten
der Gymnasien besondersgefördert. Man wollte mit der Gesamtschule
die Klassengegensätzeabbauen und die Chancen für alle erhöhen, durch
Bildung gesellschaftlichaufsteigen und ein reiches und erfülltes
Leben führen zu können.Außerdem hoffte man, daß die Gesamtschule
das fördern würde, wasman »kommunikative Kompetenz« nannte und womit
man wechselseitigesVerständnis füreinander meinte.
Die CDU dagegen setzteweiterhin auf das dreigliedrige Schulsystem
mit Gymnasien,Realschulen und Hauptschulen. Inzwischen kann man sagen,
daß von den Ergebnissen her die CDU diesen Streitgewonnen hat: Die
Gesamtschule hat nichtgehalten, was man sich von ihr versprach. Alle
Leistungsvergleichebeweisen: Gesamtschüler sind schlechter als Schüler
der Gymnasien und sogarals Realschüler vergleichbarer Stufen. Und
auch die Hoffnung, daß die Unterlegenheit im Intellektuellen durch
eine Überlegenheit insozialer Kompetenz ausgeglichen wird, hat sich
nachweislich nichterfüllt. Die Untersuchungen sind hier nicht kontrovers,
sondern belegeneindeutig: Gesamtschulen weisen eine höhere Gewalt-
und Kriminalitätsrate aufals andere Schulen, der Drogenkonsum ist
höher und dieRücksichtslosigkeit größer, dafür aber sind die Leistungen
in Deutsch und Mathematikgeringer. Und im allgemeinen ist das Abitur
in Ländern, die lange vonder SPD regiert wurden, leichter zu haben
als in solchenBundesländern, in der die CDU ein Dauerabonnement auf
die Regierung hatte.Entsprechend wird von einem Abiturienten in Hamburg,
Nordrhein-Westfalen oderHessen weniger verlangt als von einem Abiturienten
aus Bayern oderBaden-Württemberg. Trotzdem gilt das Abitur überall
als Zugangsberechtigungzum Studium, unabhängig davon, wo es gemacht
wurde. Das ist ungerechtin doppeltem Sinne: Der bayerische Abiturient
muß mehr leisten, um denselben Notendurchschnitt zubekommen als sein
Hamburger Mitschüler; derHamburger kann also leichter die Hürde der
Zulassungsbeschränkungeines Numerus-clausus-Faches überwinden. Andererseits
hat der HamburgerHochbegabte keine Möglichkeit, so viel zu lernen
wie sein bayerischerAltersgenosse, weil er nicht so gefordert wird.
Bei den inflationierten (entwerteten) Zensuren hat er auch keineChance,
sich auszuzeichnen, undsitzt so zusammen mit einem Haufen mittelmäßiger
Schüler im gleichen Boot.Bleibt ihm nur zu hoffen, daß seine Begabung
und der Zufall ihn nachAmerika führen, wo er dann bleiben wird.
Unter dem Eindruck dieserdeprimierenden Ergebnisse haben die Vertreter
der Kultusbürokratie aufein Mittel zurückgegriffen, das sich bewährt
hat und in verzweifeltenLagen immer wieder benutzt wurde. Dafür gibt
es viele historischeBeispiele: Bekanntgeworden etwa sind die Dörfer
des russischen FürstenPotemkin, der seiner Zarin mit transportablen
Fassaden eine FataMorgana blühender Bauernsiedlungen vorgaukelte,
oder die gefälschtenStatistiken des real existierenden Sozialismus
oder des Kaisers neueKleider. Mit anderen Worten: Das Zaubermittel
bestand in derAufrechterhaltung von Fiktionen, der Leugnung der Realität
und dem Ignorieren desOffensichtlichen. Die Kultusminister sind in
diesem Falle soweitgegangen, wissenschaftliche Untersuchungen zum
Leistungsvergleich derSchulen geheimzuhalten.
Deshalb gibt es dasParadox: Fast nirgendwo wird so viel gelogen wie
in der Bildungs- undSchulpolitik.
Dabei liegt der Haken desganzen Konzepts in einem einfachen Fehler,
den jedes Kind genausobenennen könnte wie die Blöße des Kaisers:
Man verwechselt dieChancengleichheit am Anfang des schulischen Leistungswettbewerbs
mit der gewünschtenGleichheit der Ergebnisse am Ende.
Man konnte es einfachnicht ertragen, daß nach der Öffnung desBildungssystems
für alle - unabhängig vonder sozialen Herkunft - es ausgerechnet
die Schulen waren, diewieder neue Unterschiede schufen: Diese waren
nicht mehr Unterschiededer Herkunft, sondern Unterschiede nach Maßgabe
von Begabungen,Lernwillen, Einsatzfreude, Interesse und Ehrgeiz.
Was tat man? Man höhltedie fundamentale Sozialtechnik aus, auf der
aller Unterricht beruht:die Bewertung von Lernfortschritten durch
Zensuren, anhand dererein Schüler sich selbst einschätzen, vergleichen
und motivieren kann.
Zensuren sind keineabsoluten, sondern Vergleichsmaßstäbe; wie Geld
machen sieUnvergleichbares vergleichbar. Für jeden sehr guten Schüler
gibt es einenmittelmäßigen oder schlechten, der sich von ihm unterscheidet.
Ohne schlechte sind guteSchüler nicht zu haben. Das aber wurde geleugnet.
Die Zensuren wurden inflationiert. Das war wie bei der Inflation des
Geldes: Jeder hat zwarjetzt die Brieftasche voller Tausender, aber
dafür konnte er sichnichts kaufen. Jeder Schüler, der nicht direkt
schwachsinnig war, bekamjetzt eine passable oder sogar eine hohe
Punktzahl; aber sie warnichts mehr wert und hatte ihre Aussagekraft
verloren. Was in derSprache die Phrasen, wurden in den Schulen die
Zensuren: sie bedeutetennichts mehr.
Damit brachen an denSchulen die Normen zusammen. Für Jugendliche,
die von Haus aus sehrnormativ denken, war das ein Anlaß, ihre Schule
geringzuachten; sie konnten sich mit so einer Institution nichtidentifizieren.
Die Verachtung ergriffauch die Lehrer, die einem schrecklichen Schicksal
ausgesetzt wurden.
© GoldmannVerlag
Autoren-Porträt von Dietrich Schwanitz
Dietrich Schwanitz wurde am 23.4.1940 in Wernean der Lippe (Ruhrgebiet) geboren, verbrachte seine Kindheit bis zum elftenLebensjahr bei mennonitischen Bergbauern in derSchweiz ohne Schulbesuch und wurde nach seiner Rückkehr von einem tollkühnenGymnasialdirektor ohne Vorkenntnisse in die höhere Schule aufgenommen. Erstudierte nach dem Abitur Anglistik, Geschichte und Philosophie in Münster,London, Philadelphia und Freiburg, wo er in Anglistik promoviert wurde und sichnach Forschungsaufenthalten in den USA auch habilitierte. Von 1978 bis 1997lehrte er als Professor für englische Literatur und Kultur an der UniversitätHamburg.
Seit1997 ist Dietrich Schwanitz freier Autor.
- Autor: Dietrich Schwanitz
- 2002, 704 Seiten, 12 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 12,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442151473
- ISBN-13: 9783442151479
- Erscheinungsdatum: 17.01.2002
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