Das Flüstern der Nacht / Dämonenzyklus Bd.2
Roman. Deutsche Erstausgabe
Die Menschheit wird bestimmt von den Dämonen der Dunkelheit. Nur einer wagt es, sich mit magischen Siegeln den finsteren Mächten entgegenzustellen: der junge Arlen. Als ein zweiter Befreier erscheint, bricht das Chaos aus. Doch Arlen hält an seiner Hoffnung fest.
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Produktinformationen zu „Das Flüstern der Nacht / Dämonenzyklus Bd.2 “
Die Menschheit wird bestimmt von den Dämonen der Dunkelheit. Nur einer wagt es, sich mit magischen Siegeln den finsteren Mächten entgegenzustellen: der junge Arlen. Als ein zweiter Befreier erscheint, bricht das Chaos aus. Doch Arlen hält an seiner Hoffnung fest.
Klappentext zu „Das Flüstern der Nacht / Dämonenzyklus Bd.2 “
Tauchen Sie ein in eine fantastische Welt!Die Menschheit ist gefangen in der Furcht vor den Dämonen der Dunkelheit. Nur der junge Arlen beschließt, sich mit magischen Siegeln den finsteren Wesen entgegenzustellen, und wird schon bald zu einer Legende. Als plötzlich aus dem Süden ein zweiter Befreier der Menschen auftaucht, droht alles in Chaos zu versinken. Doch Arlen hält fest an seiner Hoffnung auf das Ende der Nacht ...
Lese-Probe zu „Das Flüstern der Nacht / Dämonenzyklus Bd.2 “
Das Flüstern der Nacht von Peter V. BrettPROLOG
Seelendämonen
333 NR
Es geschah in der Nacht vor Neumond, in der dunkelsten Stunde,
als nicht einmal die Spur eines silbernen Streifs zu sehen war.
An einer kleinen, stockfinsteren Stelle unter den mächtigen Ästen
einer Baumgruppe stieg eine bösartige Substanz aus dem Horc
auf.
Der düstere Nebel verdichtete sich langsam zu einem Paar riesenhafter
Dämonen, deren grobe, braune Haut knorrig und rau
war wie Baumrinde. Sie hatten eine Schulterhöhe von neun Fuß,
und ihre gekrümmten Klauen gruben sich in den mit gefrorenem
Gestrüpp und Kiefernnadeln bedeckten Boden, während sie witternd
die Luft einsogen. Ein leises Grollen drang aus ihren Kehlen,
und mit schwarzen Augen überprüften sie die nähere Umgebung
der Baumgruppe.
Zufriedengestellt rückten sie ein Stück weit auseinander und
nahmen eine geduckte, sprungbereite Haltung ein. An der stockfinsteren
Stelle hinter ihnen vertieften sich noch die Schatten, und
Verdorbenheit schwärzte den Waldboden, als zwei weitere nebelhafte
Umrisse aufstiegen.
... mehr
Diese Gestalten waren von zierlicher Statur, kaum fünf Fuß groß,
mit einer weichen, holzkohlefarbenen Hülle, die sich stark von dem
zerklüfteten, borkeähnlichen Panzer ihrer massigeren Verwandten
unterschied. Die Krallen an den Spitzen ihrer zarten Finger und
Zehen wirkten schwach - sie waren fein und gerade wie die gepflegten
Nägel einer Frau. Die Münder in den flachen Gesichtern
wiesen nur eine Reihe von scharfen, aber kurzen Zähnen auf. Die
Köpfe erschienen wie aufgebläht, mit großen, lidlosen Augen und
hohen, kegelförmigen Schädeln. Das darüberliegende Fleisch schloss
sich um verkümmerte Hornstümpfe, knotig, fleckig und immerfort
pulsierend: Horcling-Prinzen.
Eine geraume Weile starrten die beiden Neuankömmlinge einander
an, und ihre Kopfhaut zuckte in einem rhythmischen Pochen,
während sich die Luft zwischen ihnen mit Vibrationen füllte.
Einer der größeren Dämonen bemerkte, dass sich im Dickicht
etwas bewegte, und zog mit erschreckender Schnelligkeit eine
Ratte aus ihrem Versteck. Der Horcling hob den Nager dicht vor
seine Augen und betrachtete ihn voller Neugier. Während dieses
Vorgangs verwandelte sich das Maul des Dämons in die Schnauze
einer Ratte; Nase und Schnurrhaare zitterten, und es bildeten sich
zwei lange Schneidezähne. Mit der Zunge prüfte der Horcling ihre
Schärfe.
Einer der schlanken Seelendämonen drehte sich mit pulsierender
Stirn um und fasste den Horcling, der sich gerade mit der
Ratte beschäftigte, ins Auge. Ein leichter, schneller Schlag genügte
dem Mimikrydämon, um das Tier auszuweiden und es zur Seite
zu schleudern. Auf den Befehl der Horcling-Prinzen hin änderten
die beiden Mimikrydämonen ihre Gestalt und verwandelten sich
in riesige Winddämonen.
Die Seelendämonen zischten, als sie den stockdunklen Winkel
verließen und sich dem Sternenlicht aussetzten. Ihr Atem gefror
in der Kälte, aber ohne ein Zeichen des Unbehagens stapften sie
durch den Schnee. Die Mimikrydämonen duckten sich tief über
den Boden, die Horcling-Prinzen liefen über die Schwingen, setzten
sich auf ihre Rücken, und mit einem gewaltigen Satz ging es
hoch empor in den Himmel.
Auf ihrem Flug nach Norden segelten sie über zahlreiche Drohnen
hinweg. Egal ob groß oder klein, alle diese Dämonen kauerten
sie sich hin, bis die Horclinge vorbeigeflogen waren, um dann
dem Ruf der Horcling-Prinzen zu folgen.
Die Mimikrys landeten auf einer Anhöhe, die Seelendämonen
ließen sich zu Boden gleiten und betrachteten das unter ihnen liegende
Bild. Ein gewaltiges Heer von Menschen breitete sich über
die Ebene aus, weiße Zelte übersäten das Land, auf dem der
Schnee zu Matsch niedergetrampelt und dann steinhart gefroren
war. Große, buckelige Lasttiere, mit Decken vor der Kälte geschützt,
standen mit gefesselten Vorderbeinen in magischen Zirkeln.
Die Siegel rings um das Lager waren mächtig, und Wachposten,
die Gesichter mit schwarzen Tüchern verhüllt, patrouillierten
an seinem Rand entlang. Selbst aus dieser Entfernung konnten die
Seelendämonen die Kraft spüren, die von ihren mit Schutzzeichen
verstärkten Waffen ausging.
Hinter den Siegeln des Lagers war das Feld mit Dutzenden von
toten Dämonen bedeckt, die darauf warteten, von dem Tagesstern
verbrannt zu werden.
Als Erste erreichten Flammendrohnen die Erhebung, auf der
die Prinzen Posten bezogen hatten. In respektvoller Entfernung
begannen sie, ihren Herren durch einen Tanz zu huldigen und ihre
Verehrung hinauszukreischen.
Wieder ein Pulsieren der Stirn, und die Drohnen verstummten.
Totenstille senkte sich über die Nacht, obwohl sich eine große
Horde von Dämonen versammelte, die die Horcling-Prinzen zu
sich gerufen hatten. Baum- und Flammendämonen standen Seite
an Seite und vergaßen ihren tief wurzelnden Hass aufeinander,
während Winddrohnen hoch oben am Himmel kreisten.
Ohne die Versammlung zu beachten hielten die Seelendämonen
ihre Blicke auf die Ebene gerichtet, und ihre Schädel pochten
unentwegt. Nach einer Weile schaute einer von ihnen zu seinem
Mimikry hinüber, um ihm seine Wünsche mitzuteilen; daraufhin
schmolz das Fleisch der Kreatur, schwoll an und gestaltete sich zu
einem wuchtigen Felsendämon um. Schweigend folgte die Schar
der Drohnen ihm den Hügel hinunter.
Auf dem Gipfel blieben die beiden Prinzen und der andere Mimikrydämon
zurück. Sie beobachteten und warteten ab.
Dicht in der Nähe des Lagers, noch im Schutz der Dunkelheit,
verlangsamte der Mimikrydämon sein Tempo und scheuchte die
Flammendrohnen nach vorn.
Flammendämonen waren die kleinsten und schwächsten der
Horclinge, und ihre Augen und das Maul glühten von dem Feuer,
das in ihrem Inneren toste. Die Wachposten erspähten sie sofort,
aber die Drohnen reagierten blitzschnell, und ehe die Wachen Alarm
schlagen konnten, attackierten sie feuerspuckend die Siegel.
Zischend traf der Feuerspeichel auf die magischen Symbole,
doch auf Geheiß der Seelendämonen richteten die Drohnen ihren
Angriff auf die Schneeverwehungen außerhalb des Zirkels, wobei
ihr Atem sich augenblicklich in kochend heißen Dampf verwandelte.
Die Wachen, die sich hinter den Zeichen in Sicherheit befanden,
blieben unverletzt, doch ein heißer Nebel stieg auf, brannte
in ihren Augen und verpestete die Luft sogar hinter ihren Gesichtsschleiern.
Einer der Wächter hetzte durch das Lager und läutete mit einer
Glocke Sturm. Die ohrenbetäubenden Töne waren noch nicht verhallt,
da stürmten seine Kameraden furchtlos hinter die Siegel, um
die nächstbesten Flammendämonen mit ihren Speeren aufzuspießen.
Magie sprühte, als sich die Waffen durch ihre scharfen, überlappenden
Schuppen bohrten.
Andere Drohnen griffen von den Seiten her an, aber die Wächter
gingen vereint vor und gaben sich im Kampf mit ihren
bedeckten Schilden gegenseitig Deckung. Im Lager wurden
Rufe laut, als sich noch mehr Krieger in die Schlacht stürzten.
Abgeschirmt vom Nebel und der Dunkelheit rückte die Armee
des Mimikrydämons unaufhaltsam vor. Die Rufe der Wächter,
die gerade noch triumphierend geklungen hatten, wurden abgelöst
von Entsetzensschreien, als die Dämonen aus dem Dunst auftauchten.
Mühelos schnappte sich der Mimikry den ersten Menschen,
dem er begegnete, fegte den Mann mit einem Schlag seines wuchtigen
Schwanzes von den Füßen, und während das Opfer zu Boden
ging, packte er eines seiner Beine. Der hilflose Krieger wurde in
die Höhe gerissen und sein Rückgrat als Peitsche benutzt. Die
Krieger, die das Pech hatten, sich in der Nähe des Mimikrys aufzuhalten,
wurden von dem Körper ihres gefallenen Kameraden
niedergemäht.
Die anderen Drohnen folgten dem Beispiel ihres Anführers,
wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Die wenigen Wachposten
waren rasch überwältigt, doch viele Drohnen nutzten diesen
Vorteil nicht sofort aus, sondern vertrödelten kostbare Zeit, indem
sie die Leichen ihrer Feinde in Stücke rissen, statt sich für die
nächste heranstürmende Welle von Kriegern zu rüsten.
Immer mehr der verschleierten Männer rannten aus dem Lager
heraus, formierten sich eilig zu geordneten Reihen und töteten mit
reibungsloser, brutaler Effizienz. Immer wieder flackerten die magischen
Siegel auf ihren Waffen und Schilden in der Dunkelheit.
Oben auf der Anhöhe beobachteten die Seelendämonen leidenschaftslos
das Gemetzel, ohne eine Spur von Mitleid für die vom
Feind abgestochenen Drohnen. Der Schädel des einen begann zu
pulsieren, als er seinem auf dem Feld kämpfenden Mimikry ein
Kommando sandte.
Der schleuderte den Leichnam prompt gegen einen der Siegelpfosten,
die das Lager umgaben, zerschmetterte ihn und schuf so
eine Bresche. Noch ein Pulsieren auf der Anhöhe, und die anderen
Horclinge ließen von den Kriegern ab, um durch die Lücke in das
feindliche Lager zu strömen.
Verunsichert machten die Krieger kehrt, sahen ihre in Flammen
stehenden Zelte, zwischen denen die Flammendämonen hin und
her flitzten, und hörten die Schreie ihrer Frauen und Kinder, als
die größeren Horclinge verkohlte und versengte Siegel des inneren
Schutzrings durchbrachen.
Brüllend rannten die Krieger zu ihren Familien und vergaßen
jede Disziplin. Innerhalb weniger Augenblicke lösten sich die geschlossenen,
unbesiegbaren Verbände in Tausende Einzelwesen
auf, die kaum mehr darstellten als Beute.
Es sah ganz danach aus, als würde das Lager überrollt und niedergebrannt
werden, doch dann trat eine Gestalt aus dem in der
Mitte des Platzes stehenden Pavillonzelt. Der Mann trug schwarze
Kleidung wie die Krieger, doch das Übergewand, die Kopfbedeckung
und der Schleier waren blütenweiß.
Die Stirn umrahmte ein Goldreif, und in den Händen hielt er
einen prächtigen Speer aus glänzendem Metall. Sein Anblick entlockte
den Horcling-Prinzen ein wütendes Fauchen.
Schreie ertönten, als der Mann vortrat. Die Seelendämonen
grinsten höhnisch über die primitiven Grunz- und Kläfflaute, mit
denen die Menschen sich untereinander verständigten, doch deren
Bedeutung war offensichtlich. Die anderen waren Menschendrohnen.
Dieser Mann hingegen nahm eine höhere Stellung ein - er
war ihr Kopf und ihre Seele.
Unter der Führung des neu hinzugekommenen Kriegers erinnerten
sich die übrigen an ihre Pflichten und stellten den früheren
Zusammenhalt wieder her. Ein Trupp spaltete sich ab, um die äußere
Bresche zu schließen. Zwei Kolonnen löschten die Feuer. Eine
Gruppe brachte die Wehrlosen in Sicherheit.
Unbehindert und ohne sich ablenken zu lassen stürmten die
anderen durch das Lager, und die Drohnen konnten ihnen nicht
lange standhalten. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Raum
innerhalb des Bannzirkels genauso mit Horclingleichen übersät
war wie das Feld hinter der Absperrung. Bald blieb nur noch der
Mimikrydämon übrig, der in die Rolle eines Felsendämons geschlüpft
war, zu behände, um von einem Speer getroffen zu werden,
aber außerstande, den Wall aus Schilden zu durchbrechen,
ohne sein wahres Selbst zu enthüllen.
Der Schädel seines Gefährten auf dem Hügel pulsierte wieder,
der Mimikry tauchte ab in einen Schatten, gab seine stoffliche Gestalt
auf und stahl sich durch eine winzige Lücke in den Siegeln
aus dem Lager hinaus. Die Feinde suchten immer noch nach ihm,
als er auf seinen Platz an der Seite seines Gebieters zurückkehrte.
Mehrere Minuten lang standen die beiden schlanken Horclinge
auf der Hügelkuppe und tauschten stumme Schwingungen aus.
Dann richteten die Horcling-Prinzen völlig synchron ihre Blicke
gen Norden, wo sich das andere menschliche Oberhaupt angeblich
aufhielt.
Einer der Seelendämonen wandte sich an seinen Mimikry, der
in Gestalt eines gigantischen Winddämons in die Knie sank, und
stolzierte die ausgestreckte Schwinge hinauf. Als er in der Nacht
verschwand, fuhr der zurückbleibende Seelendämon fort, das qualmende
Lager des Feindes zu betrachten.
Teil I
Sieg ohne Ehre
1
Fort Rizon
333 NR - Winter
Die Stadtmauer von Fort Rizon war ein Witz.
Knapp zehn Fuß hoch und lediglich einen Fuß dick war
die Verteidigungsanlage, die die gesamte Stadt sichern sollte, kümmerlicher
als der Schutzwall des bescheidensten Palastes eines Damaji.
Die Aufpasser brauchten nicht einmal ihre mit Stahl beschlagenen
Leitern; sie sprangen einfach hoch, hielten sich am Rand
der winzigen Umfriedung fest und schwangen sich darüber.
»Menschen, die so schwach und nachlässig sind, verdienen es,
besiegt zu werden«, meinte Hasik. Jardir brummte zustimmend,
erwiderte aber nichts.
Im Schutz der Dunkelheit hatte sich die Vorhut von Jardirs
Kriegerelite angeschlichen; der Schnee auf den brachliegenden
Feldern, die die eigentliche Stadt umgaben, knirschte unter etlichen
Tausend Sandalen. Während die Bewohner der Grünen Länder
sich hinter ihren Siegeln verkrochen, hatten die Krasianer
die von Dämonen heimgesuchte Nacht für ihren Vormarsch genutzt.
Selbst Horclinge schlugen um so viele Heilige Krieger einen
Bogen.
Sie versammelten sich vor der Stadt, aber die verschleierten
Krieger griffen nicht sofort an. In der Nacht attackierte man keine
Menschen. Erst als das Licht der Morgendämmerung den Himmel
überhauchte, zogen sie ihre Schleier herunter, damit die Feinde
ihre Gesichter sehen konnten.
Man hörte ein paar erstickte Laute, als die Aufpasser die Wachen
im Torhaus überwältigten, und dann schwangen knarrend die
Stadttore auf, um Jardirs Armee einzulassen. Begleitet von einem
durchdringenden Gebrüll wälzten sich sechstausend dal'Sharum-
Krieger in die Stadt hinein.
Bevor die Rizoner wussten, wie ihnen geschah, stürzten sich die
Krasianer auf sie, traten Türen ein, zerrten Männer aus ihren Betten
und warfen sie, nackt wie sie waren, in den Schnee.
Mit seinem scheinbar endlosen fruchtbaren Ackerland war Fort
Rizon wesentlich dichter bevölkert als Krasia, aber die Rizoner
waren keine Krieger, und vor Jardirs militärisch gedrillten Einheiten
fielen sie wie Grashalme unter einer Sense. Wer sich sträubte,
erntete Muskelrisse und Knochenbrüche. Die Männer, die kämpften,
starben.
Jardir beobachtete all das mit Besorgnis. Jeder Mann, der verkrüppelt
oder getötet wurde, konnte im Sharak Ka, dem Großen Krieg,
nicht zu Ruhm und Ehre gelangen, aber das war ein notwendiges
Übel. Die Männer des Nordens ließen sich nicht in eine Waffe gegen
die Dämonenbrut schmieden, ohne sie vorher gestählt zu haben,
wie ein Schmied mit seinem Hammer eine Speerspitze härtete.
Frauen schrien, als Jardirs Männer sich in einer anderen Weise
an ihnen austobten. Noch ein notwendiges Übel. Der Sharak Ka
stand kurz bevor, und die künftige Kriegergeneration musste von
Männern gezeugt werden, nicht von Feiglingen.
Nach einer gewissen Zeit beugte Jardirs Sohn Jayan im Schnee
vor ihm das Knie, die Spitze seines Speeres von Blut gerötet. »Die
innere Stadt gehört uns, Vater«, meldete Jayan.
Jardir nickte. »Wenn wir die innere Stadt in unserer Gewalt
haben, beherrschen wir auch die Ebene.«
Sein erstes eigenständiges Kommando hatte Jayan sehr gut gemeistert.
Wäre dies eine Schlacht gegen Dämonen gewesen, hätte
Jardir persönlich den Sturmangriff angeführt, aber den Speer des
Kaji wollte er nicht mit Menschenblut besudeln. Jayan war im
Grunde zu jung, um den weißen Schleier eines Hauptmanns zu
tragen, aber er war Jardirs Erstgeborener, und durch seine Adern
strömte das Blut des Erlösers. Er war stark, konnte Schmerzen
ertragen, und sowohl Krieger als auch Geistliche behandelten ihn
mit Ehrerbietung.
»Viele sind geflüchtet«, fügte Asome hinzu, der hinter seinem
Bruder auftauchte. »Sie werden die Dörfer warnen. Wenn die Einwohner
klug sind, ergreifen auch sie die Flucht, um einer Reinigung
durch das Evejanische Gesetz zu entgehen.«
Jardir sah ihn an. Asome war ein Jahr jünger als sein Bruder,
kleiner und schlanker. Er trug die weißen Gewänder eines dama,
keinen Harnisch und keinerlei Waffen, aber Jardir ließ sich nicht
täuschen. Sein zweiter Sohn war auf jeden Fall der ehrgeizigere
und gefährlichere von beiden, und in dieser Hinsicht kam ihm keiner
seiner jüngeren Brüder, von denen es Dutzende gab, auch nur
nahe.
»Sie mögen ja entkommen sein«, entgegnete Jardir, »aber sie
lassen ihre Nahrungsmittellager zurück und flüchten sich in das
weiche Eis, das die Grünen Länder im Winter bedeckt. Die Schwachen
werden sterben und ersparen uns die Mühe, sie zu töten, und
die Starken werde ich unter mein Joch zwingen, wenn der rechte
Zeitpunkt gekommen ist. Ihr habt eure Sache gut gemacht, meine
Söhne. Jayan, beauftrage ein paar Männer, geeignete Gebäude für
die Unterbringung der Gefangenen zu suchen, ehe sie durch die
Kälte sterben. Die Knaben werden für den Hannu Pash ausgesondert.
Wenn wir ihnen die Schwäche des Nordens austreiben, können
sich einige von ihnen vielleicht über ihre Väter erheben. Die
kräftigen Burschen benutzen wir, um sie in den Schlachten zu verheizen,
und die schwachen dienen uns als Sklaven. Jede Frau im
gebärfähigen Alter darf geschwängert werden.«
Jayan schlug sich mit der Faust gegen die Brust und nickte.
»Asome, gib den anderen ein Zeichen, dass sie anfangen
können«, ordnete Jardir an, und Asome verbeugte sich.
Jardir sah seinem in Weiß gewandeten Sohn hinterher, der sich
auf den Weg machte, um den Befehl auszuführen. Die Geistlichen
würden das Wort des Everam unter den Chin verbreiten, und diejenigen,
die sich weigerten, es von Herzen anzunehmen, würde man
mit Gewalt bekehren.
Ein notwendiges Übel.
Am selben Nachmittag wanderte Jardir auf den dicken Teppichen
hin und her, mit denen der Boden des Herrenhauses ausgelegt
war, das er zu seinem Rizoner Palast auserkoren hatte. Verglichen
mit seinen Palästen in Krasia war es ein schäbiges Domizil, doch
nachdem er seit ihrem Aufbruch aus dem Wüstenspeer monatelang
in Zelten genächtigt hatte, empfand er es als einen willkommenen
Ansatz von Zivilisation.
Mit der rechten Hand umklammerte Jardir den Speer des Kaji,
den er benutzte wie einen Wanderstab. Natürlich brauchte er
keine Gehhilfe, aber die uralte Waffe hatte ihn in seine derzeitige
Machtposition erhoben und befand sich immer griffbereit in seiner
Nähe. Bei jedem einzelnen Schritt klopfte der Schaft auf den
Boden.
»Abban verspätet sich«, erklärte Jardir. »Selbst wenn er seit
der Morgendämmerung zusammen mit den Frauen reist, hätte er
längst hier sein müssen.«
»Ich werde nie begreifen, wieso du diesen Khaffit in deiner Gegenwart
duldest, Vater«, meinte Asome. »Den Schweinefresser sollte
man umbringen, allein weil er es gewagt hat, dich anzusehen, und
trotzdem nimmst du seinen Rat an, als sei er ein Gleichgestellter
an deinem Hof.«
»Kaji selbst übertrug Khaffit Aufgaben, für die sie sich eigneten
«, versetzte Jardir. »Abban weiß mehr über die Grünen Länder
als jeder andere, und ein weiser Anführer muss sich dieses Wissen
zunutze machen.«
»Was gibt es da zu wissen?«, fragte Jayan. »Die Bewohner der
Grünen Länder sind samt und sonders Feiglinge und Schwächlinge,
nicht besser als Khaffit. Sie sind es nicht einmal wert, als Sklaven
zu dienen oder in einem Kampf geopfert zu werden.«
»Sei nicht so schnell der Meinung, du wüsstest alles«, ermahnte
Jardir ihn. »Nur Everam ist allwissend. Im Evejah steht, wir sollen
unsere Feinde kennen, und vom Norden wissen wir nur sehr wenig.
Wenn ich diese Leute in den Großen Krieg einbeziehen will, muss
ich mehr tun als sie einfach nur zu töten oder zu beherrschen. Ich
muss sie verstehen. Und wenn alle Männer aus den Grünen Ländern
nicht höher stehen als Khaffit, wer wäre dann besser geeignet
als ein Khaffit, um mir zu erklären, was in ihren Herzen vorgeht?«
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Abban humpelte
ins Zimmer. Wie immer war der fette Händler in prächtige, weibische
Gewänder aus Seide und Pelz gekleidet - eine auffallende
Zurschaustellung von Prunk, mit der er anscheinend bewusst die
gestrengen, genügsamen Dama und Dal'Sharum provozieren wollte.
Die Wachposten schubsten ihn und machten sich über ihn lustig,
als er an ihnen vorbeiging, aber sie hätten es nie gewagt,
Abban den Einlass zu verweigern. Gleichgültig, welche persönlichen
Gefühle man Abban entgegenbrachte, wer ihn behinderte, riskierte
es, Jardirs Zorn auf sich zu ziehen, und kein Mann ließ es
darauf ankommen.
Der verkrüppelte Khaffit stützte sich schwer auf seinen Stock,
als er sich Jardirs Thron näherte; trotz der Kälte perlten Schweißtropfen
über sein gerötetes, teigiges Gesicht. Jardir musterte ihn
angewidert. Abban hatte offenbar wichtige Neuigkeiten, doch anstatt
sie zu verkünden, stand er bloß hechelnd und nach Luft
schnappend da.
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Peter V. Brett
Das Flüstern der Nacht
Roman
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Paperback, Klappenbroschur, 1008 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-52611-2
Heyne
Erscheinungstermin: August 2010
Tauchen Sie ein in eine fantastische Welt!
Die Menschheit ist gefangen in der Furcht vor den Dämonen der Dunkelheit. Nur der junge
Arlen beschließt, sich mit magischen Siegeln den finsteren Wesen entgegenzustellen, und wird
schon bald zu einer Legende. Als plötzlich aus dem Süden ein zweiter Befreier der Menschen
auftaucht, droht alles in Chaos zu versinken. Doch Arlen hält fest an seiner Hoffnung auf das
Ende der Nacht ...
Titel der englischen Originalausgabe
THE DESERT SPEAR
Deutsche Übersetzung von Ingrid Herrmann-Nytko
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das für dieses Buch verwendete
FSC-zertifizierte Holmen Book Cream
liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.
Deutsche Erstausgabe 09/2010
Redaktion: Charlotte Lungstrass
Copyright © 2010 by Peter V. Brett
Copyright © 2010 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2010
Illustrationen: Lauren Cannon
Karte: Andreas Hancock
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-52611-2
www.heyne-magische-bestseller.de
Diese Gestalten waren von zierlicher Statur, kaum fünf Fuß groß,
mit einer weichen, holzkohlefarbenen Hülle, die sich stark von dem
zerklüfteten, borkeähnlichen Panzer ihrer massigeren Verwandten
unterschied. Die Krallen an den Spitzen ihrer zarten Finger und
Zehen wirkten schwach - sie waren fein und gerade wie die gepflegten
Nägel einer Frau. Die Münder in den flachen Gesichtern
wiesen nur eine Reihe von scharfen, aber kurzen Zähnen auf. Die
Köpfe erschienen wie aufgebläht, mit großen, lidlosen Augen und
hohen, kegelförmigen Schädeln. Das darüberliegende Fleisch schloss
sich um verkümmerte Hornstümpfe, knotig, fleckig und immerfort
pulsierend: Horcling-Prinzen.
Eine geraume Weile starrten die beiden Neuankömmlinge einander
an, und ihre Kopfhaut zuckte in einem rhythmischen Pochen,
während sich die Luft zwischen ihnen mit Vibrationen füllte.
Einer der größeren Dämonen bemerkte, dass sich im Dickicht
etwas bewegte, und zog mit erschreckender Schnelligkeit eine
Ratte aus ihrem Versteck. Der Horcling hob den Nager dicht vor
seine Augen und betrachtete ihn voller Neugier. Während dieses
Vorgangs verwandelte sich das Maul des Dämons in die Schnauze
einer Ratte; Nase und Schnurrhaare zitterten, und es bildeten sich
zwei lange Schneidezähne. Mit der Zunge prüfte der Horcling ihre
Schärfe.
Einer der schlanken Seelendämonen drehte sich mit pulsierender
Stirn um und fasste den Horcling, der sich gerade mit der
Ratte beschäftigte, ins Auge. Ein leichter, schneller Schlag genügte
dem Mimikrydämon, um das Tier auszuweiden und es zur Seite
zu schleudern. Auf den Befehl der Horcling-Prinzen hin änderten
die beiden Mimikrydämonen ihre Gestalt und verwandelten sich
in riesige Winddämonen.
Die Seelendämonen zischten, als sie den stockdunklen Winkel
verließen und sich dem Sternenlicht aussetzten. Ihr Atem gefror
in der Kälte, aber ohne ein Zeichen des Unbehagens stapften sie
durch den Schnee. Die Mimikrydämonen duckten sich tief über
den Boden, die Horcling-Prinzen liefen über die Schwingen, setzten
sich auf ihre Rücken, und mit einem gewaltigen Satz ging es
hoch empor in den Himmel.
Auf ihrem Flug nach Norden segelten sie über zahlreiche Drohnen
hinweg. Egal ob groß oder klein, alle diese Dämonen kauerten
sie sich hin, bis die Horclinge vorbeigeflogen waren, um dann
dem Ruf der Horcling-Prinzen zu folgen.
Die Mimikrys landeten auf einer Anhöhe, die Seelendämonen
ließen sich zu Boden gleiten und betrachteten das unter ihnen liegende
Bild. Ein gewaltiges Heer von Menschen breitete sich über
die Ebene aus, weiße Zelte übersäten das Land, auf dem der
Schnee zu Matsch niedergetrampelt und dann steinhart gefroren
war. Große, buckelige Lasttiere, mit Decken vor der Kälte geschützt,
standen mit gefesselten Vorderbeinen in magischen Zirkeln.
Die Siegel rings um das Lager waren mächtig, und Wachposten,
die Gesichter mit schwarzen Tüchern verhüllt, patrouillierten
an seinem Rand entlang. Selbst aus dieser Entfernung konnten die
Seelendämonen die Kraft spüren, die von ihren mit Schutzzeichen
verstärkten Waffen ausging.
Hinter den Siegeln des Lagers war das Feld mit Dutzenden von
toten Dämonen bedeckt, die darauf warteten, von dem Tagesstern
verbrannt zu werden.
Als Erste erreichten Flammendrohnen die Erhebung, auf der
die Prinzen Posten bezogen hatten. In respektvoller Entfernung
begannen sie, ihren Herren durch einen Tanz zu huldigen und ihre
Verehrung hinauszukreischen.
Wieder ein Pulsieren der Stirn, und die Drohnen verstummten.
Totenstille senkte sich über die Nacht, obwohl sich eine große
Horde von Dämonen versammelte, die die Horcling-Prinzen zu
sich gerufen hatten. Baum- und Flammendämonen standen Seite
an Seite und vergaßen ihren tief wurzelnden Hass aufeinander,
während Winddrohnen hoch oben am Himmel kreisten.
Ohne die Versammlung zu beachten hielten die Seelendämonen
ihre Blicke auf die Ebene gerichtet, und ihre Schädel pochten
unentwegt. Nach einer Weile schaute einer von ihnen zu seinem
Mimikry hinüber, um ihm seine Wünsche mitzuteilen; daraufhin
schmolz das Fleisch der Kreatur, schwoll an und gestaltete sich zu
einem wuchtigen Felsendämon um. Schweigend folgte die Schar
der Drohnen ihm den Hügel hinunter.
Auf dem Gipfel blieben die beiden Prinzen und der andere Mimikrydämon
zurück. Sie beobachteten und warteten ab.
Dicht in der Nähe des Lagers, noch im Schutz der Dunkelheit,
verlangsamte der Mimikrydämon sein Tempo und scheuchte die
Flammendrohnen nach vorn.
Flammendämonen waren die kleinsten und schwächsten der
Horclinge, und ihre Augen und das Maul glühten von dem Feuer,
das in ihrem Inneren toste. Die Wachposten erspähten sie sofort,
aber die Drohnen reagierten blitzschnell, und ehe die Wachen Alarm
schlagen konnten, attackierten sie feuerspuckend die Siegel.
Zischend traf der Feuerspeichel auf die magischen Symbole,
doch auf Geheiß der Seelendämonen richteten die Drohnen ihren
Angriff auf die Schneeverwehungen außerhalb des Zirkels, wobei
ihr Atem sich augenblicklich in kochend heißen Dampf verwandelte.
Die Wachen, die sich hinter den Zeichen in Sicherheit befanden,
blieben unverletzt, doch ein heißer Nebel stieg auf, brannte
in ihren Augen und verpestete die Luft sogar hinter ihren Gesichtsschleiern.
Einer der Wächter hetzte durch das Lager und läutete mit einer
Glocke Sturm. Die ohrenbetäubenden Töne waren noch nicht verhallt,
da stürmten seine Kameraden furchtlos hinter die Siegel, um
die nächstbesten Flammendämonen mit ihren Speeren aufzuspießen.
Magie sprühte, als sich die Waffen durch ihre scharfen, überlappenden
Schuppen bohrten.
Andere Drohnen griffen von den Seiten her an, aber die Wächter
gingen vereint vor und gaben sich im Kampf mit ihren
bedeckten Schilden gegenseitig Deckung. Im Lager wurden
Rufe laut, als sich noch mehr Krieger in die Schlacht stürzten.
Abgeschirmt vom Nebel und der Dunkelheit rückte die Armee
des Mimikrydämons unaufhaltsam vor. Die Rufe der Wächter,
die gerade noch triumphierend geklungen hatten, wurden abgelöst
von Entsetzensschreien, als die Dämonen aus dem Dunst auftauchten.
Mühelos schnappte sich der Mimikry den ersten Menschen,
dem er begegnete, fegte den Mann mit einem Schlag seines wuchtigen
Schwanzes von den Füßen, und während das Opfer zu Boden
ging, packte er eines seiner Beine. Der hilflose Krieger wurde in
die Höhe gerissen und sein Rückgrat als Peitsche benutzt. Die
Krieger, die das Pech hatten, sich in der Nähe des Mimikrys aufzuhalten,
wurden von dem Körper ihres gefallenen Kameraden
niedergemäht.
Die anderen Drohnen folgten dem Beispiel ihres Anführers,
wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Die wenigen Wachposten
waren rasch überwältigt, doch viele Drohnen nutzten diesen
Vorteil nicht sofort aus, sondern vertrödelten kostbare Zeit, indem
sie die Leichen ihrer Feinde in Stücke rissen, statt sich für die
nächste heranstürmende Welle von Kriegern zu rüsten.
Immer mehr der verschleierten Männer rannten aus dem Lager
heraus, formierten sich eilig zu geordneten Reihen und töteten mit
reibungsloser, brutaler Effizienz. Immer wieder flackerten die magischen
Siegel auf ihren Waffen und Schilden in der Dunkelheit.
Oben auf der Anhöhe beobachteten die Seelendämonen leidenschaftslos
das Gemetzel, ohne eine Spur von Mitleid für die vom
Feind abgestochenen Drohnen. Der Schädel des einen begann zu
pulsieren, als er seinem auf dem Feld kämpfenden Mimikry ein
Kommando sandte.
Der schleuderte den Leichnam prompt gegen einen der Siegelpfosten,
die das Lager umgaben, zerschmetterte ihn und schuf so
eine Bresche. Noch ein Pulsieren auf der Anhöhe, und die anderen
Horclinge ließen von den Kriegern ab, um durch die Lücke in das
feindliche Lager zu strömen.
Verunsichert machten die Krieger kehrt, sahen ihre in Flammen
stehenden Zelte, zwischen denen die Flammendämonen hin und
her flitzten, und hörten die Schreie ihrer Frauen und Kinder, als
die größeren Horclinge verkohlte und versengte Siegel des inneren
Schutzrings durchbrachen.
Brüllend rannten die Krieger zu ihren Familien und vergaßen
jede Disziplin. Innerhalb weniger Augenblicke lösten sich die geschlossenen,
unbesiegbaren Verbände in Tausende Einzelwesen
auf, die kaum mehr darstellten als Beute.
Es sah ganz danach aus, als würde das Lager überrollt und niedergebrannt
werden, doch dann trat eine Gestalt aus dem in der
Mitte des Platzes stehenden Pavillonzelt. Der Mann trug schwarze
Kleidung wie die Krieger, doch das Übergewand, die Kopfbedeckung
und der Schleier waren blütenweiß.
Die Stirn umrahmte ein Goldreif, und in den Händen hielt er
einen prächtigen Speer aus glänzendem Metall. Sein Anblick entlockte
den Horcling-Prinzen ein wütendes Fauchen.
Schreie ertönten, als der Mann vortrat. Die Seelendämonen
grinsten höhnisch über die primitiven Grunz- und Kläfflaute, mit
denen die Menschen sich untereinander verständigten, doch deren
Bedeutung war offensichtlich. Die anderen waren Menschendrohnen.
Dieser Mann hingegen nahm eine höhere Stellung ein - er
war ihr Kopf und ihre Seele.
Unter der Führung des neu hinzugekommenen Kriegers erinnerten
sich die übrigen an ihre Pflichten und stellten den früheren
Zusammenhalt wieder her. Ein Trupp spaltete sich ab, um die äußere
Bresche zu schließen. Zwei Kolonnen löschten die Feuer. Eine
Gruppe brachte die Wehrlosen in Sicherheit.
Unbehindert und ohne sich ablenken zu lassen stürmten die
anderen durch das Lager, und die Drohnen konnten ihnen nicht
lange standhalten. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Raum
innerhalb des Bannzirkels genauso mit Horclingleichen übersät
war wie das Feld hinter der Absperrung. Bald blieb nur noch der
Mimikrydämon übrig, der in die Rolle eines Felsendämons geschlüpft
war, zu behände, um von einem Speer getroffen zu werden,
aber außerstande, den Wall aus Schilden zu durchbrechen,
ohne sein wahres Selbst zu enthüllen.
Der Schädel seines Gefährten auf dem Hügel pulsierte wieder,
der Mimikry tauchte ab in einen Schatten, gab seine stoffliche Gestalt
auf und stahl sich durch eine winzige Lücke in den Siegeln
aus dem Lager hinaus. Die Feinde suchten immer noch nach ihm,
als er auf seinen Platz an der Seite seines Gebieters zurückkehrte.
Mehrere Minuten lang standen die beiden schlanken Horclinge
auf der Hügelkuppe und tauschten stumme Schwingungen aus.
Dann richteten die Horcling-Prinzen völlig synchron ihre Blicke
gen Norden, wo sich das andere menschliche Oberhaupt angeblich
aufhielt.
Einer der Seelendämonen wandte sich an seinen Mimikry, der
in Gestalt eines gigantischen Winddämons in die Knie sank, und
stolzierte die ausgestreckte Schwinge hinauf. Als er in der Nacht
verschwand, fuhr der zurückbleibende Seelendämon fort, das qualmende
Lager des Feindes zu betrachten.
Teil I
Sieg ohne Ehre
1
Fort Rizon
333 NR - Winter
Die Stadtmauer von Fort Rizon war ein Witz.
Knapp zehn Fuß hoch und lediglich einen Fuß dick war
die Verteidigungsanlage, die die gesamte Stadt sichern sollte, kümmerlicher
als der Schutzwall des bescheidensten Palastes eines Damaji.
Die Aufpasser brauchten nicht einmal ihre mit Stahl beschlagenen
Leitern; sie sprangen einfach hoch, hielten sich am Rand
der winzigen Umfriedung fest und schwangen sich darüber.
»Menschen, die so schwach und nachlässig sind, verdienen es,
besiegt zu werden«, meinte Hasik. Jardir brummte zustimmend,
erwiderte aber nichts.
Im Schutz der Dunkelheit hatte sich die Vorhut von Jardirs
Kriegerelite angeschlichen; der Schnee auf den brachliegenden
Feldern, die die eigentliche Stadt umgaben, knirschte unter etlichen
Tausend Sandalen. Während die Bewohner der Grünen Länder
sich hinter ihren Siegeln verkrochen, hatten die Krasianer
die von Dämonen heimgesuchte Nacht für ihren Vormarsch genutzt.
Selbst Horclinge schlugen um so viele Heilige Krieger einen
Bogen.
Sie versammelten sich vor der Stadt, aber die verschleierten
Krieger griffen nicht sofort an. In der Nacht attackierte man keine
Menschen. Erst als das Licht der Morgendämmerung den Himmel
überhauchte, zogen sie ihre Schleier herunter, damit die Feinde
ihre Gesichter sehen konnten.
Man hörte ein paar erstickte Laute, als die Aufpasser die Wachen
im Torhaus überwältigten, und dann schwangen knarrend die
Stadttore auf, um Jardirs Armee einzulassen. Begleitet von einem
durchdringenden Gebrüll wälzten sich sechstausend dal'Sharum-
Krieger in die Stadt hinein.
Bevor die Rizoner wussten, wie ihnen geschah, stürzten sich die
Krasianer auf sie, traten Türen ein, zerrten Männer aus ihren Betten
und warfen sie, nackt wie sie waren, in den Schnee.
Mit seinem scheinbar endlosen fruchtbaren Ackerland war Fort
Rizon wesentlich dichter bevölkert als Krasia, aber die Rizoner
waren keine Krieger, und vor Jardirs militärisch gedrillten Einheiten
fielen sie wie Grashalme unter einer Sense. Wer sich sträubte,
erntete Muskelrisse und Knochenbrüche. Die Männer, die kämpften,
starben.
Jardir beobachtete all das mit Besorgnis. Jeder Mann, der verkrüppelt
oder getötet wurde, konnte im Sharak Ka, dem Großen Krieg,
nicht zu Ruhm und Ehre gelangen, aber das war ein notwendiges
Übel. Die Männer des Nordens ließen sich nicht in eine Waffe gegen
die Dämonenbrut schmieden, ohne sie vorher gestählt zu haben,
wie ein Schmied mit seinem Hammer eine Speerspitze härtete.
Frauen schrien, als Jardirs Männer sich in einer anderen Weise
an ihnen austobten. Noch ein notwendiges Übel. Der Sharak Ka
stand kurz bevor, und die künftige Kriegergeneration musste von
Männern gezeugt werden, nicht von Feiglingen.
Nach einer gewissen Zeit beugte Jardirs Sohn Jayan im Schnee
vor ihm das Knie, die Spitze seines Speeres von Blut gerötet. »Die
innere Stadt gehört uns, Vater«, meldete Jayan.
Jardir nickte. »Wenn wir die innere Stadt in unserer Gewalt
haben, beherrschen wir auch die Ebene.«
Sein erstes eigenständiges Kommando hatte Jayan sehr gut gemeistert.
Wäre dies eine Schlacht gegen Dämonen gewesen, hätte
Jardir persönlich den Sturmangriff angeführt, aber den Speer des
Kaji wollte er nicht mit Menschenblut besudeln. Jayan war im
Grunde zu jung, um den weißen Schleier eines Hauptmanns zu
tragen, aber er war Jardirs Erstgeborener, und durch seine Adern
strömte das Blut des Erlösers. Er war stark, konnte Schmerzen
ertragen, und sowohl Krieger als auch Geistliche behandelten ihn
mit Ehrerbietung.
»Viele sind geflüchtet«, fügte Asome hinzu, der hinter seinem
Bruder auftauchte. »Sie werden die Dörfer warnen. Wenn die Einwohner
klug sind, ergreifen auch sie die Flucht, um einer Reinigung
durch das Evejanische Gesetz zu entgehen.«
Jardir sah ihn an. Asome war ein Jahr jünger als sein Bruder,
kleiner und schlanker. Er trug die weißen Gewänder eines dama,
keinen Harnisch und keinerlei Waffen, aber Jardir ließ sich nicht
täuschen. Sein zweiter Sohn war auf jeden Fall der ehrgeizigere
und gefährlichere von beiden, und in dieser Hinsicht kam ihm keiner
seiner jüngeren Brüder, von denen es Dutzende gab, auch nur
nahe.
»Sie mögen ja entkommen sein«, entgegnete Jardir, »aber sie
lassen ihre Nahrungsmittellager zurück und flüchten sich in das
weiche Eis, das die Grünen Länder im Winter bedeckt. Die Schwachen
werden sterben und ersparen uns die Mühe, sie zu töten, und
die Starken werde ich unter mein Joch zwingen, wenn der rechte
Zeitpunkt gekommen ist. Ihr habt eure Sache gut gemacht, meine
Söhne. Jayan, beauftrage ein paar Männer, geeignete Gebäude für
die Unterbringung der Gefangenen zu suchen, ehe sie durch die
Kälte sterben. Die Knaben werden für den Hannu Pash ausgesondert.
Wenn wir ihnen die Schwäche des Nordens austreiben, können
sich einige von ihnen vielleicht über ihre Väter erheben. Die
kräftigen Burschen benutzen wir, um sie in den Schlachten zu verheizen,
und die schwachen dienen uns als Sklaven. Jede Frau im
gebärfähigen Alter darf geschwängert werden.«
Jayan schlug sich mit der Faust gegen die Brust und nickte.
»Asome, gib den anderen ein Zeichen, dass sie anfangen
können«, ordnete Jardir an, und Asome verbeugte sich.
Jardir sah seinem in Weiß gewandeten Sohn hinterher, der sich
auf den Weg machte, um den Befehl auszuführen. Die Geistlichen
würden das Wort des Everam unter den Chin verbreiten, und diejenigen,
die sich weigerten, es von Herzen anzunehmen, würde man
mit Gewalt bekehren.
Ein notwendiges Übel.
Am selben Nachmittag wanderte Jardir auf den dicken Teppichen
hin und her, mit denen der Boden des Herrenhauses ausgelegt
war, das er zu seinem Rizoner Palast auserkoren hatte. Verglichen
mit seinen Palästen in Krasia war es ein schäbiges Domizil, doch
nachdem er seit ihrem Aufbruch aus dem Wüstenspeer monatelang
in Zelten genächtigt hatte, empfand er es als einen willkommenen
Ansatz von Zivilisation.
Mit der rechten Hand umklammerte Jardir den Speer des Kaji,
den er benutzte wie einen Wanderstab. Natürlich brauchte er
keine Gehhilfe, aber die uralte Waffe hatte ihn in seine derzeitige
Machtposition erhoben und befand sich immer griffbereit in seiner
Nähe. Bei jedem einzelnen Schritt klopfte der Schaft auf den
Boden.
»Abban verspätet sich«, erklärte Jardir. »Selbst wenn er seit
der Morgendämmerung zusammen mit den Frauen reist, hätte er
längst hier sein müssen.«
»Ich werde nie begreifen, wieso du diesen Khaffit in deiner Gegenwart
duldest, Vater«, meinte Asome. »Den Schweinefresser sollte
man umbringen, allein weil er es gewagt hat, dich anzusehen, und
trotzdem nimmst du seinen Rat an, als sei er ein Gleichgestellter
an deinem Hof.«
»Kaji selbst übertrug Khaffit Aufgaben, für die sie sich eigneten
«, versetzte Jardir. »Abban weiß mehr über die Grünen Länder
als jeder andere, und ein weiser Anführer muss sich dieses Wissen
zunutze machen.«
»Was gibt es da zu wissen?«, fragte Jayan. »Die Bewohner der
Grünen Länder sind samt und sonders Feiglinge und Schwächlinge,
nicht besser als Khaffit. Sie sind es nicht einmal wert, als Sklaven
zu dienen oder in einem Kampf geopfert zu werden.«
»Sei nicht so schnell der Meinung, du wüsstest alles«, ermahnte
Jardir ihn. »Nur Everam ist allwissend. Im Evejah steht, wir sollen
unsere Feinde kennen, und vom Norden wissen wir nur sehr wenig.
Wenn ich diese Leute in den Großen Krieg einbeziehen will, muss
ich mehr tun als sie einfach nur zu töten oder zu beherrschen. Ich
muss sie verstehen. Und wenn alle Männer aus den Grünen Ländern
nicht höher stehen als Khaffit, wer wäre dann besser geeignet
als ein Khaffit, um mir zu erklären, was in ihren Herzen vorgeht?«
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Abban humpelte
ins Zimmer. Wie immer war der fette Händler in prächtige, weibische
Gewänder aus Seide und Pelz gekleidet - eine auffallende
Zurschaustellung von Prunk, mit der er anscheinend bewusst die
gestrengen, genügsamen Dama und Dal'Sharum provozieren wollte.
Die Wachposten schubsten ihn und machten sich über ihn lustig,
als er an ihnen vorbeiging, aber sie hätten es nie gewagt,
Abban den Einlass zu verweigern. Gleichgültig, welche persönlichen
Gefühle man Abban entgegenbrachte, wer ihn behinderte, riskierte
es, Jardirs Zorn auf sich zu ziehen, und kein Mann ließ es
darauf ankommen.
Der verkrüppelte Khaffit stützte sich schwer auf seinen Stock,
als er sich Jardirs Thron näherte; trotz der Kälte perlten Schweißtropfen
über sein gerötetes, teigiges Gesicht. Jardir musterte ihn
angewidert. Abban hatte offenbar wichtige Neuigkeiten, doch anstatt
sie zu verkünden, stand er bloß hechelnd und nach Luft
schnappend da.
UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Peter V. Brett
Das Flüstern der Nacht
Roman
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Paperback, Klappenbroschur, 1008 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-52611-2
Heyne
Erscheinungstermin: August 2010
Tauchen Sie ein in eine fantastische Welt!
Die Menschheit ist gefangen in der Furcht vor den Dämonen der Dunkelheit. Nur der junge
Arlen beschließt, sich mit magischen Siegeln den finsteren Wesen entgegenzustellen, und wird
schon bald zu einer Legende. Als plötzlich aus dem Süden ein zweiter Befreier der Menschen
auftaucht, droht alles in Chaos zu versinken. Doch Arlen hält fest an seiner Hoffnung auf das
Ende der Nacht ...
Titel der englischen Originalausgabe
THE DESERT SPEAR
Deutsche Übersetzung von Ingrid Herrmann-Nytko
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das für dieses Buch verwendete
FSC-zertifizierte Holmen Book Cream
liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.
Deutsche Erstausgabe 09/2010
Redaktion: Charlotte Lungstrass
Copyright © 2010 by Peter V. Brett
Copyright © 2010 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2010
Illustrationen: Lauren Cannon
Karte: Andreas Hancock
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-52611-2
www.heyne-magische-bestseller.de
... weniger
Autoren-Porträt von Peter V. Brett
Peter V. Brett, 1973 geboren, studierte Englische Literatur und Kunstgeschichte in Buffalo und entdeckte Rollenspiele, Comics und das Schreiben für sich. Danach arbeitete er zehn Jahre als Lektor für medizinische Fachliteratur, bevor er sich ganz dem Schreiben von fantastischer Literatur widmete. Mit seinen Romanen und Erzählungen aus der Welt von »Das Lied der Dunkelheit« hat er die internationalen Bestsellerlisten gestürmt. Peter V. Brett lebt in Brooklyn, New York.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter V. Brett
- 2010, Deutsche Erstausgabe, 1007 Seiten, 50 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,5 x 20,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ingrid Herrmann-Nytko
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453526112
- ISBN-13: 9783453526112
- Erscheinungsdatum: 04.08.2010
Rezension zu „Das Flüstern der Nacht / Dämonenzyklus Bd.2 “
"Peter V. Brett schreibt phänomenal! Ein großartiger Abenteuerroman, ein Lied über wahres Heldentum."
Pressezitat
"Ich bewundere Peter V. Brett! Seine Geschichte lässt mich nicht mehr los." Terry Brooks
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