Das Leben und das Schreiben
Memoiren
Ein eher ungewöhnlicher Stephen King, der hier sehr persönlich über sein Leben spricht: über "das neblige Land der Kindheit", das viele seiner Bücher inspiriert hat, über die große Liebe zu seiner Frau Tabitha und zu seinen inzwischen schon erwachsenen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Leben und das Schreiben “
Ein eher ungewöhnlicher Stephen King, der hier sehr persönlich über sein Leben spricht: über "das neblige Land der Kindheit", das viele seiner Bücher inspiriert hat, über die große Liebe zu seiner Frau Tabitha und zu seinen inzwischen schon erwachsenen Kindern, über seinen schweren Unfall, der im letzten Jahr passierte. Und natürlich schreibt Stephen King über das Schreiben, seine große Leidenschaft.
Klappentext zu „Das Leben und das Schreiben “
"Ich schreibe so lange, wie der Leser davon überzeugt ist, in den Händen eines erstklassigen Wahnsinnigen zu sein." Stephen KingWährend der Genesung nach einem schweren Unfall schreibt Stephen King seine Memoiren - Leben und Schreiben sind eins. Ein unverzichtbarer Ratgeber für alle angehenden Schriftsteller und eine Fundgrube für alle, die mehr über den König des Horror-Genres erfahren wollen. Ein kluges und gleichzeitig packendes Buch über gelebte Literatur.
»Eine Konfession.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Lese-Probe zu „Das Leben und das Schreiben “
Das Leben und das Schreiben von Stephen KingAus dem Amerikanischen von Andrea Fischer
Erstes Vorwort
In den frühen Neunzigern (es kann 1992 gewesen sein, aber
es ist schwer, sich zu erinnern, wenn man Spaß hat) stieß ich
zu einer Rock-'n'-Roll-Band, die hauptsächlich aus Schriftstellern
bestand. Die Idee zu den Rock Bottom Remainders
hatte Kathi Kamen Goldmark , eine Publizistin und Musikerin
aus San Francisco. Zu der Band gehörten Dave Barry an
der Sologitarre, Ridley Pearson am Bass, Barbara Kingsolver
an den Keyboards, Robert Fulghum an der Mandoline
und ich an der Rhythmusgitarre. Außerdem hatten wir
einen heißen Chor im Stil der Dixie Cups, der meistens aus
Kathi, Tad Bartimus und Amy Tan bestand.
Die Band war als einmalige Sache geplant - wir wollten
zwei Auftritte bei der American Booksellers Convention bestreiten,
ein paar Lacher einstecken, drei oder vier Stunden
lang unsere vertane Jugend aufleben lassen und danach wieder
unserer eigenen Wege gehen.
... mehr
Aber es kam anders, denn die Band löste sich nie ganz
auf. Es machte uns viel zu viel Spaß, gemeinsam zu spielen.
Und wir hörten uns ziemlich gut an mit den »eingeschmuggelten
« Profis an Saxofon und Schlagzeug (anfangs war
auch unser musikalischer Guru Al Kooper als Herz der Band
dabei). Sie würden zahlen, um uns zu hören. Nicht so viel
wie für U2 oder E Street Band , aber vielleicht immerhin das,
was die alten Hasen »roadhouse money« nennen. Wir gingen
mit der Band auf Tournee, schrieben ein Buch darüber
(und meine Frau machte die Fotos und tanzte, wann immer
ihr danach war, was ziemlich oft vorkam). Auch heute spielen
wir noch ab und zu, mal als The Remainders, mal als
Raymond Burr's Legs. Die Besetzung kommt und geht - der
Kolumnist Mitch Albom hat Barbara an den Keyboards
abgelöst, und Al ist nicht mehr dabei, weil er sich nicht
mit Kathi versteht -, aber den Kern aus Kathi, Amy, Ridley,
Dave, Mitch Albom und mir gibt es immer noch. Dazu Josh
Kelly am Schlagzeug und Erasmo Paolo am Saxofon.
Wir spielen, weil es uns Spaß macht, aber auch weil wir
gern zusammen sind. Wir können einander gut leiden, und
uns gefällt, dass die Band uns die Möglichkeit gibt, über unsere
Arbeit zu reden, über unseren Alltagsjob, zu dem uns
die Menschen immer wieder ermutigen. Wir sind Schriftsteller,
aber wir fragen uns gegenseitig nie, woher wir unsere
Ideen bekommen. Wir wissen, dass wir das nicht wissen.
Als wir eines Abends vor einem Auftritt in Miami Beach
bei einem Chinesen aßen, fragte ich Amy, ob es eine Frage
gebe, die ihr in der Diskussion, die beinahe jeder Lesung
folgt, noch nie gestellt worden sei. Die eine Frage, die nie
aufgeworfen wird, wenn man vor einer Menge ehrfürchtiger
Fans steht und so tut, als stiege man nicht mit einem
Bein nach dem anderen in seine Hose, so wie alle anderen
auch. Amy hielt inne, dachte gründlich nach und sagte
schließlich: »Es fragt nie einer nach der Sprache.«
Ich bin ihr für diese Antwort außerordentlich dankbar. Denn
ich spielte damals schon seit über einem Jahr mit der Idee, ein
kleines Buch über das Schreiben zu verfassen, zögerte aber,
weil ich meinen Beweggründen misstraute. Warum wollte ich
von der Arbeit des Schriftstellers berichten? Wieso war ich
der Ansicht, etwas Sinnvolles darüber zu sagen zu haben?
Die einfachste Antwort lautet, dass jemand, der so viele
Romane verkauft hat wie ich, einfach etwas Lohnendes
über das Schreiben zu sagen haben muss. Doch die einfachste
Antwort ist nicht immer die richtige. Colonel Sanders
von Kentucky Fried Chicken hat Unmengen von Hühnerschenkeln
verkauft, aber ich bin mir nicht sicher, ob
irgendjemand wissen will, wie er es gemacht hat. Wenn ich
vermessen genug wäre, eine Anleitung zum Schreiben herauszugeben,
müsste ich meiner Meinung nach einen besseren
Grund als meinen großen Erfolg vorweisen können. Anders
ausgedrückt, ich wollte kein auch noch so kurzes Buch
wie dieses schreiben, bei dem ich mir hinterher wie ein literarischer
Klugschwätzer oder aufgeblasener Dummkopf vorkomme.
Von diesen Büchern (und diesen Autoren) gibt es
schon genug auf dem Markt - danke.
Aber Amy hatte recht: Wir werden nie nach der Sprache
gefragt. Die DeLillos, Updikes und Styrons werden darauf
angesprochen, die Autoren der Unterhaltungsliteratur jedoch
nicht. Aber auch wir profanen Kritzler machen uns auf
unsere bescheidene Art Gedanken über die Sprache, auch
wir verrichten unser Handwerk, die Kunst, Geschichten zu
Papier zu bringen, mit Leidenschaft. Dieses Buch ist ein Versuch,
kurz und bündig darzulegen, wie ich zu dieser Kunst
kam, was ich inzwischen über sie weiß und wie sie gefertigt
wird. Dieses Buch handelt von der alltäglichen Arbeit - von
der Sprache.
Ich widme dieses Buch Amy Tan , die mir auf sehr schlichte,
direkte Art sagte, dass ich es beruhigt schreiben kann.
Zweites Vorwort
Dies ist ein kurzes Buch, denn Bücher über das Schreiben
sind voller Blödsinn. Belletristikautoren, ich eingeschlossen,
haben keine große Ahnung davon, was sie eigentlich tun.
Sie wissen nicht, warum etwas Gutes funktioniert und etwas
Schlechtes nicht. Ich dachte mir: Je kürzer das Buch, desto
weniger Blödsinn steht drin.
Die einzige Ausnahme von dieser Blödsinn-Regel ist The
Elements of Style von William Strunk jr. und E. B. White. In
diesem Buch ist wenig oder gar kein erkennbarer Blödsinn
zu finden. (Es ist natürlich kurz; mit 85 Seiten sogar
viel kürzer als dieses hier.) Ich möchte Ihnen ans Herz legen,
dass jeder angehende Schriftsteller The Elements of Style
lesen sollte. Regel Nr. 17 in dem Kapitel »Grundsätze des
Textaufbaus« lautet: »Überflüssiges streichen«. Das will ich
hier versuchen.
Drittes Vorwort
Ein Gesetz der Straße, das in diesem Buch sonst nicht so direkt
formuliert wird, lautet: »Der Lektor hat immer recht«.
Daraus folgt logischerweise, dass kein Autor alle Ratschläge
seines Lektors* beherzigen wird, denn wir sind alle kleine
Sünder und werden niemals die Perfektion eines Lektors erreichen.
Anders ausgedrückt: Schreiben ist menschlich, Lektorieren
ist göttlich. Chuck Verrill hat dieses Buch lektoriert,
wie schon so viele Romane von mir. Und wie immer,
Chuck, warst du göttlich.
- STEVE
* Hier und auch sonst nutzt King hin und wieder die Gender-Sprachregelung,
in der deutschen Übersetzung steht jedoch die grammatikalisch
männliche für die weibliche Form mit. (Anm. d. Red.)
LEBENSLAUF
Die Autobiografie von Mary Karr, Der Club der Lügner
(Originaltitel: The Liars' Club), hat mich vollkommen überwältigt.
Nicht nur die Grausamkeit, die Schönheit und Karrs
meisterhafte Beherrschung der Muttersprache, sondern vor
allem ihre Totalität. Diese Frau erinnert sich wirklich an jedes
Detail aus ihrer Kindheit.
Bei mir ist das anders. Ich hatte eine turbulente Kindheit,
heute hier - morgen da. Während meiner ersten Lebensjahre
zog meine alleinerziehende Mutter ständig um. Einmal brachte
sie meinen Bruder und mich, glaube ich, für eine Weile bei
einer ihrer Schwestern unter, weil sie finanziell oder psychisch
nicht in der Lage war, mit uns zurechtzukommen.
Vielleicht war sie auch nur auf der Suche nach unserem
Vater, der einen Stapel verschiedenster Rechnungen anhäufte
und sich dann aus dem Staub machte, als ich zwei und mein
Bruder David vier Jahre alt war. Wenn ja, dann hatte sie
keinen Erfolg damit. Meine Mutter Nellie Ruth Pillsbury
King war eine der ersten emanzipierten Frauen Amerikas,
wenn auch nicht freiwillig.
Mary Karr schildert ihre Kindheit als fast lückenloses
Panoramabild. Meine Jugend ähnelt eher einer vernebelten
Landschaft, in der gelegentlich Erinnerungen wie verein-
zelte Bäume auftauchen ... diese Art von Bäumen, die aussehen,
als wollten sie einen packen und fressen.
Es folgen nun einige dieser Erinnerungen, dazu ausgewählte
Schnappschüsse aus den Tagen meiner Jugend und
dem frühen Mannesalter, daran kann ich mich besser erinnern.
Dies ist keine Autobiografie. Es ist eher eine Art Lebenslauf,
mein Versuch, die Entwicklung zum Schriftsteller
nachzuzeichnen. Kein Bericht darüber, was einen zum Schriftsteller
macht, denn ich glaube nicht, dass man Menschen zu
Autoren machen kann, weder durch äußere Einflüsse noch
durch reine Willenskraft (früher war ich anderer Meinung).
Das Zubehör befindet sich in der Originalverpackung. Und
es ist ganz und gar kein ungewöhnliches Zubehör. Ich glaube,
dass sehr viele Menschen zumindest etwas Talent zum Schreiben
oder Erzählen besitzen und dass dieses Talent ver feinert
und gefördert werden kann. Wäre ich davon nicht überzeugt,
wäre es reine Zeitverschwendung, ein Buch wie dieses
zu schreiben.
So war es bei mir - das ist alles. Ein unzusammenhängender
Entwicklungsprozess, an dem Ehrgeiz, Wille, Glück und
ein wenig Talent ihren Anteil hatten. Machen Sie sich nicht
die Mühe, zwischen den Zeilen lesen zu wollen oder nach
einer durchgängigen Linie zu suchen. Es gibt nichts Durchgängiges,
nur Schnappschüsse, viele davon unscharf.
1
Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört die Vorstellung,
jemand anders zu sein, genauer gesagt, der Kraftmensch aus
dem Zirkus der Ringling Brothers. Das war bei meiner Tante
Ethelyn und meinem Onkel Oren in Durham, Maine. Meine
Tante kann sich noch ziemlich gut daran erinnern. Sie meint,
ich sei zweieinhalb oder vielleicht drei Jahre alt gewesen.
In einer Ecke der Garage hatte ich einen Hohlziegel aus
Zement gefunden und es geschafft, ihn hochzuhieven. Langsam
schleppte ich ihn über den glatten zementierten Garagenboden
und stellte mir vor, dass ich ihn, gekleidet in einen
Einteiler aus Pelz (wahrscheinlich Leopardenfell), durch eine
Manege trug. Das Publikum hielt den Atem an. Ein greller
blauweißer Scheinwerfer verfolgte meinen beachtlichen Weg.
In den verblüfften Gesichtern stand geschrieben: Noch nie
hatte jemand so ein unvorstellbar starkes Kind gesehen. »Und
er ist erst zwei Jahre!«, stammelte jemand ungläubig.
Was ich nicht wusste: In der unteren Hälfte des Hohlziegels
hatten sich Wespen ein kleines Nest gebaut. Eine von
ihnen war vielleicht sauer über den unverlangten Umzug,
sie flog heraus und stach mich ins Ohr. Der Schmerz war
schrill wie eine bösartige Eingebung. Es war der schlimmste
Schmerz, den ich in meinem kurzen Leben erlitten hatte,
doch er hielt den Rekord nur wenige Sekunden. Ich vergaß
die Wespe auf der Stelle, als ich den Hohlziegel auf meinen
nackten Fuß fallen ließ und mir alle fünf Zehen quetschte.
Ich weiß nicht mehr, ob ich zum Arzt gebracht wurde. Tante
Ethelyn weiß es auch nicht mehr (Onkel Oren, dem der bösartige
Hohlziegel mit Sicherheit gehörte, ist seit fast zwanzig
Jahren tot), aber sie erinnert sich noch an den Stich, die
gequetschten Zehen und an meine Reaktion. »Du hast geschrien
wie am Spieß, Stephen!«, sagte sie. »An dem Tag
warst du auf jeden Fall gut bei Stimme.«
2
Ungefähr ein Jahr später zogen meine Mutter, mein Bruder
und ich nach West De Pere, Wisconsin. Warum, weiß ich nicht.
Eine andere Schwester meiner Mutter, Cal (eine ehemalige
Schönheitskönigin des Women's Army Corps aus dem Zweiten
Weltkrieg), wohnte mit ihrem geselligen, biertrinkenden
Mann in Wisconsin; vielleicht wollte Mom in ihrer Nähe
sein. Aber selbst wenn, kann ich mich nicht erinnern, die
Weimers oft gesehen zu haben. Oder überhaupt einen von
ihnen. Meine Mutter arbeitete, aber was genau sie machte,
weiß ich nicht mehr. Fast hätte ich gesagt, sie arbeitete in
einer Bäckerei, aber das war, glaube ich, erst später, als wir
nach Connecticut zogen, in die Nähe ihrer Schwester Lois
und deren Mann (bloß bekam Fred kein Bier, und mit der
Geselligkeit war es auch nicht weit her; er war ein Typ mit
Bürstenschnitt, der stolz darauf war, sein Cabrio mit geschlossenem
Verdeck zu fahren, Gott weiß, warum).
In der Zeit in Wisconsin hatten wir einen Babysitter nach
dem anderen. Ich weiß nicht, ob sie aufhörten, weil David
und ich solche Nervensägen waren, weil sie besser bezahlte
Jobs fanden oder weil meine Mutter zu hohe Anforderungen
an sie stellte, die sie nicht erfüllen wollten. Ich weiß nur,
dass wir Babysitter in rauen Mengen verschlissen. Die Einzige,
an die ich mich deutlich erinnern kann, ist Eula, vielleicht
hieß sie auch Beulah. Sie war ein Teenager, fett wie
ein Walross, und lachte viel. Eula-Beulah hatte eine n herrlichen
Humor, das konnte ich schon mit vier Jahren erkennen,
aber er war auch gefährlich: Hinter ihren ausgelassenen
Heiterkeitsausbrüchen, bei denen sie Klapse verteilte,
ihr Hintern wackelte und sie den Kopf in den Nacken warf,
schien immer ein potenzieller Donnerschlag zu lauern. Wenn
ich die mit versteckter Kamera aufgenommenen Filme sehe,
in denen echte Babysitter und Kindermädchen plötzlich sauer
werden und die Kleinen verdreschen, muss ich immer an
meine Zeit mit Eula-Beulah denken.
War sie zu meinem Bruder David genauso gemein wie
zu mir? Keine Ahnung. Er kommt in meinen Erinnerungen
an sie nicht vor. Außerdem wäre er den gefährlichen Winden
des Hurrikans Eula-Beulah sowieso nicht so ausgesetzt
gewesen wie ich, da er mit sechs Jahren bereits im ersten
Schuljahr und daher den Großteil des Tages außerhalb der
Kampfzone war.
Einmal war Eula-Beulah zum Beispiel am Telefon, lachte
mit irgendjemandem und winkte mich zu sich. Sie schlang
die Arme um mich, kitzelte mich, brachte mich zum Lachen
und gab mir dann, immer noch lachend, eine so heftige
Kopfnuss, dass ich hinfiel. Dann kitzelte sie mich mit ihren
nackten Füßen, bis wir beide wieder lachten.
Eula-Beulah furzte oft, und zwar richtig laut und übel
riechend. Manchmal, wenn sie von dieser Plage heimgesucht
wurde, warf sie mich auf die Couch, drückte ihren Hintern
im Wollrock auf mein Gesicht und legte los. »Peng!«, rief
sie dann lustvoll. Es war, als stünde ich unter Sumpfgasbeschuss.
Ich erinnere mich an die Dunkelheit, an das Gefühl
zu ersticken ... und an das Lachen. Denn was passierte, war
zwar irgendwie furchtbar, aber auch gleichzeitig irgendwie
Neubearbeitete, vollständige Taschenbuchausgabe 03/2011
Copyright © 2000 by Stephen King
Copyright © 2000 der deutschen Übersetzung by Ullstein Verlag
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2011
Neubearbeitung: Corinna Wieja
Redaktion: Momo Evers
Umschlaggestaltung und Konzeption:
Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich,
unter Verwendung einer Illustration von © Anja Filler
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-453-43574-2
www.heyne.de
Aber es kam anders, denn die Band löste sich nie ganz
auf. Es machte uns viel zu viel Spaß, gemeinsam zu spielen.
Und wir hörten uns ziemlich gut an mit den »eingeschmuggelten
« Profis an Saxofon und Schlagzeug (anfangs war
auch unser musikalischer Guru Al Kooper als Herz der Band
dabei). Sie würden zahlen, um uns zu hören. Nicht so viel
wie für U2 oder E Street Band , aber vielleicht immerhin das,
was die alten Hasen »roadhouse money« nennen. Wir gingen
mit der Band auf Tournee, schrieben ein Buch darüber
(und meine Frau machte die Fotos und tanzte, wann immer
ihr danach war, was ziemlich oft vorkam). Auch heute spielen
wir noch ab und zu, mal als The Remainders, mal als
Raymond Burr's Legs. Die Besetzung kommt und geht - der
Kolumnist Mitch Albom hat Barbara an den Keyboards
abgelöst, und Al ist nicht mehr dabei, weil er sich nicht
mit Kathi versteht -, aber den Kern aus Kathi, Amy, Ridley,
Dave, Mitch Albom und mir gibt es immer noch. Dazu Josh
Kelly am Schlagzeug und Erasmo Paolo am Saxofon.
Wir spielen, weil es uns Spaß macht, aber auch weil wir
gern zusammen sind. Wir können einander gut leiden, und
uns gefällt, dass die Band uns die Möglichkeit gibt, über unsere
Arbeit zu reden, über unseren Alltagsjob, zu dem uns
die Menschen immer wieder ermutigen. Wir sind Schriftsteller,
aber wir fragen uns gegenseitig nie, woher wir unsere
Ideen bekommen. Wir wissen, dass wir das nicht wissen.
Als wir eines Abends vor einem Auftritt in Miami Beach
bei einem Chinesen aßen, fragte ich Amy, ob es eine Frage
gebe, die ihr in der Diskussion, die beinahe jeder Lesung
folgt, noch nie gestellt worden sei. Die eine Frage, die nie
aufgeworfen wird, wenn man vor einer Menge ehrfürchtiger
Fans steht und so tut, als stiege man nicht mit einem
Bein nach dem anderen in seine Hose, so wie alle anderen
auch. Amy hielt inne, dachte gründlich nach und sagte
schließlich: »Es fragt nie einer nach der Sprache.«
Ich bin ihr für diese Antwort außerordentlich dankbar. Denn
ich spielte damals schon seit über einem Jahr mit der Idee, ein
kleines Buch über das Schreiben zu verfassen, zögerte aber,
weil ich meinen Beweggründen misstraute. Warum wollte ich
von der Arbeit des Schriftstellers berichten? Wieso war ich
der Ansicht, etwas Sinnvolles darüber zu sagen zu haben?
Die einfachste Antwort lautet, dass jemand, der so viele
Romane verkauft hat wie ich, einfach etwas Lohnendes
über das Schreiben zu sagen haben muss. Doch die einfachste
Antwort ist nicht immer die richtige. Colonel Sanders
von Kentucky Fried Chicken hat Unmengen von Hühnerschenkeln
verkauft, aber ich bin mir nicht sicher, ob
irgendjemand wissen will, wie er es gemacht hat. Wenn ich
vermessen genug wäre, eine Anleitung zum Schreiben herauszugeben,
müsste ich meiner Meinung nach einen besseren
Grund als meinen großen Erfolg vorweisen können. Anders
ausgedrückt, ich wollte kein auch noch so kurzes Buch
wie dieses schreiben, bei dem ich mir hinterher wie ein literarischer
Klugschwätzer oder aufgeblasener Dummkopf vorkomme.
Von diesen Büchern (und diesen Autoren) gibt es
schon genug auf dem Markt - danke.
Aber Amy hatte recht: Wir werden nie nach der Sprache
gefragt. Die DeLillos, Updikes und Styrons werden darauf
angesprochen, die Autoren der Unterhaltungsliteratur jedoch
nicht. Aber auch wir profanen Kritzler machen uns auf
unsere bescheidene Art Gedanken über die Sprache, auch
wir verrichten unser Handwerk, die Kunst, Geschichten zu
Papier zu bringen, mit Leidenschaft. Dieses Buch ist ein Versuch,
kurz und bündig darzulegen, wie ich zu dieser Kunst
kam, was ich inzwischen über sie weiß und wie sie gefertigt
wird. Dieses Buch handelt von der alltäglichen Arbeit - von
der Sprache.
Ich widme dieses Buch Amy Tan , die mir auf sehr schlichte,
direkte Art sagte, dass ich es beruhigt schreiben kann.
Zweites Vorwort
Dies ist ein kurzes Buch, denn Bücher über das Schreiben
sind voller Blödsinn. Belletristikautoren, ich eingeschlossen,
haben keine große Ahnung davon, was sie eigentlich tun.
Sie wissen nicht, warum etwas Gutes funktioniert und etwas
Schlechtes nicht. Ich dachte mir: Je kürzer das Buch, desto
weniger Blödsinn steht drin.
Die einzige Ausnahme von dieser Blödsinn-Regel ist The
Elements of Style von William Strunk jr. und E. B. White. In
diesem Buch ist wenig oder gar kein erkennbarer Blödsinn
zu finden. (Es ist natürlich kurz; mit 85 Seiten sogar
viel kürzer als dieses hier.) Ich möchte Ihnen ans Herz legen,
dass jeder angehende Schriftsteller The Elements of Style
lesen sollte. Regel Nr. 17 in dem Kapitel »Grundsätze des
Textaufbaus« lautet: »Überflüssiges streichen«. Das will ich
hier versuchen.
Drittes Vorwort
Ein Gesetz der Straße, das in diesem Buch sonst nicht so direkt
formuliert wird, lautet: »Der Lektor hat immer recht«.
Daraus folgt logischerweise, dass kein Autor alle Ratschläge
seines Lektors* beherzigen wird, denn wir sind alle kleine
Sünder und werden niemals die Perfektion eines Lektors erreichen.
Anders ausgedrückt: Schreiben ist menschlich, Lektorieren
ist göttlich. Chuck Verrill hat dieses Buch lektoriert,
wie schon so viele Romane von mir. Und wie immer,
Chuck, warst du göttlich.
- STEVE
* Hier und auch sonst nutzt King hin und wieder die Gender-Sprachregelung,
in der deutschen Übersetzung steht jedoch die grammatikalisch
männliche für die weibliche Form mit. (Anm. d. Red.)
LEBENSLAUF
Die Autobiografie von Mary Karr, Der Club der Lügner
(Originaltitel: The Liars' Club), hat mich vollkommen überwältigt.
Nicht nur die Grausamkeit, die Schönheit und Karrs
meisterhafte Beherrschung der Muttersprache, sondern vor
allem ihre Totalität. Diese Frau erinnert sich wirklich an jedes
Detail aus ihrer Kindheit.
Bei mir ist das anders. Ich hatte eine turbulente Kindheit,
heute hier - morgen da. Während meiner ersten Lebensjahre
zog meine alleinerziehende Mutter ständig um. Einmal brachte
sie meinen Bruder und mich, glaube ich, für eine Weile bei
einer ihrer Schwestern unter, weil sie finanziell oder psychisch
nicht in der Lage war, mit uns zurechtzukommen.
Vielleicht war sie auch nur auf der Suche nach unserem
Vater, der einen Stapel verschiedenster Rechnungen anhäufte
und sich dann aus dem Staub machte, als ich zwei und mein
Bruder David vier Jahre alt war. Wenn ja, dann hatte sie
keinen Erfolg damit. Meine Mutter Nellie Ruth Pillsbury
King war eine der ersten emanzipierten Frauen Amerikas,
wenn auch nicht freiwillig.
Mary Karr schildert ihre Kindheit als fast lückenloses
Panoramabild. Meine Jugend ähnelt eher einer vernebelten
Landschaft, in der gelegentlich Erinnerungen wie verein-
zelte Bäume auftauchen ... diese Art von Bäumen, die aussehen,
als wollten sie einen packen und fressen.
Es folgen nun einige dieser Erinnerungen, dazu ausgewählte
Schnappschüsse aus den Tagen meiner Jugend und
dem frühen Mannesalter, daran kann ich mich besser erinnern.
Dies ist keine Autobiografie. Es ist eher eine Art Lebenslauf,
mein Versuch, die Entwicklung zum Schriftsteller
nachzuzeichnen. Kein Bericht darüber, was einen zum Schriftsteller
macht, denn ich glaube nicht, dass man Menschen zu
Autoren machen kann, weder durch äußere Einflüsse noch
durch reine Willenskraft (früher war ich anderer Meinung).
Das Zubehör befindet sich in der Originalverpackung. Und
es ist ganz und gar kein ungewöhnliches Zubehör. Ich glaube,
dass sehr viele Menschen zumindest etwas Talent zum Schreiben
oder Erzählen besitzen und dass dieses Talent ver feinert
und gefördert werden kann. Wäre ich davon nicht überzeugt,
wäre es reine Zeitverschwendung, ein Buch wie dieses
zu schreiben.
So war es bei mir - das ist alles. Ein unzusammenhängender
Entwicklungsprozess, an dem Ehrgeiz, Wille, Glück und
ein wenig Talent ihren Anteil hatten. Machen Sie sich nicht
die Mühe, zwischen den Zeilen lesen zu wollen oder nach
einer durchgängigen Linie zu suchen. Es gibt nichts Durchgängiges,
nur Schnappschüsse, viele davon unscharf.
1
Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört die Vorstellung,
jemand anders zu sein, genauer gesagt, der Kraftmensch aus
dem Zirkus der Ringling Brothers. Das war bei meiner Tante
Ethelyn und meinem Onkel Oren in Durham, Maine. Meine
Tante kann sich noch ziemlich gut daran erinnern. Sie meint,
ich sei zweieinhalb oder vielleicht drei Jahre alt gewesen.
In einer Ecke der Garage hatte ich einen Hohlziegel aus
Zement gefunden und es geschafft, ihn hochzuhieven. Langsam
schleppte ich ihn über den glatten zementierten Garagenboden
und stellte mir vor, dass ich ihn, gekleidet in einen
Einteiler aus Pelz (wahrscheinlich Leopardenfell), durch eine
Manege trug. Das Publikum hielt den Atem an. Ein greller
blauweißer Scheinwerfer verfolgte meinen beachtlichen Weg.
In den verblüfften Gesichtern stand geschrieben: Noch nie
hatte jemand so ein unvorstellbar starkes Kind gesehen. »Und
er ist erst zwei Jahre!«, stammelte jemand ungläubig.
Was ich nicht wusste: In der unteren Hälfte des Hohlziegels
hatten sich Wespen ein kleines Nest gebaut. Eine von
ihnen war vielleicht sauer über den unverlangten Umzug,
sie flog heraus und stach mich ins Ohr. Der Schmerz war
schrill wie eine bösartige Eingebung. Es war der schlimmste
Schmerz, den ich in meinem kurzen Leben erlitten hatte,
doch er hielt den Rekord nur wenige Sekunden. Ich vergaß
die Wespe auf der Stelle, als ich den Hohlziegel auf meinen
nackten Fuß fallen ließ und mir alle fünf Zehen quetschte.
Ich weiß nicht mehr, ob ich zum Arzt gebracht wurde. Tante
Ethelyn weiß es auch nicht mehr (Onkel Oren, dem der bösartige
Hohlziegel mit Sicherheit gehörte, ist seit fast zwanzig
Jahren tot), aber sie erinnert sich noch an den Stich, die
gequetschten Zehen und an meine Reaktion. »Du hast geschrien
wie am Spieß, Stephen!«, sagte sie. »An dem Tag
warst du auf jeden Fall gut bei Stimme.«
2
Ungefähr ein Jahr später zogen meine Mutter, mein Bruder
und ich nach West De Pere, Wisconsin. Warum, weiß ich nicht.
Eine andere Schwester meiner Mutter, Cal (eine ehemalige
Schönheitskönigin des Women's Army Corps aus dem Zweiten
Weltkrieg), wohnte mit ihrem geselligen, biertrinkenden
Mann in Wisconsin; vielleicht wollte Mom in ihrer Nähe
sein. Aber selbst wenn, kann ich mich nicht erinnern, die
Weimers oft gesehen zu haben. Oder überhaupt einen von
ihnen. Meine Mutter arbeitete, aber was genau sie machte,
weiß ich nicht mehr. Fast hätte ich gesagt, sie arbeitete in
einer Bäckerei, aber das war, glaube ich, erst später, als wir
nach Connecticut zogen, in die Nähe ihrer Schwester Lois
und deren Mann (bloß bekam Fred kein Bier, und mit der
Geselligkeit war es auch nicht weit her; er war ein Typ mit
Bürstenschnitt, der stolz darauf war, sein Cabrio mit geschlossenem
Verdeck zu fahren, Gott weiß, warum).
In der Zeit in Wisconsin hatten wir einen Babysitter nach
dem anderen. Ich weiß nicht, ob sie aufhörten, weil David
und ich solche Nervensägen waren, weil sie besser bezahlte
Jobs fanden oder weil meine Mutter zu hohe Anforderungen
an sie stellte, die sie nicht erfüllen wollten. Ich weiß nur,
dass wir Babysitter in rauen Mengen verschlissen. Die Einzige,
an die ich mich deutlich erinnern kann, ist Eula, vielleicht
hieß sie auch Beulah. Sie war ein Teenager, fett wie
ein Walross, und lachte viel. Eula-Beulah hatte eine n herrlichen
Humor, das konnte ich schon mit vier Jahren erkennen,
aber er war auch gefährlich: Hinter ihren ausgelassenen
Heiterkeitsausbrüchen, bei denen sie Klapse verteilte,
ihr Hintern wackelte und sie den Kopf in den Nacken warf,
schien immer ein potenzieller Donnerschlag zu lauern. Wenn
ich die mit versteckter Kamera aufgenommenen Filme sehe,
in denen echte Babysitter und Kindermädchen plötzlich sauer
werden und die Kleinen verdreschen, muss ich immer an
meine Zeit mit Eula-Beulah denken.
War sie zu meinem Bruder David genauso gemein wie
zu mir? Keine Ahnung. Er kommt in meinen Erinnerungen
an sie nicht vor. Außerdem wäre er den gefährlichen Winden
des Hurrikans Eula-Beulah sowieso nicht so ausgesetzt
gewesen wie ich, da er mit sechs Jahren bereits im ersten
Schuljahr und daher den Großteil des Tages außerhalb der
Kampfzone war.
Einmal war Eula-Beulah zum Beispiel am Telefon, lachte
mit irgendjemandem und winkte mich zu sich. Sie schlang
die Arme um mich, kitzelte mich, brachte mich zum Lachen
und gab mir dann, immer noch lachend, eine so heftige
Kopfnuss, dass ich hinfiel. Dann kitzelte sie mich mit ihren
nackten Füßen, bis wir beide wieder lachten.
Eula-Beulah furzte oft, und zwar richtig laut und übel
riechend. Manchmal, wenn sie von dieser Plage heimgesucht
wurde, warf sie mich auf die Couch, drückte ihren Hintern
im Wollrock auf mein Gesicht und legte los. »Peng!«, rief
sie dann lustvoll. Es war, als stünde ich unter Sumpfgasbeschuss.
Ich erinnere mich an die Dunkelheit, an das Gefühl
zu ersticken ... und an das Lachen. Denn was passierte, war
zwar irgendwie furchtbar, aber auch gleichzeitig irgendwie
Neubearbeitete, vollständige Taschenbuchausgabe 03/2011
Copyright © 2000 by Stephen King
Copyright © 2000 der deutschen Übersetzung by Ullstein Verlag
Copyright © 2011 dieser Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2011
Neubearbeitung: Corinna Wieja
Redaktion: Momo Evers
Umschlaggestaltung und Konzeption:
Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich,
unter Verwendung einer Illustration von © Anja Filler
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-453-43574-2
www.heyne.de
... weniger
Autoren-Porträt von Stephen King
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephen King
- 2011, 333 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Andrea Fischer
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453435745
- ISBN-13: 9783453435742
- Erscheinungsdatum: 03.02.2011
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