Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2
Roman
Barcelona in den turbulenten Jahren vor dem Bürgerkrieg: Der junge David Martín fristet sein Leben als Autor von Schauergeschichten. Als ernsthafter Schriftsteller verkannt, von einer tödlichen Krankheit bedroht und um die Liebe seines Lebens betrogen,...
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Produktinformationen zu „Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2 “
Klappentext zu „Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2 “
Barcelona in den turbulenten Jahren vor dem Bürgerkrieg: Der junge David Martín fristet sein Leben als Autor von Schauergeschichten. Als ernsthafter Schriftsteller verkannt, von einer tödlichen Krankheit bedroht und um die Liebe seines Lebens betrogen, scheinen seine großen Erwartungen sich in nichts aufzulösen. Doch einer glaubt an sein Talent: Der mysteriöse Verleger Andreas Corelli macht ihm ein Angebot, das Verheißung und Versuchung zugleich ist. David kann nicht widerstehen und ahnt nicht, in wessen Bann er gerät - und in welchen Strudel furchterregender Ereignisse ...Mit unwiderstehlicher erzählerischer Kraft lockt uns Carlos Ruiz Zafón wieder auf den Friedhof der Vergessenen Bücher: mitten hinein in einen Kosmos voller Spannung und Fantastik, Freundschaft und Liebe, Schrecken und Intrige. In eine Welt, die vom diabolischen Wunsch nach ewiger Schönheit regiert wird.
Lese-Probe zu „Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2 “
Das Spiel des Engels von Carlos Ruiz Zafón1
Ein Schriftsteller vergisst nie, wann er zum ersten Mal für eine Geschichte ein paar Münzen oder Lob empfangen hat. Er vergisst nie, wann er zum ersten Mal das süße Gift der Eitelkeit im Blut gespürt und geglaubt hat, wenn er nur seine Talentlosigkeit vor den anderen geheim halten könne, werde ihm der Traum von der Literatur ein Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit am Ende des Tages und schließlich das Heißersehnte verschaffen: seinen Namen auf ein paar kläglichen Blättern gedruckt zu sehen, die ihn mit Gewissheit überleben werden. Ein Schriftsteller ist dazu verdammt, immer wieder an diesen Moment zu denken, denn wenn es so weit ist, ist er bereits verloren, und seine Seele kennt ihren Preis.
Ich sollte das zum ersten Mal an einem weit zurückliegenden Dezembertag des Jahres 1917 erleben. Ich war siebzehn und arbeitete bei der Stimme der Industrie, einer heruntergewirtschafteten Zeitung, die in einer Art Höhle vor sich hinsiechte; das Gebäude hatte einst eine Schwefelsäurefabrik beherbergt, und seine Mauern schwitzten noch immer den beißenden Dunst aus, der Möbel, Kleider, Seelen und sogar die Schuhsohlen zerfraß. Der Sitz der Zeitung erhob sich hinter einem Wald aus Engeln und Kruzifixen des Friedhofs von Pueblo Nuevo, und aus der Ferne verschmolz der Schattenriss des Hauses mit der Silhouette der Gräberwelt vor einem Horizont aus Hunderten von Schloten und Fabriken, welche eine dauernde Dämmerung aus Scharlach und Schwarz über Barcelona legten.
... mehr
An dem Abend, da mein Leben eine neue Richtung einschlagen sollte, beliebte mich der stellvertretende Chefredakteur, Don Basilio Moragas, kurz vor Schluss in das düstere Kabäuschen zuhinterst in der Redaktion zu zitieren, das ihm zugleich als Büro wie Raucherzimmer diente. Don Basilio war ein wild aussehender Mann mit buschigem Schnauzbart, der von Zimperlichkeiten nicht viel hielt und die Theorie vertrat, verschwenderisch gebrauchte Adjektive und Adverbien seien etwas für Perverse und Leute mit Vitaminmangel. Wenn er einen Redakteur mit einem Hang zu blumiger Prosa ertappte, verdonnerte er ihn drei Wochen lang zum Verfassen von Todesanzeigen. Hatte der Betroffene nach dieser Reinigung einen Rückfall, so versetzte ihn Don Basilio lebenslänglich zur Handarbeitsseite. Wir hatten alle Angst vor ihm, und das wusste er nur zu gut.
»Sie haben mich kommen lassen, Don Basilio?«, fragte ich schüchtern.
Der stellvertretende Chefredakteur warf einen raschen Blick auf mich. Ich trat in das Büro, das den Geruch nach Schweiß und Tabak ausdünstete - in dieser Reihenfolge. Don Basilio ignorierte meine Anwesenheit und redigierte mit dem Rotstift einen der Artikel weiter, die auf seinem Schreibtisch lagen. Zwei Minuten lang korrigierte, ja amputierte er den Text und schimpfte dabei leise vor sich hin, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und als ich einen Stuhl an der Wand entdeckte, machte ich Anstalten, mich zu setzen.
»Wer hat Ihnen gesagt, Sie sollen sich setzen?«, murmelte Don Basilio, ohne vom Text aufzuschauen.
Ich richtete mich eilends wieder auf und hielt den Atem an. Der stellvertretende Chefredakteur stieß einen Seufzer aus, ließ den Rotstift auf den Tisch fallen und lehnte sich in seinem Sessel zurück, um mich wie ein nutzloses Stück Gerümpel zu betrachten.
»Man hat mir gesagt, Sie schreiben, Martín.«
Ich schluckte, und als ich den Mund auftat, kam ein lächerlich dünnes Stimmchen heraus.
»Ein wenig, also, ich weiß nicht, ich meine, nun ja, ich schreibe . . .«
»Ich hoffe, das machen Sie besser, als Sie sprechen. Und was schreiben Sie denn, wenn man fragen darf?«
»Detektivgeschichten. Das heißt . . .«
»Ich verstehe schon.«
Den Blick, den mir Don Basilio schenkte, werde ich nie vergessen. Hätte ich gesagt, ich fertige aus frischem Mist Krippenfigürchen, so hätte ihn das dreimal mehr begeistert. Er seufzte abermals und zuckte die Achseln.
»Vidal sagt, Sie seien gar nicht so schlecht. Sie seien sogar ausgezeichnet. Allerdings - bei der Konkurrenz in diesen Hallen braucht man auch nicht weit zu laufen. Aber wenn Vidal meint ...«
Pedro Vidal war die Edelfeder der Stimme der Industrie. Er verfasste jede Woche für die Vermischten Meldungen eine Kolumne, den einzigen lesenswerten Text in der ganzen Zeitung, und war Autor von einem Dutzend Kriminalromanen, die es zu einer bescheidenen Popularität gebracht hatten und von Gangstern des Raval handelten, welche gelegentlich das Schlafzimmer von Damen der oberen Zehntausend teilten. In seinen untadeligen Seidenanzügen und glänzenden italienischen Mokassins glich Vidal vom Äußeren und von den Gesten her einem Filmbeau. Das blonde Haar war stets peinlich genau gekämmt, der Schnurrbart wie mit dem Lineal gezogen, und er hatte das unbefangene, großzügige Lächeln von jemandem, der sich in der Welt wie in seiner Haut vollkommen wohlfühlt. Er entstammte einer Dynastie von Männern, die in Südamerika mit dem Zuckergeschäft ein Vermögen und nach ihrer Rückkehr bei der äußerst lukrativen Elektrifizierung der Stadt ihren Schnitt gemacht hatten. Sein Vater, Patriarch des Clans, war Mehrheitsaktionär der Zeitung, und Don Pedro nutzte die Redaktion als Spielwiese gegen die Langeweile, da er es an keinem einzigen Tag in seinem Leben nötig gehabt hatte zu arbeiten. Es spielte keine große Rolle, dass die Zeitung so viel Geld verlor wie die neuen Autos Öl, von dem allmählich die Straßen Barcelonas schillerten. Die Vidal-Dynastie sammelte nach der Fülle von Adelstiteln nun Banken und im Ensanche Grundstücke von der Größe kleiner Fürstentümer.
Pedro Vidal war der Erste gewesen, dem ich die Skizzen gezeigt hatte, die ich schrieb, als ich, fast noch ein Kind, in der Redaktion Kaffee und Zigaretten verteilte. Immer hatte er Zeit für mich, um mein Geschreibsel zu lesen und mir gute Ratschläge zu geben. Nach und nach wurde ich sein Assistent und durfte seine Texte auf der Maschine abtippen. Auch war er es, der mir sagte, wenn ich für mein Schicksal im russischen Roulette der Literatur setzen wolle, sei er bereit, mich zu unterstützen und bei den ersten Schritten an der Hand zu nehmen. Im Vertrauen auf sein Wort überließ ich mich jetzt den Klauen Don Basilios, des Redaktionszerberus.
»Vidal ist ein sentimentaler Mensch, der noch an diese zutiefst antispanischen Legenden wie die von der Leistungsgesellschaft glaubt, oder dass man dem eine Chance geben soll, der es verdient, und nicht dem Protegé vom Dienst. Betucht, wie er ist, kann er es sich leisten, als Lyriker durch die Welt zu wandeln. Hätte ich auch nur ein Hundertstel seiner Peseten, ich schriebe längst Sonette, und die Vögelchen würden mir aus der Hand fressen, so verzaubert wären sie von meiner Güte und meinem Charme.«
»Señor Vidal ist ein großer Mann«, protestierte ich.
»Mehr als das. Er ist ein Heiliger, weil er mir trotz Ihres Hungerleidergesichts seit Wochen in den Ohren liegt, wie talentiert und fleißig der Redaktionsbenjamin sei. Er weiß, dass ich im Grunde ein weichherziger Mensch bin, und zudem hat er mir ein Kistchen Havannazigarren versprochen, wenn ich Ihnen diese Chance gebe. Und wenn Vidal das sagt, dann ist das für mich, als käme Moses mit den ganzen in Stein gehauenen offenbarten Wahrheiten auf dem Rücken den Berg runter. Also, kurzum, da Weihnachten ist und damit Ihr Freund endlich Ruhe gibt, biete ich Ihnen an, wie ein Held zu debütieren: gegen Gott und die Welt.«
»Allerherzlichsten Dank, Don Basilio. Ich versichere Ihnen, es wird Ihnen nicht leidtun, dass Sie . . .«
»Nicht so hastig, Bürschchen. Was halten Sie denn so von verschwenderisch und wahllos gebrauchten Adjektiven und Adverbien?«
»Eine Schande, die unter Strafe gestellt werden sollte«, antwortete ich mit der Überzeugung eines militanten Konvertiten.
Don Basilio nickte.
»Sie sind auf dem rechten Weg, Martín. Sie haben klare Prioritäten. In diesem Metier überlebt nur, wer Prioritäten hat und nicht Prinzipien. Wir machen Folgendes. Setzen Sie sich und spitzen Sie die Ohren, ich werde es Ihnen nicht zweimal sagen.«
Sein Plan war folgender. Aus Gründen, über die sich Don Basilio nicht weiter auslassen mochte, war der Artikel für die letzte Seite der Sonntagsausgabe, traditionellerweise ein literarischer Text oder ein Reisebericht, in letzter Minute ausgeblieben. Vorgesehen gewesen war eine Erzählung patriotischen Zuschnitts voll glühender Schwärmereien über die Heldentaten der Almogavaren. Diese im Dienst der katalanisch-aragonesischen Krone stehenden Soldaten hatten gleichsam im Vorbeigehen das Christentum gerettet und alles, was ehrbar war unter dem Himmel, vom Heiligen Land bis zum Llobregat Delta. Leider war der Text nicht rechtzeitig eingetroffen, oder aber Don Basilio hatte, wie ich vermutete, nicht die geringste Lust, ihn abzudrucken. Damit war sechs Stunden vor Redaktionsschluss kein anderer Ersatz in Sicht als ein ganzseitiges Inserat für Fischbeinkorsetts, die eine traumhafte Taille und ungestraften Cannellonigenuss verhießen. In diesem Dilemma hatte die Redaktionsleitung beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und die zögerlichen literarischen Talente des Hauses in die Pflicht zu nehmen, um das Loch zu stopfen und unser treues Familienpublikum mit einem vierspaltigen Opus von humanistischer Tendenz zu ergötzen. Die Liste bewährter Talente, auf die man zurückgreifen konnte, bestand aus zehn Namen, von denen natürlich keiner der meine war.
»Mein lieber Martín, die Umstände haben sich verschworen, und keiner der Paladine unserer Belegschaft ist persönlich anwesend oder in angemessener Zeit aufzufinden. Angesichts der drohenden Katastrophe habe ich beschlossen, Sie für befähigt genug zu halten.«
»Sie können auf mich zählen.«
»Ich zähle auf fünf Blatt in doppeltem Zeilenabstand vor Ablauf von sechs Stunden, Don Edgar Allan Poe. Und bringen Sie mir eine Geschichte, keine Abhandlung. Wenn ich Predigten will, gehe ich zur Christmette. Bringen Sie mir eine Geschichte, die ich nicht schon gelesen habe, und wenn ich sie schon gelesen habe, bringen Sie sie mir so gut geschrieben und erzählt, dass ich es gar nicht erst merke.«
Ich wollte flugs entschwinden, da stand Don Basilio auf, ging um den Schreibtisch herum und legte mir eine Pranke vom Ausmaß und Gewicht eines Ambosses auf die Schulter. Erst jetzt, von nahem, sah ich, dass seine Augen lächelten.
»Wenn die Geschichte anständig ist, werde ich Ihnen zehn Peseten zahlen. Und wenn sie mehr als anständig ist und unseren Lesern zusagt, werde ich weitere davon abdrucken.«
»Sonst noch irgendeine Anweisung, Don Basilio?«, fragte ich.
»Ja - enttäuschen Sie mich nicht.«
Die folgenden sechs Stunden verbrachte ich wie in Trance. Ich richtete mich in der Mitte der Redaktion an dem Tisch ein, der Vidal an den Tagen vorbehalten war, da es ihm beliebte, hier die Zeit totzuschlagen. Der große Raum war menschenleer und in die Düsternis des Rauchs von zehntausend Zigaretten getaucht. Ich schloss einen Moment die Augen und beschwor ein Bild herauf, eine schwarze Wolkendecke, deren Regen sich auf die Stadt ergoss, einen Mann mit Blut an den Händen und einem Geheimnis im Blick, der sich durch die Schatten tastete. Ich wusste nicht, wer er war, noch wovor er floh, aber in den nächsten sechs Stunden sollte er mein treuster Freund werden. Ich spannte ein Blatt in die Walze und presste ohne Pause alles, was ich zu bieten hatte, hervor. Ich rang mit jedem Wort, jedem Satz, jeder Wendung, jedem Buchstaben und jedem Bild, als wären sie die letzten meines Lebens. Ich schrieb und schrieb Zeile für Zeile um, als ob meine Existenz davon abhinge, und dann schrieb ich alles abermals um. Meine einzige Gesellschaft waren das unablässige, sich in den Schatten des Raumes verlierende Tastengeklapper und die große Wanduhr, die die bis zum Morgengrauen verbleibenden Minuten aufzehrte.
Kurz vor sechs Uhr riss ich das letzte Blatt aus der Maschine und seufzte erschöpft in dem Gefühl, mein Hirn sei ein Wespennest. Ich hörte die langsamen, schweren Schritte Don Basilios näher kommen, der aus einem seiner kontrollierten Nickerchen erwacht war. Ich gab ihm die Seiten, hielt aber seinem Blick nicht stand. Er setzte sich an den Nebentisch und knipste die Lampe an. Seine Augen glitten auf der ersten Seite hin und her, ohne eine Regung erkennen zu lassen. Dann deponierte er die Zigarette für einen Augenblick auf der Tischkante, sah mich an und las laut die erste Zeile: »Die Nacht bricht über die Stadt herein, und in den Straßen liegt Pulvergeruch wie der Hauch eines Fluches.«
Copyright @ S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2008
An dem Abend, da mein Leben eine neue Richtung einschlagen sollte, beliebte mich der stellvertretende Chefredakteur, Don Basilio Moragas, kurz vor Schluss in das düstere Kabäuschen zuhinterst in der Redaktion zu zitieren, das ihm zugleich als Büro wie Raucherzimmer diente. Don Basilio war ein wild aussehender Mann mit buschigem Schnauzbart, der von Zimperlichkeiten nicht viel hielt und die Theorie vertrat, verschwenderisch gebrauchte Adjektive und Adverbien seien etwas für Perverse und Leute mit Vitaminmangel. Wenn er einen Redakteur mit einem Hang zu blumiger Prosa ertappte, verdonnerte er ihn drei Wochen lang zum Verfassen von Todesanzeigen. Hatte der Betroffene nach dieser Reinigung einen Rückfall, so versetzte ihn Don Basilio lebenslänglich zur Handarbeitsseite. Wir hatten alle Angst vor ihm, und das wusste er nur zu gut.
»Sie haben mich kommen lassen, Don Basilio?«, fragte ich schüchtern.
Der stellvertretende Chefredakteur warf einen raschen Blick auf mich. Ich trat in das Büro, das den Geruch nach Schweiß und Tabak ausdünstete - in dieser Reihenfolge. Don Basilio ignorierte meine Anwesenheit und redigierte mit dem Rotstift einen der Artikel weiter, die auf seinem Schreibtisch lagen. Zwei Minuten lang korrigierte, ja amputierte er den Text und schimpfte dabei leise vor sich hin, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und als ich einen Stuhl an der Wand entdeckte, machte ich Anstalten, mich zu setzen.
»Wer hat Ihnen gesagt, Sie sollen sich setzen?«, murmelte Don Basilio, ohne vom Text aufzuschauen.
Ich richtete mich eilends wieder auf und hielt den Atem an. Der stellvertretende Chefredakteur stieß einen Seufzer aus, ließ den Rotstift auf den Tisch fallen und lehnte sich in seinem Sessel zurück, um mich wie ein nutzloses Stück Gerümpel zu betrachten.
»Man hat mir gesagt, Sie schreiben, Martín.«
Ich schluckte, und als ich den Mund auftat, kam ein lächerlich dünnes Stimmchen heraus.
»Ein wenig, also, ich weiß nicht, ich meine, nun ja, ich schreibe . . .«
»Ich hoffe, das machen Sie besser, als Sie sprechen. Und was schreiben Sie denn, wenn man fragen darf?«
»Detektivgeschichten. Das heißt . . .«
»Ich verstehe schon.«
Den Blick, den mir Don Basilio schenkte, werde ich nie vergessen. Hätte ich gesagt, ich fertige aus frischem Mist Krippenfigürchen, so hätte ihn das dreimal mehr begeistert. Er seufzte abermals und zuckte die Achseln.
»Vidal sagt, Sie seien gar nicht so schlecht. Sie seien sogar ausgezeichnet. Allerdings - bei der Konkurrenz in diesen Hallen braucht man auch nicht weit zu laufen. Aber wenn Vidal meint ...«
Pedro Vidal war die Edelfeder der Stimme der Industrie. Er verfasste jede Woche für die Vermischten Meldungen eine Kolumne, den einzigen lesenswerten Text in der ganzen Zeitung, und war Autor von einem Dutzend Kriminalromanen, die es zu einer bescheidenen Popularität gebracht hatten und von Gangstern des Raval handelten, welche gelegentlich das Schlafzimmer von Damen der oberen Zehntausend teilten. In seinen untadeligen Seidenanzügen und glänzenden italienischen Mokassins glich Vidal vom Äußeren und von den Gesten her einem Filmbeau. Das blonde Haar war stets peinlich genau gekämmt, der Schnurrbart wie mit dem Lineal gezogen, und er hatte das unbefangene, großzügige Lächeln von jemandem, der sich in der Welt wie in seiner Haut vollkommen wohlfühlt. Er entstammte einer Dynastie von Männern, die in Südamerika mit dem Zuckergeschäft ein Vermögen und nach ihrer Rückkehr bei der äußerst lukrativen Elektrifizierung der Stadt ihren Schnitt gemacht hatten. Sein Vater, Patriarch des Clans, war Mehrheitsaktionär der Zeitung, und Don Pedro nutzte die Redaktion als Spielwiese gegen die Langeweile, da er es an keinem einzigen Tag in seinem Leben nötig gehabt hatte zu arbeiten. Es spielte keine große Rolle, dass die Zeitung so viel Geld verlor wie die neuen Autos Öl, von dem allmählich die Straßen Barcelonas schillerten. Die Vidal-Dynastie sammelte nach der Fülle von Adelstiteln nun Banken und im Ensanche Grundstücke von der Größe kleiner Fürstentümer.
Pedro Vidal war der Erste gewesen, dem ich die Skizzen gezeigt hatte, die ich schrieb, als ich, fast noch ein Kind, in der Redaktion Kaffee und Zigaretten verteilte. Immer hatte er Zeit für mich, um mein Geschreibsel zu lesen und mir gute Ratschläge zu geben. Nach und nach wurde ich sein Assistent und durfte seine Texte auf der Maschine abtippen. Auch war er es, der mir sagte, wenn ich für mein Schicksal im russischen Roulette der Literatur setzen wolle, sei er bereit, mich zu unterstützen und bei den ersten Schritten an der Hand zu nehmen. Im Vertrauen auf sein Wort überließ ich mich jetzt den Klauen Don Basilios, des Redaktionszerberus.
»Vidal ist ein sentimentaler Mensch, der noch an diese zutiefst antispanischen Legenden wie die von der Leistungsgesellschaft glaubt, oder dass man dem eine Chance geben soll, der es verdient, und nicht dem Protegé vom Dienst. Betucht, wie er ist, kann er es sich leisten, als Lyriker durch die Welt zu wandeln. Hätte ich auch nur ein Hundertstel seiner Peseten, ich schriebe längst Sonette, und die Vögelchen würden mir aus der Hand fressen, so verzaubert wären sie von meiner Güte und meinem Charme.«
»Señor Vidal ist ein großer Mann«, protestierte ich.
»Mehr als das. Er ist ein Heiliger, weil er mir trotz Ihres Hungerleidergesichts seit Wochen in den Ohren liegt, wie talentiert und fleißig der Redaktionsbenjamin sei. Er weiß, dass ich im Grunde ein weichherziger Mensch bin, und zudem hat er mir ein Kistchen Havannazigarren versprochen, wenn ich Ihnen diese Chance gebe. Und wenn Vidal das sagt, dann ist das für mich, als käme Moses mit den ganzen in Stein gehauenen offenbarten Wahrheiten auf dem Rücken den Berg runter. Also, kurzum, da Weihnachten ist und damit Ihr Freund endlich Ruhe gibt, biete ich Ihnen an, wie ein Held zu debütieren: gegen Gott und die Welt.«
»Allerherzlichsten Dank, Don Basilio. Ich versichere Ihnen, es wird Ihnen nicht leidtun, dass Sie . . .«
»Nicht so hastig, Bürschchen. Was halten Sie denn so von verschwenderisch und wahllos gebrauchten Adjektiven und Adverbien?«
»Eine Schande, die unter Strafe gestellt werden sollte«, antwortete ich mit der Überzeugung eines militanten Konvertiten.
Don Basilio nickte.
»Sie sind auf dem rechten Weg, Martín. Sie haben klare Prioritäten. In diesem Metier überlebt nur, wer Prioritäten hat und nicht Prinzipien. Wir machen Folgendes. Setzen Sie sich und spitzen Sie die Ohren, ich werde es Ihnen nicht zweimal sagen.«
Sein Plan war folgender. Aus Gründen, über die sich Don Basilio nicht weiter auslassen mochte, war der Artikel für die letzte Seite der Sonntagsausgabe, traditionellerweise ein literarischer Text oder ein Reisebericht, in letzter Minute ausgeblieben. Vorgesehen gewesen war eine Erzählung patriotischen Zuschnitts voll glühender Schwärmereien über die Heldentaten der Almogavaren. Diese im Dienst der katalanisch-aragonesischen Krone stehenden Soldaten hatten gleichsam im Vorbeigehen das Christentum gerettet und alles, was ehrbar war unter dem Himmel, vom Heiligen Land bis zum Llobregat Delta. Leider war der Text nicht rechtzeitig eingetroffen, oder aber Don Basilio hatte, wie ich vermutete, nicht die geringste Lust, ihn abzudrucken. Damit war sechs Stunden vor Redaktionsschluss kein anderer Ersatz in Sicht als ein ganzseitiges Inserat für Fischbeinkorsetts, die eine traumhafte Taille und ungestraften Cannellonigenuss verhießen. In diesem Dilemma hatte die Redaktionsleitung beschlossen, den Stier bei den Hörnern zu packen und die zögerlichen literarischen Talente des Hauses in die Pflicht zu nehmen, um das Loch zu stopfen und unser treues Familienpublikum mit einem vierspaltigen Opus von humanistischer Tendenz zu ergötzen. Die Liste bewährter Talente, auf die man zurückgreifen konnte, bestand aus zehn Namen, von denen natürlich keiner der meine war.
»Mein lieber Martín, die Umstände haben sich verschworen, und keiner der Paladine unserer Belegschaft ist persönlich anwesend oder in angemessener Zeit aufzufinden. Angesichts der drohenden Katastrophe habe ich beschlossen, Sie für befähigt genug zu halten.«
»Sie können auf mich zählen.«
»Ich zähle auf fünf Blatt in doppeltem Zeilenabstand vor Ablauf von sechs Stunden, Don Edgar Allan Poe. Und bringen Sie mir eine Geschichte, keine Abhandlung. Wenn ich Predigten will, gehe ich zur Christmette. Bringen Sie mir eine Geschichte, die ich nicht schon gelesen habe, und wenn ich sie schon gelesen habe, bringen Sie sie mir so gut geschrieben und erzählt, dass ich es gar nicht erst merke.«
Ich wollte flugs entschwinden, da stand Don Basilio auf, ging um den Schreibtisch herum und legte mir eine Pranke vom Ausmaß und Gewicht eines Ambosses auf die Schulter. Erst jetzt, von nahem, sah ich, dass seine Augen lächelten.
»Wenn die Geschichte anständig ist, werde ich Ihnen zehn Peseten zahlen. Und wenn sie mehr als anständig ist und unseren Lesern zusagt, werde ich weitere davon abdrucken.«
»Sonst noch irgendeine Anweisung, Don Basilio?«, fragte ich.
»Ja - enttäuschen Sie mich nicht.«
Die folgenden sechs Stunden verbrachte ich wie in Trance. Ich richtete mich in der Mitte der Redaktion an dem Tisch ein, der Vidal an den Tagen vorbehalten war, da es ihm beliebte, hier die Zeit totzuschlagen. Der große Raum war menschenleer und in die Düsternis des Rauchs von zehntausend Zigaretten getaucht. Ich schloss einen Moment die Augen und beschwor ein Bild herauf, eine schwarze Wolkendecke, deren Regen sich auf die Stadt ergoss, einen Mann mit Blut an den Händen und einem Geheimnis im Blick, der sich durch die Schatten tastete. Ich wusste nicht, wer er war, noch wovor er floh, aber in den nächsten sechs Stunden sollte er mein treuster Freund werden. Ich spannte ein Blatt in die Walze und presste ohne Pause alles, was ich zu bieten hatte, hervor. Ich rang mit jedem Wort, jedem Satz, jeder Wendung, jedem Buchstaben und jedem Bild, als wären sie die letzten meines Lebens. Ich schrieb und schrieb Zeile für Zeile um, als ob meine Existenz davon abhinge, und dann schrieb ich alles abermals um. Meine einzige Gesellschaft waren das unablässige, sich in den Schatten des Raumes verlierende Tastengeklapper und die große Wanduhr, die die bis zum Morgengrauen verbleibenden Minuten aufzehrte.
Kurz vor sechs Uhr riss ich das letzte Blatt aus der Maschine und seufzte erschöpft in dem Gefühl, mein Hirn sei ein Wespennest. Ich hörte die langsamen, schweren Schritte Don Basilios näher kommen, der aus einem seiner kontrollierten Nickerchen erwacht war. Ich gab ihm die Seiten, hielt aber seinem Blick nicht stand. Er setzte sich an den Nebentisch und knipste die Lampe an. Seine Augen glitten auf der ersten Seite hin und her, ohne eine Regung erkennen zu lassen. Dann deponierte er die Zigarette für einen Augenblick auf der Tischkante, sah mich an und las laut die erste Zeile: »Die Nacht bricht über die Stadt herein, und in den Straßen liegt Pulvergeruch wie der Hauch eines Fluches.«
Copyright @ S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2008
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Autoren-Porträt von Carlos Ruiz Zafón
Carlos Ruiz Zafón begeisterte mit seinen Barcelona-Romanen um den Friedhof der Vergessenen Bücher ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt. »Der Schatten des Windes«, »Das Spiel des Engels«, »Der Gefangene des Himmels« und »Das Labyrinth der Lichter« waren allesamt internationale Bestseller. Auch »Marina«, der Roman, den er kurz vor den großen Barcelona-Romanen schuf, stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Seine ersten Erfolge feierte Carlos Ruiz Zafón mit den drei phantastischen Schauerromanen »Der Fürst des Nebels«, »Mitternachtspalast« und »Der dunkle Wächter«. Carlos Ruiz Zafón wurde 1964 in Barcelona geboren und starb 2020 in seiner Wahlheimat Los Angeles. Schwaar, PeterPeter Schwaar, geboren 1947 in Zürich, studierte Germanistik und Musikwissenschaft in Zürich und Berlin und war Redakteur beim Zürcher »Tages-Anzeiger«. Seit 1987 arbeitet er als freier Journalist und Übersetzer (Eduardo Mendoza, Juan José Millás, Adolfo Bioy Casares, Álvaro Mutis, Tomás Eloy Martinéz, David Trueba u.a.). Er lebt in Barcelona.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carlos Ruiz Zafón
- 2017, 3. Aufl., 800 Seiten, Maße: 9,2 x 14,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Peter Schwaar
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596512646
- ISBN-13: 9783596512645
- Erscheinungsdatum: 24.09.2012
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