Der Leuchtturmwärter / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.7
Kriminalroman
Schriftstellerin Erica Falck hat mit ihren Zwillingen alle Hände voll zu tun. Ihr Mann Patrick ist zurück im Polizeidienst. Da zieht Ericas Freundin Annie in die Nähe in ein kleines Haus auf der Leuchtturminsel. Dunkle Legenden ranken um...
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Produktinformationen zu „Der Leuchtturmwärter / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.7 “
Schriftstellerin Erica Falck hat mit ihren Zwillingen alle Hände voll zu tun. Ihr Mann Patrick ist zurück im Polizeidienst. Da zieht Ericas Freundin Annie in die Nähe in ein kleines Haus auf der Leuchtturminsel. Dunkle Legenden ranken um diesen Ort. Doch Annie fürchtet sich nicht, zumal ihr geliebter Mats zu ihr zurückkehrt. Doch dann wird Mats brutal ermordet.
Klappentext zu „Der Leuchtturmwärter / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.7 “
Schriftstellerin Erica Falck hat mit ihren Zwillingen alle Hände voll zu tun, seit ihr Mann Patrik wieder im Polizeidienst ist. Sie findet kaum Zeit für ihre Schulfreundin Annie, die gerade in das idyllische Fischerdorf Fjällbacka zurückgekehrt ist. Annie zieht in das kleine Haus auf der Leuchtturminsel vor der Küste. Dort soll es nachts spuken, und dunkle Legenden ranken sich um den Ort. Annie scheint es nicht zu stören, vor allem als Mats, ihre erste große Liebe, zu ihr zurückkehrt. Doch dann wird Mats brutal ermordet. Patrik und Erica beginnen zu ermitteln.Lese-Probe zu „Der Leuchtturmwärter / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.7 “
Der Leuchtturmwärter von Camilla LäckbergErst als sie das Lenkrad umfasste, sah sie, dass ihre Hände voller Blut waren. Die Finger blieben am Leder kleben. Sie scherte sich jedoch nicht darum, sondern legte den Rückwärtsgang ein und fuhr so forsch aus der Garageneinfahrt, dass unter den Reifen der Schotter hochspritzte.
Die Fahrt würde lange dauern. Sie warf einen Blick auf die Rückbank. Sam schlief, eingewickelt in eine Decke. Eigentlich hätte sie ihn anschnallen müssen, aber sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu wecken. Sie musste nur so vorsichtig wie möglich fahren. Automatisch nahm sie den Fuß ein wenig vom Gas.
Die Sommernacht ging bereits ihrem Ende zu. Die dunklen Stunden, kaum dass sie begonnen hatten, waren schon fast vorüber. Trotzdem erschien ihr diese Nacht endlos. Alles hatte sich geändert. Fredriks braune Augen hatten reglos an die Decke gestarrt, und sie hatte begriffen, dass sie nichts mehr tun konnte. Sie musste sich und Sam in Sicherheit bringen. An das Blut und an Fredrik durfte sie nicht denken.
Es gab nur einen Ort, wohin sie flüchten konnte.
... mehr
Sechs Stunden später waren sie angekommen. Fjällbacka wurde langsam wach. Sie stellte den Wagen bei der Küstenwache ab und überlegte eine Weile, wie sie alles transportieren sollte. Sam schlief noch immer tief und fest. Sie nahm eine Packung Taschentücher aus dem Handschuhfach und wischte sich notdürftig die Hände sauber. Das Blut ließ sich nur schwer entfernen. Dann hievte sie das Gepäck aus dem Kofferraum und zog die Koffer nach Badholmen, wo das Boot lag. Sie fürchtete, dass Sam aufwachen würde, hatte aber zur Sicherheit das Auto abgeschlossen, damit er nicht aussteigen und womöglich ins Wasser fallen konnte. Ächzend stellte sie die Koffer ins Boot und löste die Sicherheitskette, die verhindern sollte, dass das Boot gestohlen wurde. Anschließend rannte sie zurück zum Auto und stellte erleichtert fest, dass Sam noch genauso ruhig schlief wie vorher. Sie nahm ihn auf den Arm und trug ihn in der Decke zum Boot. Beim Einsteigen achtete sie darauf, nicht auszurutschen. Vorsichtig legte sie Sam ins Boot und drehte den Zündschlüssel um. Beim ersten Versuch gab der Motor nur ein Hüsteln von sich. Sie war lange nicht mit dem Boot gefahren, hatte aber das Gefühl, dass sie es schaffen würde. Rückwärts legte sie ab und steuerte das Boot aus dem Hafen.
Die Sonne schien, aber sie wärmte noch nicht. Langsam ließ die Anspannung nach, und die entsetzliche Nacht fiel von ihr ab. Sie betrachtete Sam. Ob er einen dauerhaften Schaden davongetragen hatte? Ein Fünfjähriger war verletzlich. Man konnte nicht wissen, was in seinem Innern zerbrochen war. Sie würde alles tun, um ihn zu heilen. Das Böse würde sie wegküssen wie nach einem Fahrradsturz oder wenn er sich die Knie aufgeschlagen hatte.
Die Strecke war ihr vertraut. Sie kannte jede Insel, jede Schäre. Sie steuerte Väderöbod an und entfernte sich immer weiter von der Küste. Der Seegang war nun etwas höher, und der Bug klatschte nach jedem Wellenkamm auf die Wasseroberfläche. Sie genoss das Salzwasser, das ihr ins Gesicht spritzte, und schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, erblickte sie in der Ferne Gråskär. Wie jedes Mal, wenn die Insel plötzlich in Sicht kam und sie das kleine Haus und den stolzen weißen Leuchtturm vor dem blauen Himmel sehen konnte, machte ihr Herz vor Freude einen Sprung. Noch war sie zu weit entfernt, um den Anstrich des Hauses zu erkennen, aber sie konnte sich gut an den hellgrauen Farbton und die weißen Fensterrahmen erinnern. Vor ihrem inneren Auge sah sie auch die rosa Stockrosen an der windabgewandten Seite. Das war ihr Zufluchtsort, ihr Paradies. Ihr Gråskär.
In der Kirche von Fjällbacka waren alle Bänke besetzt, und der Altarraum quoll über vor Blumen. Kränze, Sträuße und seidene Trauerschleifen mit letzten Grüßen.
Patrik brachte es kaum über sich, den weißen Sarg inmitten des Blütenmeers anzusehen. In der großen Steinkirche herrschte beklemmende Stille. Auf den Beerdigungen von alten Menschen war immer Gemurmel zu hören. Während man sich auf Kaffee und Kuchen freute, raunte man sich zu: Sie hatte so starke Schmerzen, dass es wohl ein Segen war. Heute wurde geschwiegen. Alle saßen schwermütig auf ihren Plätzen und konnten die Ungerechtigkeit nicht fassen. So etwas durfte nicht sein.
Patrik räusperte sich, hob den Blick zur Decke und versuchte, seine Tränen wegzublinzeln. Er umklammerte Ericas Hand. Der Anzug kniff und kratzte, und Patrik musste am Hemdkragen zerren, um wieder Luft zu bekommen. Er hatte das Gefühl zu ersticken.
Oben im Turm läuteten die Glocken, und der Klang hallte von den Wänden wider. Viele zuckten zusammen und warfen einen Blick auf den Sarg. Lena kam aus der Sakristei und ging auf den Altar zu. Vor einer gefühlten Ewigkeit, in einer vollkommen anderen Wirklichkeit hatte Lena sie in dieser Kirche getraut. Damals war die Stimmung heiter, gelöst und unbeschwert gewesen. Nun wirkte die Pastorin ernst. Patrik versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Fand sie es auch nicht richtig? Oder lebte sie in der Gewissheit, dass alles, was geschah, einen Sinn hatte?
Wieder kamen ihm die Tränen. Er wischte sie sich mit dem Handrücken ab. Erica steckte ihm unauffällig ein Taschentuch zu. Nachdem der letzte Orgelton verklungen war, herrschte einige Sekunden lang Stille. Erst dann ergriff Lena das Wort. Anfangs bebte ihre Stimme, doch mit der Zeit wurde sie fester.
»Das Leben kann sich von einem Augenblick auf den anderen verändern. Aber Gott ist mit uns. Auch heute.«
Patrik sah, wie sich ihr Mund bewegte, hörte ihr aber nicht mehr zu. Er wollte nicht wissen, was sie sagte. Das bisschen Kinderglaube, das ihn sein Leben lang begleitet hatte, war verschwunden. Das, was passiert war, hatte keinen Sinn. Erneut umklammerte er Ericas Hand.
»Ich habe die Ehre, Ihnen voller Stolz zu verkünden, dass wir unseren Zeitplan einhalten werden. In gut drei Wochen findet in Fjällbacka die feierliche Einweihung des Wellnesshotels Badis statt.«
Erling W. Larson plusterte sich auf und ließ den Blick über die Vorstandsmitglieder des Gemeinderats schweifen, als erwarte er Applaus, musste sich jedoch damit begnügen, dass der eine oder andere anerkennend nickte. Immerhin.
»Das ist ein triumphaler Augenblick für unseren Ort«, erklärte er. »Einerseits ist ein Gebäude, das man nur als Kleinod bezeichnen kann, von Grund auf renoviert worden, andererseits haben wir nun ein modernes und konkurrenzfähiges Gesundheitszentrum zu bieten. Oder besser gesagt ein Spa, wie man das heutzutage nennt.« Er deutete mit dem Zeigefinger Gänsefüßchen an. »Nun bleibt nur noch der Feinschliff, dann dürfen einige ausgewählte Gruppen die Anlage testen, und schließlich muss das glanzvolle Eröffnungsfest vorbereitet werden.«
»Schön. Ich habe nur noch ein paar Fragen.« Mats Sverin, der seit einigen Monaten für die kommunalen Finanzen zuständig war, wedelte mit seinem Kuli, um Erling auf sich aufmerksam zu machen.
Aber Erling schaltete auf stur. Ihm war alles zuwider, was mit Verwaltung und Buchhaltung zu tun hatte. Zügig erklärte er die Versammlung für beendet und zog sich in sein geräumiges Arbeitszimmer zurück.
Nach dem Misserfolg mit der Realityshow »Raus aus Tanum« hatte niemand geglaubt, dass er noch einmal auf die Beine kommen würde, aber nun stand er mit einem noch grandioseren Projekt da. Nicht einmal im Kreuzfeuer der Kritik hatte er an sich gezweifelt. Er war von Geburt an ein Gewinnertyp.
Natürlich war ihm das Ganze an die Nieren gegangen, und deshalb war er zur Erholung nach Dalarna auf den Gesundheitshof Licht gefahren. Das war ein Glücksgriff gewesen, denn sonst hätte er niemals Vivianne kennengelernt. Die Begegnung mit ihr war für ihn ein Wendepunkt gewesen, sowohl beruflich als auch privat. Sie hatte ihn bezaubert wie noch keine andere Frau, und nun verwirklichte er ihren Traum.
Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, zum Hörer zu greifen und sie anzurufen. Es war bereits das vierte Mal an diesem Tag, aber beim Klang ihrer Stimme kribbelte es in seinem ganzen Körper. Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass sie ans Telefon ging.
»Hallo, mein Liebling«, sagte er, nachdem sie sich gemeldet hatte. »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht.«
»Erling«, antwortete sie in diesem besonderen Ton, bei dem er sich wie ein liebeskranker Jüngling vorkam. »Es geht mir noch genauso gut wie bei deinem letzten Anruf vor einer Stunde.«
»Fein.« Er grinste dämlich. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dir gut geht.«
»Ich weiß, und dafür liebe ich dich. Aber wir haben vor der Einweihung noch viel zu erledigen, und du willst doch wohl nicht, dass ich bis spät in die Nacht arbeiten muss?«
»Auf keinen Fall, mein Schatz.«
Er beschloss, sie nun nicht mehr zu stören. Die Abende mit ihr waren ihm heilig.
»Sei schön fleißig, das bin ich hier auch.« Er schmatzte ein paar Küsse in den Hörer und legte auf. Dann lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück, faltete die Hände im Nacken und malte sich genüsslich die Freuden aus, die ihn heute noch erwarteten.
Im Haus roch es abgestanden. Annie machte alle Fenster und Türen weit auf und ließ den frischen Wind durch die Räume wehen. Im starken Luftzug fiel beinahe eine Vase um, aber sie fing sie im letzten Moment auf.
Sam lag in dem kleinen Zimmer neben der Küche. Sie hatten es in all den Jahren als Gästezimmer bezeichnet, obwohl es eigentlich ihr gehörte. Ihre Eltern hatten im Obergeschoss geschlafen. Sie warf einen Blick auf ihn, legte sich ein Tuch um die Schultern und nahm den großen, rostigen Schlüssel von dem Haken neben der Haustür, wo er immer hing. Dann ging sie zu den Klippen. Der Wind blies ihr durch die Kleidung, als sie mit dem Rücken zum Haus den Horizont betrachtete. Das einzige andere Gebäude auf der Insel war der Leuchtturm. Der Bootsschuppen unten am Anleger war so klein, dass er nicht zählte.
Sie wanderte hinüber zum Leuchtturm. Gunnar musste das Schloss geölt haben, denn der Schlüssel ließ sich erstaunlich leicht drehen. Knarrend öffnete sich die Tür. Dahinter begannen gleich die Stufen. Sie hielt sich am Geländer fest, als sie die schmale, steile Treppe hochstieg.
Die Aussicht war atemberaubend schön, das hatte sie immer gefunden. Auf der einen Seite sah man nur das Meer und den Horizont, auf der anderen breiteten sich die Schären und Inseln aus. Der Leuchtturm wurde schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt. Nun stand er auf der Insel wie ein Denkmal vergangener Zeiten. Die Lampe war aus, und die gusseisernen Mantelplatten und Bolzen rosteten durchs Salzwasser und den Wind langsam vor sich hin. Als Kind hatte sie es geliebt, hier oben zu spielen. Es war so eng wie in einer Puppenstube hoch über der Erde. Nur ein Bett, in dem sich die Leuchtturmwärter während ihrer langen Schichten ausruhten, und ein Stuhl, von dem aus man das Fahrwasser beobachten konnte, passten in den Raum.
Sie legte sich auf das Bett. Die Tagesdecke verströmte einen muffigen Geruch, aber die Geräusche hörten sich noch genauso an wie in ihrer Kindheit. Das Kreischen der Sturmmöwen, die Wellen, die gegen die Klippen schlugen, und die knirschenden und ächzenden Laute, die der Leuchtturm von sich gab. Damals war alles so einfach gewesen. Ihre Eltern hatten sich besorgt gefragt, ob sie sich als einziges Kind auf der Insel nicht langweilen würde. Aber das hätten sie nicht gemusst. Sie liebte es, hier zu sein. Und allein war sie auch nicht gewesen. Doch das konnte sie ihnen nicht erklären.
Seufzend schaufelte Mats Severin die Papiere auf seinem Schreibtisch von einer Seite zur anderen. Heute war so ein Tag, an dem er nur an sie denken konnte. Nicht aufhören konnte, sich Fragen zu stellen. An diesen Tagen schaffte er nicht viel, aber sie wurden inzwischen immer seltener. Er hatte angefangen loszulassen, das redete er sich zumindest ein. In Wahrheit würde ihm das wohl niemals vollständig gelingen. Noch immer sah er ihr Gesicht ganz deutlich vor sich, und im Grunde war er dankbar dafür. Gleichzeitig wünschte er, dass die Bilder endlich verblassen würden.
Er versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. An guten Tagen machte es ihm mitunter sogar Spaß. Es war eine Herausforderung, sich in die Finanzen einer Gemeinde einzuarbeiten, wo ständig zwischen politischer Rücksichtnahme und marktwirtschaftlicher Vernunft abgewogen werden musste. In den Monaten, die er hier schon arbeitete, hatte er natürlich viel Zeit auf das Projekt Badis verwendet. Er freute sich darüber, dass das alte Gebäude endlich restauriert worden war. Genau wie der Großteil der Leute aus Fjällbacka, ob sie nun noch hier wohnten oder längst weggezogen waren, hatte er jedes Mal, wenn er an dem einst so schönen Gebäude vorbeikam, bedauert, dass man es einfach verfallen ließ. Nun erstrahlte es wieder im alten Glanz.
Hoffentlich behielt Erling recht, wenn er dem Betrieb einen so gigantischen Erfolg versprach. Mats war skeptisch. Das Projekt hatte allein für den Umbau enorme Summen verschlungen, und der vorgelegte Businessplan gründete sich auf viel zu optimistische Berechnungen. Mehrmals hatte er versucht, seine Einwände vorzubringen, war aber auf taube Ohren gestoßen. Außerdem hatte er das ungute Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Dabei war das Projekt von ihm immer wieder durchgerechnet worden, festgestellt hatte er lediglich, dass die bereits entstandenen Kosten schwindelerregend hoch waren.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Zeit fürs Mittagessen. Richtigen Appetit hatte er schon lange nicht mehr, aber er musste etwas essen. Heute war Donnerstag, und das bedeutete, dass es im Källaren Pfannkuchen und Erbsensuppe gab. Ein bisschen würde er wohl runterbekommen.
Nur die nächsten Angehörigen sollten bei der Beisetzung anwesend sein. Die anderen verschwanden in Richtung Ort. Erica umklammerte Patriks Hand. Sie gingen direkt hinter dem Sarg, und sie hatte das Gefühl, dass ihr jeder Schritt einen Stoß ins Herz versetzte. Sie hatte sich sehr bemüht, Anna davon abzuhalten, sich das anzutun, aber ihre Schwester hatte auf einer richtigen Beerdigung bestanden. Da dieser Wunsch sie vorübergehend aus ihrem apathischen Zustand gerissen hatte, gab Erica es schließlich auf und war bei allen notwendigen Vorbereitungen behilflich, damit Anna und Dan ihren Sohn begraben konnten.
In einem Punkt jedoch hatte sie sich ihrer Schwester nicht gebeugt. Anna wollte alle Kinder dabeihaben, aber Erica hatte darauf bestanden, dass die kleineren zu Hause blieben. Nur die beiden Ältesten, Dans Töchter Belinda und Malin, kamen mit. Auf Lisen, Adrian, Emma und Maja passte Patriks Mutter Kristina auf. Auf die Zwillinge natürlich auch. Erica hatte befürchtet, dass es Kristina zu viel würde, aber ihre Schwiegermutter hatte ihr versichert, dass die Kinder die zwei Stunden, die die Beerdigung dauerte, in ihrer Obhut überleben würden.
Copyright © Ullstein Verlag.
Sechs Stunden später waren sie angekommen. Fjällbacka wurde langsam wach. Sie stellte den Wagen bei der Küstenwache ab und überlegte eine Weile, wie sie alles transportieren sollte. Sam schlief noch immer tief und fest. Sie nahm eine Packung Taschentücher aus dem Handschuhfach und wischte sich notdürftig die Hände sauber. Das Blut ließ sich nur schwer entfernen. Dann hievte sie das Gepäck aus dem Kofferraum und zog die Koffer nach Badholmen, wo das Boot lag. Sie fürchtete, dass Sam aufwachen würde, hatte aber zur Sicherheit das Auto abgeschlossen, damit er nicht aussteigen und womöglich ins Wasser fallen konnte. Ächzend stellte sie die Koffer ins Boot und löste die Sicherheitskette, die verhindern sollte, dass das Boot gestohlen wurde. Anschließend rannte sie zurück zum Auto und stellte erleichtert fest, dass Sam noch genauso ruhig schlief wie vorher. Sie nahm ihn auf den Arm und trug ihn in der Decke zum Boot. Beim Einsteigen achtete sie darauf, nicht auszurutschen. Vorsichtig legte sie Sam ins Boot und drehte den Zündschlüssel um. Beim ersten Versuch gab der Motor nur ein Hüsteln von sich. Sie war lange nicht mit dem Boot gefahren, hatte aber das Gefühl, dass sie es schaffen würde. Rückwärts legte sie ab und steuerte das Boot aus dem Hafen.
Die Sonne schien, aber sie wärmte noch nicht. Langsam ließ die Anspannung nach, und die entsetzliche Nacht fiel von ihr ab. Sie betrachtete Sam. Ob er einen dauerhaften Schaden davongetragen hatte? Ein Fünfjähriger war verletzlich. Man konnte nicht wissen, was in seinem Innern zerbrochen war. Sie würde alles tun, um ihn zu heilen. Das Böse würde sie wegküssen wie nach einem Fahrradsturz oder wenn er sich die Knie aufgeschlagen hatte.
Die Strecke war ihr vertraut. Sie kannte jede Insel, jede Schäre. Sie steuerte Väderöbod an und entfernte sich immer weiter von der Küste. Der Seegang war nun etwas höher, und der Bug klatschte nach jedem Wellenkamm auf die Wasseroberfläche. Sie genoss das Salzwasser, das ihr ins Gesicht spritzte, und schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, erblickte sie in der Ferne Gråskär. Wie jedes Mal, wenn die Insel plötzlich in Sicht kam und sie das kleine Haus und den stolzen weißen Leuchtturm vor dem blauen Himmel sehen konnte, machte ihr Herz vor Freude einen Sprung. Noch war sie zu weit entfernt, um den Anstrich des Hauses zu erkennen, aber sie konnte sich gut an den hellgrauen Farbton und die weißen Fensterrahmen erinnern. Vor ihrem inneren Auge sah sie auch die rosa Stockrosen an der windabgewandten Seite. Das war ihr Zufluchtsort, ihr Paradies. Ihr Gråskär.
In der Kirche von Fjällbacka waren alle Bänke besetzt, und der Altarraum quoll über vor Blumen. Kränze, Sträuße und seidene Trauerschleifen mit letzten Grüßen.
Patrik brachte es kaum über sich, den weißen Sarg inmitten des Blütenmeers anzusehen. In der großen Steinkirche herrschte beklemmende Stille. Auf den Beerdigungen von alten Menschen war immer Gemurmel zu hören. Während man sich auf Kaffee und Kuchen freute, raunte man sich zu: Sie hatte so starke Schmerzen, dass es wohl ein Segen war. Heute wurde geschwiegen. Alle saßen schwermütig auf ihren Plätzen und konnten die Ungerechtigkeit nicht fassen. So etwas durfte nicht sein.
Patrik räusperte sich, hob den Blick zur Decke und versuchte, seine Tränen wegzublinzeln. Er umklammerte Ericas Hand. Der Anzug kniff und kratzte, und Patrik musste am Hemdkragen zerren, um wieder Luft zu bekommen. Er hatte das Gefühl zu ersticken.
Oben im Turm läuteten die Glocken, und der Klang hallte von den Wänden wider. Viele zuckten zusammen und warfen einen Blick auf den Sarg. Lena kam aus der Sakristei und ging auf den Altar zu. Vor einer gefühlten Ewigkeit, in einer vollkommen anderen Wirklichkeit hatte Lena sie in dieser Kirche getraut. Damals war die Stimmung heiter, gelöst und unbeschwert gewesen. Nun wirkte die Pastorin ernst. Patrik versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Fand sie es auch nicht richtig? Oder lebte sie in der Gewissheit, dass alles, was geschah, einen Sinn hatte?
Wieder kamen ihm die Tränen. Er wischte sie sich mit dem Handrücken ab. Erica steckte ihm unauffällig ein Taschentuch zu. Nachdem der letzte Orgelton verklungen war, herrschte einige Sekunden lang Stille. Erst dann ergriff Lena das Wort. Anfangs bebte ihre Stimme, doch mit der Zeit wurde sie fester.
»Das Leben kann sich von einem Augenblick auf den anderen verändern. Aber Gott ist mit uns. Auch heute.«
Patrik sah, wie sich ihr Mund bewegte, hörte ihr aber nicht mehr zu. Er wollte nicht wissen, was sie sagte. Das bisschen Kinderglaube, das ihn sein Leben lang begleitet hatte, war verschwunden. Das, was passiert war, hatte keinen Sinn. Erneut umklammerte er Ericas Hand.
»Ich habe die Ehre, Ihnen voller Stolz zu verkünden, dass wir unseren Zeitplan einhalten werden. In gut drei Wochen findet in Fjällbacka die feierliche Einweihung des Wellnesshotels Badis statt.«
Erling W. Larson plusterte sich auf und ließ den Blick über die Vorstandsmitglieder des Gemeinderats schweifen, als erwarte er Applaus, musste sich jedoch damit begnügen, dass der eine oder andere anerkennend nickte. Immerhin.
»Das ist ein triumphaler Augenblick für unseren Ort«, erklärte er. »Einerseits ist ein Gebäude, das man nur als Kleinod bezeichnen kann, von Grund auf renoviert worden, andererseits haben wir nun ein modernes und konkurrenzfähiges Gesundheitszentrum zu bieten. Oder besser gesagt ein Spa, wie man das heutzutage nennt.« Er deutete mit dem Zeigefinger Gänsefüßchen an. »Nun bleibt nur noch der Feinschliff, dann dürfen einige ausgewählte Gruppen die Anlage testen, und schließlich muss das glanzvolle Eröffnungsfest vorbereitet werden.«
»Schön. Ich habe nur noch ein paar Fragen.« Mats Sverin, der seit einigen Monaten für die kommunalen Finanzen zuständig war, wedelte mit seinem Kuli, um Erling auf sich aufmerksam zu machen.
Aber Erling schaltete auf stur. Ihm war alles zuwider, was mit Verwaltung und Buchhaltung zu tun hatte. Zügig erklärte er die Versammlung für beendet und zog sich in sein geräumiges Arbeitszimmer zurück.
Nach dem Misserfolg mit der Realityshow »Raus aus Tanum« hatte niemand geglaubt, dass er noch einmal auf die Beine kommen würde, aber nun stand er mit einem noch grandioseren Projekt da. Nicht einmal im Kreuzfeuer der Kritik hatte er an sich gezweifelt. Er war von Geburt an ein Gewinnertyp.
Natürlich war ihm das Ganze an die Nieren gegangen, und deshalb war er zur Erholung nach Dalarna auf den Gesundheitshof Licht gefahren. Das war ein Glücksgriff gewesen, denn sonst hätte er niemals Vivianne kennengelernt. Die Begegnung mit ihr war für ihn ein Wendepunkt gewesen, sowohl beruflich als auch privat. Sie hatte ihn bezaubert wie noch keine andere Frau, und nun verwirklichte er ihren Traum.
Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, zum Hörer zu greifen und sie anzurufen. Es war bereits das vierte Mal an diesem Tag, aber beim Klang ihrer Stimme kribbelte es in seinem ganzen Körper. Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass sie ans Telefon ging.
»Hallo, mein Liebling«, sagte er, nachdem sie sich gemeldet hatte. »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht.«
»Erling«, antwortete sie in diesem besonderen Ton, bei dem er sich wie ein liebeskranker Jüngling vorkam. »Es geht mir noch genauso gut wie bei deinem letzten Anruf vor einer Stunde.«
»Fein.« Er grinste dämlich. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dir gut geht.«
»Ich weiß, und dafür liebe ich dich. Aber wir haben vor der Einweihung noch viel zu erledigen, und du willst doch wohl nicht, dass ich bis spät in die Nacht arbeiten muss?«
»Auf keinen Fall, mein Schatz.«
Er beschloss, sie nun nicht mehr zu stören. Die Abende mit ihr waren ihm heilig.
»Sei schön fleißig, das bin ich hier auch.« Er schmatzte ein paar Küsse in den Hörer und legte auf. Dann lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück, faltete die Hände im Nacken und malte sich genüsslich die Freuden aus, die ihn heute noch erwarteten.
Im Haus roch es abgestanden. Annie machte alle Fenster und Türen weit auf und ließ den frischen Wind durch die Räume wehen. Im starken Luftzug fiel beinahe eine Vase um, aber sie fing sie im letzten Moment auf.
Sam lag in dem kleinen Zimmer neben der Küche. Sie hatten es in all den Jahren als Gästezimmer bezeichnet, obwohl es eigentlich ihr gehörte. Ihre Eltern hatten im Obergeschoss geschlafen. Sie warf einen Blick auf ihn, legte sich ein Tuch um die Schultern und nahm den großen, rostigen Schlüssel von dem Haken neben der Haustür, wo er immer hing. Dann ging sie zu den Klippen. Der Wind blies ihr durch die Kleidung, als sie mit dem Rücken zum Haus den Horizont betrachtete. Das einzige andere Gebäude auf der Insel war der Leuchtturm. Der Bootsschuppen unten am Anleger war so klein, dass er nicht zählte.
Sie wanderte hinüber zum Leuchtturm. Gunnar musste das Schloss geölt haben, denn der Schlüssel ließ sich erstaunlich leicht drehen. Knarrend öffnete sich die Tür. Dahinter begannen gleich die Stufen. Sie hielt sich am Geländer fest, als sie die schmale, steile Treppe hochstieg.
Die Aussicht war atemberaubend schön, das hatte sie immer gefunden. Auf der einen Seite sah man nur das Meer und den Horizont, auf der anderen breiteten sich die Schären und Inseln aus. Der Leuchtturm wurde schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt. Nun stand er auf der Insel wie ein Denkmal vergangener Zeiten. Die Lampe war aus, und die gusseisernen Mantelplatten und Bolzen rosteten durchs Salzwasser und den Wind langsam vor sich hin. Als Kind hatte sie es geliebt, hier oben zu spielen. Es war so eng wie in einer Puppenstube hoch über der Erde. Nur ein Bett, in dem sich die Leuchtturmwärter während ihrer langen Schichten ausruhten, und ein Stuhl, von dem aus man das Fahrwasser beobachten konnte, passten in den Raum.
Sie legte sich auf das Bett. Die Tagesdecke verströmte einen muffigen Geruch, aber die Geräusche hörten sich noch genauso an wie in ihrer Kindheit. Das Kreischen der Sturmmöwen, die Wellen, die gegen die Klippen schlugen, und die knirschenden und ächzenden Laute, die der Leuchtturm von sich gab. Damals war alles so einfach gewesen. Ihre Eltern hatten sich besorgt gefragt, ob sie sich als einziges Kind auf der Insel nicht langweilen würde. Aber das hätten sie nicht gemusst. Sie liebte es, hier zu sein. Und allein war sie auch nicht gewesen. Doch das konnte sie ihnen nicht erklären.
Seufzend schaufelte Mats Severin die Papiere auf seinem Schreibtisch von einer Seite zur anderen. Heute war so ein Tag, an dem er nur an sie denken konnte. Nicht aufhören konnte, sich Fragen zu stellen. An diesen Tagen schaffte er nicht viel, aber sie wurden inzwischen immer seltener. Er hatte angefangen loszulassen, das redete er sich zumindest ein. In Wahrheit würde ihm das wohl niemals vollständig gelingen. Noch immer sah er ihr Gesicht ganz deutlich vor sich, und im Grunde war er dankbar dafür. Gleichzeitig wünschte er, dass die Bilder endlich verblassen würden.
Er versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. An guten Tagen machte es ihm mitunter sogar Spaß. Es war eine Herausforderung, sich in die Finanzen einer Gemeinde einzuarbeiten, wo ständig zwischen politischer Rücksichtnahme und marktwirtschaftlicher Vernunft abgewogen werden musste. In den Monaten, die er hier schon arbeitete, hatte er natürlich viel Zeit auf das Projekt Badis verwendet. Er freute sich darüber, dass das alte Gebäude endlich restauriert worden war. Genau wie der Großteil der Leute aus Fjällbacka, ob sie nun noch hier wohnten oder längst weggezogen waren, hatte er jedes Mal, wenn er an dem einst so schönen Gebäude vorbeikam, bedauert, dass man es einfach verfallen ließ. Nun erstrahlte es wieder im alten Glanz.
Hoffentlich behielt Erling recht, wenn er dem Betrieb einen so gigantischen Erfolg versprach. Mats war skeptisch. Das Projekt hatte allein für den Umbau enorme Summen verschlungen, und der vorgelegte Businessplan gründete sich auf viel zu optimistische Berechnungen. Mehrmals hatte er versucht, seine Einwände vorzubringen, war aber auf taube Ohren gestoßen. Außerdem hatte er das ungute Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Dabei war das Projekt von ihm immer wieder durchgerechnet worden, festgestellt hatte er lediglich, dass die bereits entstandenen Kosten schwindelerregend hoch waren.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Zeit fürs Mittagessen. Richtigen Appetit hatte er schon lange nicht mehr, aber er musste etwas essen. Heute war Donnerstag, und das bedeutete, dass es im Källaren Pfannkuchen und Erbsensuppe gab. Ein bisschen würde er wohl runterbekommen.
Nur die nächsten Angehörigen sollten bei der Beisetzung anwesend sein. Die anderen verschwanden in Richtung Ort. Erica umklammerte Patriks Hand. Sie gingen direkt hinter dem Sarg, und sie hatte das Gefühl, dass ihr jeder Schritt einen Stoß ins Herz versetzte. Sie hatte sich sehr bemüht, Anna davon abzuhalten, sich das anzutun, aber ihre Schwester hatte auf einer richtigen Beerdigung bestanden. Da dieser Wunsch sie vorübergehend aus ihrem apathischen Zustand gerissen hatte, gab Erica es schließlich auf und war bei allen notwendigen Vorbereitungen behilflich, damit Anna und Dan ihren Sohn begraben konnten.
In einem Punkt jedoch hatte sie sich ihrer Schwester nicht gebeugt. Anna wollte alle Kinder dabeihaben, aber Erica hatte darauf bestanden, dass die kleineren zu Hause blieben. Nur die beiden Ältesten, Dans Töchter Belinda und Malin, kamen mit. Auf Lisen, Adrian, Emma und Maja passte Patriks Mutter Kristina auf. Auf die Zwillinge natürlich auch. Erica hatte befürchtet, dass es Kristina zu viel würde, aber ihre Schwiegermutter hatte ihr versichert, dass die Kinder die zwei Stunden, die die Beerdigung dauerte, in ihrer Obhut überleben würden.
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Autoren-Porträt von Camilla Läckberg
Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie stammt aus Fjällbacka - der kleine Ort ist Schauplatz ihrer Bücher. Ihre Kriminalromane erscheinen in über dreißig Ländern. Camilla Läckberg lebt in Stockholm. Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie stammt aus Fjällbacka - der kleine Ort ist Schauplatz ihrer Bücher. Ihre Kriminalromane erscheinen in über dreißig Ländern. Camilla Läckberg lebt in Stockholm.
Autoren-Interview mit Camilla Läckberg
Woher nehmen Sie die Ideen zu immer neuen Morden?Camilla Läckberg: Meistens fängt es mit einem Motiv an, anhand dessen mir die Idee zu einem neuen Mord kommt. Vor allem interessiert mich das Motiv, und damit geht's dann im Normalfall los - mit einem Grundmotiv, das einen Menschen dazu bringt, so etwas Schreckliches wie einen Mord zu begehen.
Wie kommen Sie auf die Namen für Ihre Protagonisten?
Camilla Läckberg: Namen sind tatsächlich etwas knifflig. Oft gibt es da schon einige Namen, die ständig im Kopf herumschwirren und immer wieder auftauchen. Aber manchmal blättere ich auf der Suche nach Namen, die mir gefallen könnten, einfach durch das Telefonbuch.
Was halten die Ortsansässigen in Fjällbacka davon, dass Sie sie, einen nach dem anderen, umbringen...?
Camilla Läckberg: Ich glaube, sie gehen ganz locker damit um. Zunächst war ich etwas nervös, was sie davon halten würden, aber bis jetzt gab es immer nur sehr positive Reaktionen auf die Bücher. 2004 wurde ich sogar zur „Ehrenbürgerin des Jahres" gekürt, was eine große Ehre war! Ich werde oft gefragt, wie viele Bewohner eines so kleinen Dorfes ich eigentlich umbringen kann, ohne dass ich an Glaubwürdigkeit einbüße, und im Allgemeinen antworte ich: „Wenn man auf tausend Bewohner durchschnittlich zwei Morde pro Buch rechnet, kann ich circa fünfhundert Bücher schreiben, bevor mir die Menschen ausgehen."
Patriks Ehefrau Erica spielt in all Ihren Büchern eine große Rolle. Sie ist Autorin und schreibt Kriminalromane. Ist sie vielleicht Ihr Alter Ego?
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Camilla Läckberg: Ich habe Erica bewusst fünf Jahre älter gemacht als mich, damit wir uns nicht zu sehr ähneln. Aber es stimmt schon, dass sie viele meiner Eigenschaften verkörpert, daran gibt es keinen Zweifel. Vor allem meine persönlichen Erfahrungen spiegeln sich in ihr wider, zum Beispiel die postnatale Depression.
Hat jemand Ihr erstes Manuskript, Die Eisprinzessin schläft, gelesen, bevor Sie es an Verlage geschickt haben?
Camilla Läckberg: Ich habe in den sauren Apfel der potentiellen Erniedrigung gebissen und mich entschlossen, es einigen Personen zum Lesen gegeben: Familienmitgliedern, guten Freunden, auf deren Urteilsvermögen ich vertraue, und Gunilla, der Tante meiner Freundin Bella, die einige Jahre für die Buchmesse gearbeitet hat und die Verlagsbranche gut kennt. Ich habe viele Anregungen bekommen und mich gründlich mit allen Vorschlägen auseinandergesetzt. Ich habe mein Manuskript sieben oder acht Mal gelesen und überarbeitet. Meiner Meinung nach ist es unglaublich wichtig, ein sauber überarbeitetes Manuskript einzureichen. Da sollte man penibel sein, wenn man verlegt werden möchte. Ich bekam die Manuskripte nicht nur mit markierten Tippfehlern, Grammatikfehlern etc. zurück. Das Feedback bestand zum Beispiel auch aus Ungereimtheiten, die im Manuskript aufgefallen waren, wie zum Beispiel: „Auf S. 78 verstehe ich nicht, wie Patrik auf einmal erkennen kann, dass ..." - Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Alles in allem lautet mein Rat: Es geht nichts über ein sorgfältig redigiertes Manuskript! Und wenn es dir unangenehm ist, andere dein Manuskript lesen zu lassen, dann erinnere dich immer daran, dass du das in der Hoffnung machst, einen Verleger zu finden sowie eine nicht unerhebliche Leserschaft zu erreichen!
Was war Ihre Motivation, Die Eisprinzessin schläft zu schreiben?
Camilla Läckberg: Über die Idee des Romans habe ich, nachdem ich einen Bericht in den Nachrichten gesehen hatte, mehrere Jahre nachgedacht. Es ging um die Verjährungsfrist für Mord in Schweden (25 Jahre). Ich fragte mich, was wohl geschieht, wenn die Verjährung immer näher rückt, ob dadurch noch mal Prozesse in Gang gesetzt werden - sowohl bei Familie und Freunden des Opfers als auch beim Mörder, der immer noch auf freiem Fuß ist. Auf diesen Überlegungen basierend entstand schließlich der Roman Die Eisprinzessin schläft. Später, im Laufe meines Krimiautoren- Seminars, entschloss ich mich dann, über Fjällbacka zu schreiben, nachdem mein Dozent Peter Gissy mir den Rat gegeben hatte, „über das Umfeld zu schreiben, das mir am meisten vertraut ist". Es war mir sofort klar, dass die Handlung im Winter stattfi nden würde, da die meisten Menschen Fjällbacka nur im Sommer kennen. Es hat Spaß gemacht, den Menschen die andere Seite des Städtchens zu zeigen. Die Jahreszeit passte auch zur Stimmung, die ich schaff en wollte: Von Menschen, die zugemacht und sich zurückgezogen hatten, die wie eingefroren waren, wegen etwas, das vor langer Zeit passiert war. Seitdem gab es für mich immer eine Verbindung zwischen der Jahreszeit und der Stimmung, die das Buch vermitteln sollte. Erica war meine erste Romanfi gur. Auf gar keinen Fall wollte ich einen weiteren Polizeiroman schreiben (nun ja, zumindest dachte ich das am Anfang!), und es war klar, dass meine Hauptfi gur eine Frau und Schrift stellerin sein würde. Aber nachdem ich mit dem Buch schon etwas weiter fortgeschritten war, musste ich einsehen, dass es gar nicht so einfach war, eine Privatperson auf eigene Faust Mordfälle lösen zu lassen. Daraufh in erschien - voilà - Patrik auf der Bildfl äche. Und um ihn herum gruppierte ich die restlichen Figuren der Polizeiwache. Die erste der Nebenfi guren war Alex, das Opfer. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt der Geschichte, um sie herum breiten sich alle anderen wie ein Fächer aus. Um ehrlich zu sein, kann ich mich, wenn ich zurückblicke, kaum daran erinnern, wie bestimmte Figuren in meinen Büchern entstehen. Und ich wollte aus Erica und Patrik so gut es geht ein „normales" Paar machen. Keine Superhelden, nur nette Menschen mit Hüft gold und alltäglichen Sorgen, die wie wir das Bedürfnis haben, Arbeit und Zuhause miteinander in Einklang zu bringen. Und dann lässt sich natürlich kaum vermeiden, dass ich aus meinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfe.
Wann haben Sie beschlossen, Ihren Job an den Nagel zu hängen?
Camilla Läckberg: Ich arbeitete beim Energiekonzern Fortum als Produktmanagerin in der Telekommunikationssparte, als ich nach der Geburt meines ersten Sohnes Wille Mutterschaft surlaub nahm. Als er drei Monate alt war, hat Fortum viele Mitarbeiter entlassen, und ich war eine von ihnen. Für mich war das der Auslöser, meiner Bestimmung als Schrift stellerin nachzugehen. Zunächst nahm ich jedoch eine neue Festanstellung an, meine Tochter Meja wurde geboren, und ich nahm wieder Mutterschaft surlaub. In der Zeit habe ich nur geschrieben. Als dann mein Mutterschaft surlaub zu Ende war, hatte ich mir schon eine Basis aufgebaut, die es mir erlaubte, von meiner Arbeit als Schrift stellerin zu leben.
Was für Bücher lieben Sie?
Camilla Läckberg: Ich bin ein totaler Krimi-Junkie. Achtzig Prozent der Bücher, die ich lese, sind Kriminalromane. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Peter Robinson, Reginald Hill, Andrew Taylor, Mari Jungstedt, Håkan Nesser und Åsa Larsson.
Waren Sie jemals Mitglied in einem Buchclub?
Camilla Läckberg: Ich war in einem Buchclub für Kinder und im Disneyclub. Ich habe eine riesengroße Kinderbuchsammlung, an der sich jetzt meine eigenen Kinder erfreuen. Es macht Spaß, diese Bücher heute mit „erwachsenen" Augen zu lesen. Barbapapa ist die reinste kommunistische Propaganda! :-)
Sie erzählen in Interviews immer sehr viel von sich. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Camilla Läckberg: Das bleibt wohl jedem selbst überlassen, wie viel Privates man preisgibt. Ich selbst bin ziemlich redefreudig und ein off enherziger Mensch, und es würde sich für mich einfach falsch anfühlen, mich Journalisten gegenüber anders zu verhalten. Außerdem bin ich viel zu langweilig, und ich biete zu wenig Stoff , in dem man herumwühlen könnte. Was mich persönlich betrifft, mache ich mir darüber also nicht allzu viele Sorgen. Aber hinsichtlich der Kinder haben mein Mann und ich viele Regeln. Mein Blog, zum Beispiel, enthält niemals Bilder von ihnen, und ich zeige nur Fotos, die schon mal an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Vor allem respektiere ich, wenn die Kinder nicht fotografiert werden möchten. Irgendwann wird eine Zeit kommen, wenn sie gar keine Lust mehr darauf haben werden - aber bis jetzt sehen sie es als Spaß an, und wir beziehen sie mit ein, wenn sie es möchten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Tochter einen Wutanfall bekam, als ein Fotograf einige Fotos von mir ohne sie für ein Interview machen wollte. Sie hat dagesessen und geheult: „Meja will auch mitmachen!" Ich finde nichts dabei.
Gibt es Bücher, die Sie nach einigen Seiten nicht mehr weiterlesen konnten?
Camilla Läckberg: Pferdebücher! Ich habe versucht, Pferdebücher und -magazine zu lesen, aber ich bekam davon Kopfschmerzen ... Ich gehöre zu den Leuten, die Pferde am liebsten zwischen Burgerbrötchen sehen. Nein, ich mache Spaß! Liebe Tierliebhaber, bitte verschont mich mit bösen Briefen!
Wie schaffen Sie es, sich an all Ihre Ideen zu erinnern?
Camilla Läckberg: Ich habe mir noch nie Einfälle auf Zettelchen oder so was notiert. Ich gehöre noch zur Schule derer, die folgender Meinung sind: Wenn man einen Einfall am nächsten Tag schon vergessen hat, dann kann er nicht gut gewesen sein. Aber wenn man sich Einfälle aufschreiben will, sollte man immer Notizblock und Kugelschreiber bei sich haben, damit man sich nicht merken muss, wo man diese vertrackten Zettelchen schon wieder hingepackt hat.
Was war Ihr erstes prägendes Leseerlebnis?
Camilla Läckberg: Einfach alles! Ich war der reinste Bücherwurm, als ich klein war. Es war alles dabei. Ich entdeckte schnell die Agatha-Christie- Sammlung meines Vaters, und die habe ich verschlungen. Bis ich elf oder zwölf war, hatte ich fast alle ihre Bücher gelesen. Am liebsten las ich die Krimis mit Miss Marple. Auch Sagas hatten es mir angetan - Sie wissen schon, zum Beispiel diese schweren Bände über Wikingergeschichten. Ich hatte auch viele Comics. Ich gab mein ganzes Taschengeld dafür aus, vor allem für Agent X9 und auch für Korak - Tarzans Sohn, Das Phantom etc. Und wenn ich mich recht erinnere, lieh ich mir viele Comics aus der Bücherei aus - Li'l Abner und Daisy May, Prinz Eisenherz, um nur einige zu nennen. Ich mochte auch Elfquest sehr. Davon habe ich eine schöne Sammlung, die sogar einiges wert ist; leider fehlt mir der wertvollste und zwar der erste Band. Auch die Nancy-Drew-Bücher gehörten natürlich dazu, obwohl mir die Mary- Lou-Reihe noch besser gefiel. Ich hatte auch eine Fantasyphase, in der ich natürlich alle Narnia-Bände und Der Herr der Ringe las, aber auch alle Bücher von Ursula K. Le Guin über einen Zauberer namens Ged usw. Als ich älter wurde, las ich Ayla und das Tal der Pferde, Bücher von Jackie Collins, Das Tal der Puppen und Ähnliches ... Ich mochte auch Sparres historische Romane. Einige der Bücher aus meiner Kindheit begleiten mich immer noch, wie Der Junge aus London und A Solitary Blue (aus der Tillermann-Saga). Und dann muss ich noch die Bücher von Stephen King und Dean R. Koontz erwähnen, meine Güte, wie ich die verschlungen habe!
Woher wissen Sie so viel über Polizeiarbeit?
Camilla Läckberg: Ich hatte glücklicherweise immer schon ein ausgeprägtes Interesse an Polizeiarbeit und habe also viel Belletristik, aber auch Sachbücher zu diesem Thema gelesen. Auf dieses Basiswissen konnte ich aufbauen. Natürlich bin ich keine Expertin dafür, wie diese Dinge wirklich vonstattengehen, aber Fiktion muss nicht immer total realistisch sein. Wenn man polizeiliche Untersuchungen in einem Kriminalroman zu hundert Prozent realistisch beschreiben würde, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Leser das Buch nach spätestens zehn Seiten zur Seite legen. Aber ich habe einige Kontakte, mit denen ich Einzelheiten abklären kann, und kenne echte Polizeibeamte in der Polizeiwache von Tanumshede, denen ich mein Manuskript zum Gegenlesen vorlege, wenn es fertig ist, damit sie eventuelle Fehler anstreichen können
Wann haben Sie ernsthaft mit dem Schreiben angefangen?
Camilla Läckberg: Da ich zunächst davon ausgegangen war, dass ich niemals Schriftstellerin werden könnte, habe ich BWL studiert. Aber ich hasste es. Bei der Arbeit habe ich immer mein Bestes gegeben, aber sonntagabends saß ich in Erwartung der nächsten Arbeitswoche oft mit Bauchschmerzen da. Schließlich, nachdem ein Freund genug davon hatte, dass ich ständig alle damit nervte, wie gern ich doch Schriftstellerin werden wollte, fand er einen Kurs für mich, den ich dann von meinem Mann, meiner Mutter und meinem Bruder zu Weihnachten geschenkt bekam. Es war ein Krimiautoren-Kurs, der von der Schriftstellervereinigung Ordfront organisiert wurde. Der Kurs war großartig. Wir waren zwölf Teilnehmerinnen - ausschließlich Frauen. Sie hatten ihn nur für Frauen ausgeschrieben, um die Zahl der Kriminalautorinnen anzukurbeln! Natürlich können heute auch Männer den Kurs besuchen ... An drei Wochenenden wurden wir in Göteborg von Kriminalautor Peter Gissy in der edlen Kunst des Krimischreibens unterwiesen. Der Kurs deckte einen Großteil der Techniken ab, die ich bis heute verwende, aber das Wichtigste, was mir der Kurs vermittelte, war das Gefühl, dass es tatsächlich möglich ist, ein Buch zu schreiben - einen Kriminalroman. Dass es sich nicht um eine Art geheimnisvollen Hokuspokus handelt, sondern dass man es mit einem hart erarbeiteten Text zu tun hat. Ich habe Die Eisprinzessin schläft tatsächlich während dieses Kurses angefangen zu schreiben. Zwei der Teilnehmerinnen des Kurses sind seitdem verlegt worden. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um Die Eisprinzessin schläft fertig zu schreiben. Ich hatte zwischen fünfzig und sechzig Seiten geschrieben, als auf einmal mein Selbstvertrauen in sich zusammenfiel und ich dachte, dass dies „nur ein Haufen Scheiße war, den niemand niemals lesen würde", und legte es für einige Monate beiseite. Dann kehrte meine Lust am Schreiben zurück, ich schrieb weitere sechzig Seiten, und wieder war ich mit den Nerven am Ende. Als ich dann mit meinem Sohn schwanger wurde, erkannte ich, dass wenn mein Buch jemals fertig geschrieben werde sollte, dies vor der Geburt meines Sohnes geschehen musste. Den kompletten Sommer 2002 über klebte meine Nase an der Tastatur, und im August war das Manuskript fertig!
Wie haben Sie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden?
Camilla Läckberg: Mein ganzes Leben lang! Zumindest so lange, wie ich denken kann. Schon mit vier oder fünf Jahren zeichnete ich kleine Geschichten, aus denen ich dann Bücher bastelte. Ein Mal stellte ich in Massenanfertigung einen ganzen Korb voller kleiner Bücher her, den ich zum Seniorenheim in Fjällbacka trug, wo ich die Bücher dann an die Bewohner verteilte.
Sie haben einen Agenten. Worin besteht eigentlich die Arbeit einer Literaturagentur?
Camilla Läckberg: Ich kann natürlich nichts dazu sagen, wie andere Agenten arbeiten, aber in Schweden ist die Nordin Agentur eine der wenigen, die ihre Autoren sowohl im Ausland als auch zu Hause vertritt. Sie handeln Verträge mit ausländischen Verlagen aus, ich werde von ihnen in Schweden vertreten, und über sie laufen alle Gespräche mit meinem Verleger, wenn es zum Beispiel um Verträge und Marketing geht.
Wie haben Sie es geschafft, mit zwei Kindern Zeit zum Bücherschreiben zu finden?
Camilla Läckberg: Ich habe keine Ahnung. Rückblickend ist es mir ein Rätsel, wie ich in der Lage war, meine Bücher zu schreiben. Die Erinnerungen der letzten Jahre sind irgendwie verschwommen. Und meine postnatale Depression hat mein Leben bestimmt nicht einfacher gemacht. Manchmal habe ich dagesessen, gleichzeitig geweint und geschrieben und versucht, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass ich mir meinen Traum erfülle und dass es die harte Arbeit wert ist.
Wie schreiben Sie ein Buch?
Camilla Läckberg: Es fängt immer mit einer klitzekleinen Idee an. Zum Beispiel im Falle meines fünften Buches, Engel aus Eis, gab es einen Grabstein auf dem Friedhof von Fjällbacka, der mich immer fasziniert hat - es handelt sich um den Grabstein, der auf dem schwedischen Cover abgebildet ist. Der Anblick dieses Grabsteins reichte aus, dass ich mir Opfer, Motiv und Mörder gut vorstellen konnte - ohne diese drei Faktoren bringe ich nichts zu Papier. Was ich habe, schreibe ich als eine Art Abriss in ein Word-Dokument. Am Anfang habe ich wenig mehr als einige Zeilen mit Gedanken und Ideen. Der Abriss fungiert dann als eine Art dynamisches Dokument. Ich fange an zu schreiben, und während ich schreibe, fällt mir immer mehr zu den Figuren und zur Entwicklung der Handlung ein. Sobald ich einen neuen Gedanken habe, füge ich ihn in den Abriss ein. Die ersten fünfzig bis siebzig Seiten sind für mich am schwierigsten zu schreiben. Da muss ich nämlich eine Handlung „finden" und den Figuren Eigenschaften geben - also, zumindest den meisten; manche können auch später hinzukommen. Aber ich muss die Hauptfiguren charakterisieren. Und dann geht's erst so richtig los, wenn ich ungefähr hundert Seiten geschrieben habe. Vorher gelingt es mir, maximal fünf Seiten pro Tag zu schreiben, aber ab dem Punkt werden es nach und nach immer mehr. Wenn ich um die hundertfünfzig Seiten geschrieben habe, ist meine Vorstellung von der Handlung konkret genug, dass ich schneller werde und durchschnittlich zehn Seiten pro Tag schreibe, an guten Tagen sogar mehr, bis zu fünfzehn oder zwanzig Seiten. Das ist ein tolles Gefühl. Als würden sich meine Finger von selbst bewegen. Aber das ist selten. Viele Einzelheiten der Geschichten entstehen während des Schreibens. Wenn ich anfange zu schreiben, habe ich das Buch nie klar vor Augen, und immer, wenn ich den ersten Buchstaben tippe, sitze ich da, raufe mir die Haare und frage mich: „Wie zum Teufel soll es mir gelingen, anhand dieses einen klitzekleinen Gedankens um die vierhundert Seiten zu füllen?" Aber irgendwie gelingt es mir immer. Die Geschichte und die Figuren entwickeln während des Schreibens ein Eigenleben.
Wie redigieren Sie Ihre Bücher?
Camilla Läckberg: Zunächst einmal verschwende ich keinen Gedanken daran, bis ich das Buch zu Ende geschrieben habe. Während des Schreibens fange ich nie mit dem Redigieren an. Dann drucke ich alles aus, setze mich hin und lese es von Anfang bis Ende, während ich im Text Stellen markiere, die korrigiert werden müssen: Wörter, Grammatik, Wiederholungen, doppelte Leerzeichen, krumme Syntax, falsche Namen etc. Neben mir liegt auch immer ein Notizblock, auf dem ich Einzelheiten notiere, die ich nachschlagen muss.
Wie finden Sie zum Schreiben die nötige Ruhe?
Camilla Läckberg: Da kann ich keinen guten Rat geben. Wie Sie wissen, schrieb ich mein erstes Buch, als ich noch in Vollzeit als Projektmanagerin arbeitete, und das zweite, während ich schwanger und in Mutterschutz war. Aber um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, wie ... In dem allgemeinen Chaos fand ich scheinbar die Zeit zum Schreiben. Ich war damals nicht besonders organisiert, aber ich habe mich immer an den Roman gesetzt, wenn sich die Gelegenheit bot. Das ist dann auch eine Frage der Prioritäten. Das Schreiben stand für mich immer an erster Stelle, da blieben Treff en mit Freunden, Putzen etc. meistens auf der Strecke. Aber es nützt nichts, einfach darauf zu warten, dass es ruhig um dich herum wird, um mit dem Schreiben loszulegen; genauso wenig nützt es, darauf zu warten, dass dich die Muse küsst. Ich habe es schon mal gesagt, und ich sage es wieder: Alles, was du machen kannst, ist dich mit deinem Hintern auf einen Stuhl zu setzen! Anders geht es nicht. Es ist ja nicht so, als wenn dich auf einmal eine buddhistische, Zen-artige Ruhe überkommt, bis die Worte aus dir heraussprudeln. Eine derartige innere Ruhe hatte ich noch nie, ganz im Gegenteil, oft setzen mir Stress, Ängste und allgemeiner Leistungsdruck zu, wenn ich mich zum Schreiben hinsetze. Freude kommt erst hinzu, wenn ich einmal im Fluss bin. Aber so läuft das nicht immer. Ehrlich gesagt ist es natürlich auch viel einfacher, wenn man einen Partner hat, der hinter einem steht. Als ich Die Eisprinzessin schläft schrieb, sagte mein Exmann immer zu mir: „Schreib du nur, und überlass mir das Geschirr und die Wäsche." Er hat mich immer darin unterstützt, eine Karriere als Schriftstellerin zu machen. Und das ist unglaublich wichtig! Zusammengefasst heißt das: Vergeude deine Zeit nicht damit, darauf zu warten, dass alle äußeren Faktoren stimmig sind, bevor du anfangen kannst zu schreiben. Das wird nie geschehen, und du wirst nie etwas zu Papier bringen. So ist das halt. Du musst dich einfach hinsetzen und es tun. Jetzt. Heute. Nicht Montag. Nicht, wenn du erst alles sauber gemacht hast. Nicht, wenn die Kinder groß sind. Nicht, wenn erst das Unmögliche möglich geworden ist. JETZT!
Haben Sie kleine Rituale, wenn Sie arbeiten?
Camilla Läckberg: Mein Ritual besteht hauptsächlich darin, wie eine aufgescheuchte Glucke um den Computer herumzustapfen und immer alle möglichen Ausreden zu finden, mich nicht hinzusetzen und zu arbeiten. Aber ich sorge immer dafür, dass eine Kanne mit frischem Kaff ee und eine volle Tasse neben mir stehen, wenn ich anfange. Und meistens sitze ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher oder in der Küche mit Kopfhörern auf, um Musik zu hören. Ich arbeite nicht gern in der Stille. Außerdem lege ich eine Decke auf den Tisch vor den Computer, um den Kontakt zwischen der Oberfläche und meinen Handgelenken weicher zu machen. Während des Schreibens beginnen meine Handgelenke immer mehr zu schmerzen, und zum Ende hin ziehe ich die Liza-Marklund-Lösung in Betracht - die Kollegin schient während des Schreibens ihre Unterarme. Aber damit komme ich nicht gut zurecht, also beiße ich die Zähne zusammen und mache in der Hoffnung weiter, dass meine Handgelenke nicht aufgeben, bevor ich die letzte Zeile geschrieben habe. Während des Schreibens vernachlässige ich auch meine Nägel. Ich, die ich mir sonst so viel auf meine Nägel einbilde! Ich verliere keinen Gedanken an sie, wenn ich mich in einer Schreibphase befinde. Dadurch, dass ich den ganzen Tag auf der Tastatur des Computers herumtippe, trocknen meine Nägel aus, sie reißen dann oft ein, brechen ab und werden immer schlimmer. (Natürlich könnte ich sie ölen, aber bitte, wer kann sich am Abend schon die Zeit dafür nehmen?) Abgesehen davon, fällt mir wirklich nichts Besonderes ein das ich mache, wenn ich schreibe. Ich habe keine außergewöhnlichen Eigenheiten. Ich schreibe nur. Aber vielleicht sollte ich es wie Dan Brown machen. Mich kopfüber in meine Hängeschuhe hängen. Und jede halbe Stunde Sit-ups machen.
Camilla Läckberg: Ich habe Erica bewusst fünf Jahre älter gemacht als mich, damit wir uns nicht zu sehr ähneln. Aber es stimmt schon, dass sie viele meiner Eigenschaften verkörpert, daran gibt es keinen Zweifel. Vor allem meine persönlichen Erfahrungen spiegeln sich in ihr wider, zum Beispiel die postnatale Depression.
Hat jemand Ihr erstes Manuskript, Die Eisprinzessin schläft, gelesen, bevor Sie es an Verlage geschickt haben?
Camilla Läckberg: Ich habe in den sauren Apfel der potentiellen Erniedrigung gebissen und mich entschlossen, es einigen Personen zum Lesen gegeben: Familienmitgliedern, guten Freunden, auf deren Urteilsvermögen ich vertraue, und Gunilla, der Tante meiner Freundin Bella, die einige Jahre für die Buchmesse gearbeitet hat und die Verlagsbranche gut kennt. Ich habe viele Anregungen bekommen und mich gründlich mit allen Vorschlägen auseinandergesetzt. Ich habe mein Manuskript sieben oder acht Mal gelesen und überarbeitet. Meiner Meinung nach ist es unglaublich wichtig, ein sauber überarbeitetes Manuskript einzureichen. Da sollte man penibel sein, wenn man verlegt werden möchte. Ich bekam die Manuskripte nicht nur mit markierten Tippfehlern, Grammatikfehlern etc. zurück. Das Feedback bestand zum Beispiel auch aus Ungereimtheiten, die im Manuskript aufgefallen waren, wie zum Beispiel: „Auf S. 78 verstehe ich nicht, wie Patrik auf einmal erkennen kann, dass ..." - Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Alles in allem lautet mein Rat: Es geht nichts über ein sorgfältig redigiertes Manuskript! Und wenn es dir unangenehm ist, andere dein Manuskript lesen zu lassen, dann erinnere dich immer daran, dass du das in der Hoffnung machst, einen Verleger zu finden sowie eine nicht unerhebliche Leserschaft zu erreichen!
Was war Ihre Motivation, Die Eisprinzessin schläft zu schreiben?
Camilla Läckberg: Über die Idee des Romans habe ich, nachdem ich einen Bericht in den Nachrichten gesehen hatte, mehrere Jahre nachgedacht. Es ging um die Verjährungsfrist für Mord in Schweden (25 Jahre). Ich fragte mich, was wohl geschieht, wenn die Verjährung immer näher rückt, ob dadurch noch mal Prozesse in Gang gesetzt werden - sowohl bei Familie und Freunden des Opfers als auch beim Mörder, der immer noch auf freiem Fuß ist. Auf diesen Überlegungen basierend entstand schließlich der Roman Die Eisprinzessin schläft. Später, im Laufe meines Krimiautoren- Seminars, entschloss ich mich dann, über Fjällbacka zu schreiben, nachdem mein Dozent Peter Gissy mir den Rat gegeben hatte, „über das Umfeld zu schreiben, das mir am meisten vertraut ist". Es war mir sofort klar, dass die Handlung im Winter stattfi nden würde, da die meisten Menschen Fjällbacka nur im Sommer kennen. Es hat Spaß gemacht, den Menschen die andere Seite des Städtchens zu zeigen. Die Jahreszeit passte auch zur Stimmung, die ich schaff en wollte: Von Menschen, die zugemacht und sich zurückgezogen hatten, die wie eingefroren waren, wegen etwas, das vor langer Zeit passiert war. Seitdem gab es für mich immer eine Verbindung zwischen der Jahreszeit und der Stimmung, die das Buch vermitteln sollte. Erica war meine erste Romanfi gur. Auf gar keinen Fall wollte ich einen weiteren Polizeiroman schreiben (nun ja, zumindest dachte ich das am Anfang!), und es war klar, dass meine Hauptfi gur eine Frau und Schrift stellerin sein würde. Aber nachdem ich mit dem Buch schon etwas weiter fortgeschritten war, musste ich einsehen, dass es gar nicht so einfach war, eine Privatperson auf eigene Faust Mordfälle lösen zu lassen. Daraufh in erschien - voilà - Patrik auf der Bildfl äche. Und um ihn herum gruppierte ich die restlichen Figuren der Polizeiwache. Die erste der Nebenfi guren war Alex, das Opfer. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt der Geschichte, um sie herum breiten sich alle anderen wie ein Fächer aus. Um ehrlich zu sein, kann ich mich, wenn ich zurückblicke, kaum daran erinnern, wie bestimmte Figuren in meinen Büchern entstehen. Und ich wollte aus Erica und Patrik so gut es geht ein „normales" Paar machen. Keine Superhelden, nur nette Menschen mit Hüft gold und alltäglichen Sorgen, die wie wir das Bedürfnis haben, Arbeit und Zuhause miteinander in Einklang zu bringen. Und dann lässt sich natürlich kaum vermeiden, dass ich aus meinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfe.
Wann haben Sie beschlossen, Ihren Job an den Nagel zu hängen?
Camilla Läckberg: Ich arbeitete beim Energiekonzern Fortum als Produktmanagerin in der Telekommunikationssparte, als ich nach der Geburt meines ersten Sohnes Wille Mutterschaft surlaub nahm. Als er drei Monate alt war, hat Fortum viele Mitarbeiter entlassen, und ich war eine von ihnen. Für mich war das der Auslöser, meiner Bestimmung als Schrift stellerin nachzugehen. Zunächst nahm ich jedoch eine neue Festanstellung an, meine Tochter Meja wurde geboren, und ich nahm wieder Mutterschaft surlaub. In der Zeit habe ich nur geschrieben. Als dann mein Mutterschaft surlaub zu Ende war, hatte ich mir schon eine Basis aufgebaut, die es mir erlaubte, von meiner Arbeit als Schrift stellerin zu leben.
Was für Bücher lieben Sie?
Camilla Läckberg: Ich bin ein totaler Krimi-Junkie. Achtzig Prozent der Bücher, die ich lese, sind Kriminalromane. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Peter Robinson, Reginald Hill, Andrew Taylor, Mari Jungstedt, Håkan Nesser und Åsa Larsson.
Waren Sie jemals Mitglied in einem Buchclub?
Camilla Läckberg: Ich war in einem Buchclub für Kinder und im Disneyclub. Ich habe eine riesengroße Kinderbuchsammlung, an der sich jetzt meine eigenen Kinder erfreuen. Es macht Spaß, diese Bücher heute mit „erwachsenen" Augen zu lesen. Barbapapa ist die reinste kommunistische Propaganda! :-)
Sie erzählen in Interviews immer sehr viel von sich. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Camilla Läckberg: Das bleibt wohl jedem selbst überlassen, wie viel Privates man preisgibt. Ich selbst bin ziemlich redefreudig und ein off enherziger Mensch, und es würde sich für mich einfach falsch anfühlen, mich Journalisten gegenüber anders zu verhalten. Außerdem bin ich viel zu langweilig, und ich biete zu wenig Stoff , in dem man herumwühlen könnte. Was mich persönlich betrifft, mache ich mir darüber also nicht allzu viele Sorgen. Aber hinsichtlich der Kinder haben mein Mann und ich viele Regeln. Mein Blog, zum Beispiel, enthält niemals Bilder von ihnen, und ich zeige nur Fotos, die schon mal an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Vor allem respektiere ich, wenn die Kinder nicht fotografiert werden möchten. Irgendwann wird eine Zeit kommen, wenn sie gar keine Lust mehr darauf haben werden - aber bis jetzt sehen sie es als Spaß an, und wir beziehen sie mit ein, wenn sie es möchten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Tochter einen Wutanfall bekam, als ein Fotograf einige Fotos von mir ohne sie für ein Interview machen wollte. Sie hat dagesessen und geheult: „Meja will auch mitmachen!" Ich finde nichts dabei.
Gibt es Bücher, die Sie nach einigen Seiten nicht mehr weiterlesen konnten?
Camilla Läckberg: Pferdebücher! Ich habe versucht, Pferdebücher und -magazine zu lesen, aber ich bekam davon Kopfschmerzen ... Ich gehöre zu den Leuten, die Pferde am liebsten zwischen Burgerbrötchen sehen. Nein, ich mache Spaß! Liebe Tierliebhaber, bitte verschont mich mit bösen Briefen!
Wie schaffen Sie es, sich an all Ihre Ideen zu erinnern?
Camilla Läckberg: Ich habe mir noch nie Einfälle auf Zettelchen oder so was notiert. Ich gehöre noch zur Schule derer, die folgender Meinung sind: Wenn man einen Einfall am nächsten Tag schon vergessen hat, dann kann er nicht gut gewesen sein. Aber wenn man sich Einfälle aufschreiben will, sollte man immer Notizblock und Kugelschreiber bei sich haben, damit man sich nicht merken muss, wo man diese vertrackten Zettelchen schon wieder hingepackt hat.
Was war Ihr erstes prägendes Leseerlebnis?
Camilla Läckberg: Einfach alles! Ich war der reinste Bücherwurm, als ich klein war. Es war alles dabei. Ich entdeckte schnell die Agatha-Christie- Sammlung meines Vaters, und die habe ich verschlungen. Bis ich elf oder zwölf war, hatte ich fast alle ihre Bücher gelesen. Am liebsten las ich die Krimis mit Miss Marple. Auch Sagas hatten es mir angetan - Sie wissen schon, zum Beispiel diese schweren Bände über Wikingergeschichten. Ich hatte auch viele Comics. Ich gab mein ganzes Taschengeld dafür aus, vor allem für Agent X9 und auch für Korak - Tarzans Sohn, Das Phantom etc. Und wenn ich mich recht erinnere, lieh ich mir viele Comics aus der Bücherei aus - Li'l Abner und Daisy May, Prinz Eisenherz, um nur einige zu nennen. Ich mochte auch Elfquest sehr. Davon habe ich eine schöne Sammlung, die sogar einiges wert ist; leider fehlt mir der wertvollste und zwar der erste Band. Auch die Nancy-Drew-Bücher gehörten natürlich dazu, obwohl mir die Mary- Lou-Reihe noch besser gefiel. Ich hatte auch eine Fantasyphase, in der ich natürlich alle Narnia-Bände und Der Herr der Ringe las, aber auch alle Bücher von Ursula K. Le Guin über einen Zauberer namens Ged usw. Als ich älter wurde, las ich Ayla und das Tal der Pferde, Bücher von Jackie Collins, Das Tal der Puppen und Ähnliches ... Ich mochte auch Sparres historische Romane. Einige der Bücher aus meiner Kindheit begleiten mich immer noch, wie Der Junge aus London und A Solitary Blue (aus der Tillermann-Saga). Und dann muss ich noch die Bücher von Stephen King und Dean R. Koontz erwähnen, meine Güte, wie ich die verschlungen habe!
Woher wissen Sie so viel über Polizeiarbeit?
Camilla Läckberg: Ich hatte glücklicherweise immer schon ein ausgeprägtes Interesse an Polizeiarbeit und habe also viel Belletristik, aber auch Sachbücher zu diesem Thema gelesen. Auf dieses Basiswissen konnte ich aufbauen. Natürlich bin ich keine Expertin dafür, wie diese Dinge wirklich vonstattengehen, aber Fiktion muss nicht immer total realistisch sein. Wenn man polizeiliche Untersuchungen in einem Kriminalroman zu hundert Prozent realistisch beschreiben würde, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Leser das Buch nach spätestens zehn Seiten zur Seite legen. Aber ich habe einige Kontakte, mit denen ich Einzelheiten abklären kann, und kenne echte Polizeibeamte in der Polizeiwache von Tanumshede, denen ich mein Manuskript zum Gegenlesen vorlege, wenn es fertig ist, damit sie eventuelle Fehler anstreichen können
Wann haben Sie ernsthaft mit dem Schreiben angefangen?
Camilla Läckberg: Da ich zunächst davon ausgegangen war, dass ich niemals Schriftstellerin werden könnte, habe ich BWL studiert. Aber ich hasste es. Bei der Arbeit habe ich immer mein Bestes gegeben, aber sonntagabends saß ich in Erwartung der nächsten Arbeitswoche oft mit Bauchschmerzen da. Schließlich, nachdem ein Freund genug davon hatte, dass ich ständig alle damit nervte, wie gern ich doch Schriftstellerin werden wollte, fand er einen Kurs für mich, den ich dann von meinem Mann, meiner Mutter und meinem Bruder zu Weihnachten geschenkt bekam. Es war ein Krimiautoren-Kurs, der von der Schriftstellervereinigung Ordfront organisiert wurde. Der Kurs war großartig. Wir waren zwölf Teilnehmerinnen - ausschließlich Frauen. Sie hatten ihn nur für Frauen ausgeschrieben, um die Zahl der Kriminalautorinnen anzukurbeln! Natürlich können heute auch Männer den Kurs besuchen ... An drei Wochenenden wurden wir in Göteborg von Kriminalautor Peter Gissy in der edlen Kunst des Krimischreibens unterwiesen. Der Kurs deckte einen Großteil der Techniken ab, die ich bis heute verwende, aber das Wichtigste, was mir der Kurs vermittelte, war das Gefühl, dass es tatsächlich möglich ist, ein Buch zu schreiben - einen Kriminalroman. Dass es sich nicht um eine Art geheimnisvollen Hokuspokus handelt, sondern dass man es mit einem hart erarbeiteten Text zu tun hat. Ich habe Die Eisprinzessin schläft tatsächlich während dieses Kurses angefangen zu schreiben. Zwei der Teilnehmerinnen des Kurses sind seitdem verlegt worden. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um Die Eisprinzessin schläft fertig zu schreiben. Ich hatte zwischen fünfzig und sechzig Seiten geschrieben, als auf einmal mein Selbstvertrauen in sich zusammenfiel und ich dachte, dass dies „nur ein Haufen Scheiße war, den niemand niemals lesen würde", und legte es für einige Monate beiseite. Dann kehrte meine Lust am Schreiben zurück, ich schrieb weitere sechzig Seiten, und wieder war ich mit den Nerven am Ende. Als ich dann mit meinem Sohn schwanger wurde, erkannte ich, dass wenn mein Buch jemals fertig geschrieben werde sollte, dies vor der Geburt meines Sohnes geschehen musste. Den kompletten Sommer 2002 über klebte meine Nase an der Tastatur, und im August war das Manuskript fertig!
Wie haben Sie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden?
Camilla Läckberg: Mein ganzes Leben lang! Zumindest so lange, wie ich denken kann. Schon mit vier oder fünf Jahren zeichnete ich kleine Geschichten, aus denen ich dann Bücher bastelte. Ein Mal stellte ich in Massenanfertigung einen ganzen Korb voller kleiner Bücher her, den ich zum Seniorenheim in Fjällbacka trug, wo ich die Bücher dann an die Bewohner verteilte.
Sie haben einen Agenten. Worin besteht eigentlich die Arbeit einer Literaturagentur?
Camilla Läckberg: Ich kann natürlich nichts dazu sagen, wie andere Agenten arbeiten, aber in Schweden ist die Nordin Agentur eine der wenigen, die ihre Autoren sowohl im Ausland als auch zu Hause vertritt. Sie handeln Verträge mit ausländischen Verlagen aus, ich werde von ihnen in Schweden vertreten, und über sie laufen alle Gespräche mit meinem Verleger, wenn es zum Beispiel um Verträge und Marketing geht.
Wie haben Sie es geschafft, mit zwei Kindern Zeit zum Bücherschreiben zu finden?
Camilla Läckberg: Ich habe keine Ahnung. Rückblickend ist es mir ein Rätsel, wie ich in der Lage war, meine Bücher zu schreiben. Die Erinnerungen der letzten Jahre sind irgendwie verschwommen. Und meine postnatale Depression hat mein Leben bestimmt nicht einfacher gemacht. Manchmal habe ich dagesessen, gleichzeitig geweint und geschrieben und versucht, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass ich mir meinen Traum erfülle und dass es die harte Arbeit wert ist.
Wie schreiben Sie ein Buch?
Camilla Läckberg: Es fängt immer mit einer klitzekleinen Idee an. Zum Beispiel im Falle meines fünften Buches, Engel aus Eis, gab es einen Grabstein auf dem Friedhof von Fjällbacka, der mich immer fasziniert hat - es handelt sich um den Grabstein, der auf dem schwedischen Cover abgebildet ist. Der Anblick dieses Grabsteins reichte aus, dass ich mir Opfer, Motiv und Mörder gut vorstellen konnte - ohne diese drei Faktoren bringe ich nichts zu Papier. Was ich habe, schreibe ich als eine Art Abriss in ein Word-Dokument. Am Anfang habe ich wenig mehr als einige Zeilen mit Gedanken und Ideen. Der Abriss fungiert dann als eine Art dynamisches Dokument. Ich fange an zu schreiben, und während ich schreibe, fällt mir immer mehr zu den Figuren und zur Entwicklung der Handlung ein. Sobald ich einen neuen Gedanken habe, füge ich ihn in den Abriss ein. Die ersten fünfzig bis siebzig Seiten sind für mich am schwierigsten zu schreiben. Da muss ich nämlich eine Handlung „finden" und den Figuren Eigenschaften geben - also, zumindest den meisten; manche können auch später hinzukommen. Aber ich muss die Hauptfiguren charakterisieren. Und dann geht's erst so richtig los, wenn ich ungefähr hundert Seiten geschrieben habe. Vorher gelingt es mir, maximal fünf Seiten pro Tag zu schreiben, aber ab dem Punkt werden es nach und nach immer mehr. Wenn ich um die hundertfünfzig Seiten geschrieben habe, ist meine Vorstellung von der Handlung konkret genug, dass ich schneller werde und durchschnittlich zehn Seiten pro Tag schreibe, an guten Tagen sogar mehr, bis zu fünfzehn oder zwanzig Seiten. Das ist ein tolles Gefühl. Als würden sich meine Finger von selbst bewegen. Aber das ist selten. Viele Einzelheiten der Geschichten entstehen während des Schreibens. Wenn ich anfange zu schreiben, habe ich das Buch nie klar vor Augen, und immer, wenn ich den ersten Buchstaben tippe, sitze ich da, raufe mir die Haare und frage mich: „Wie zum Teufel soll es mir gelingen, anhand dieses einen klitzekleinen Gedankens um die vierhundert Seiten zu füllen?" Aber irgendwie gelingt es mir immer. Die Geschichte und die Figuren entwickeln während des Schreibens ein Eigenleben.
Wie redigieren Sie Ihre Bücher?
Camilla Läckberg: Zunächst einmal verschwende ich keinen Gedanken daran, bis ich das Buch zu Ende geschrieben habe. Während des Schreibens fange ich nie mit dem Redigieren an. Dann drucke ich alles aus, setze mich hin und lese es von Anfang bis Ende, während ich im Text Stellen markiere, die korrigiert werden müssen: Wörter, Grammatik, Wiederholungen, doppelte Leerzeichen, krumme Syntax, falsche Namen etc. Neben mir liegt auch immer ein Notizblock, auf dem ich Einzelheiten notiere, die ich nachschlagen muss.
Wie finden Sie zum Schreiben die nötige Ruhe?
Camilla Läckberg: Da kann ich keinen guten Rat geben. Wie Sie wissen, schrieb ich mein erstes Buch, als ich noch in Vollzeit als Projektmanagerin arbeitete, und das zweite, während ich schwanger und in Mutterschutz war. Aber um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, wie ... In dem allgemeinen Chaos fand ich scheinbar die Zeit zum Schreiben. Ich war damals nicht besonders organisiert, aber ich habe mich immer an den Roman gesetzt, wenn sich die Gelegenheit bot. Das ist dann auch eine Frage der Prioritäten. Das Schreiben stand für mich immer an erster Stelle, da blieben Treff en mit Freunden, Putzen etc. meistens auf der Strecke. Aber es nützt nichts, einfach darauf zu warten, dass es ruhig um dich herum wird, um mit dem Schreiben loszulegen; genauso wenig nützt es, darauf zu warten, dass dich die Muse küsst. Ich habe es schon mal gesagt, und ich sage es wieder: Alles, was du machen kannst, ist dich mit deinem Hintern auf einen Stuhl zu setzen! Anders geht es nicht. Es ist ja nicht so, als wenn dich auf einmal eine buddhistische, Zen-artige Ruhe überkommt, bis die Worte aus dir heraussprudeln. Eine derartige innere Ruhe hatte ich noch nie, ganz im Gegenteil, oft setzen mir Stress, Ängste und allgemeiner Leistungsdruck zu, wenn ich mich zum Schreiben hinsetze. Freude kommt erst hinzu, wenn ich einmal im Fluss bin. Aber so läuft das nicht immer. Ehrlich gesagt ist es natürlich auch viel einfacher, wenn man einen Partner hat, der hinter einem steht. Als ich Die Eisprinzessin schläft schrieb, sagte mein Exmann immer zu mir: „Schreib du nur, und überlass mir das Geschirr und die Wäsche." Er hat mich immer darin unterstützt, eine Karriere als Schriftstellerin zu machen. Und das ist unglaublich wichtig! Zusammengefasst heißt das: Vergeude deine Zeit nicht damit, darauf zu warten, dass alle äußeren Faktoren stimmig sind, bevor du anfangen kannst zu schreiben. Das wird nie geschehen, und du wirst nie etwas zu Papier bringen. So ist das halt. Du musst dich einfach hinsetzen und es tun. Jetzt. Heute. Nicht Montag. Nicht, wenn du erst alles sauber gemacht hast. Nicht, wenn die Kinder groß sind. Nicht, wenn erst das Unmögliche möglich geworden ist. JETZT!
Haben Sie kleine Rituale, wenn Sie arbeiten?
Camilla Läckberg: Mein Ritual besteht hauptsächlich darin, wie eine aufgescheuchte Glucke um den Computer herumzustapfen und immer alle möglichen Ausreden zu finden, mich nicht hinzusetzen und zu arbeiten. Aber ich sorge immer dafür, dass eine Kanne mit frischem Kaff ee und eine volle Tasse neben mir stehen, wenn ich anfange. Und meistens sitze ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher oder in der Küche mit Kopfhörern auf, um Musik zu hören. Ich arbeite nicht gern in der Stille. Außerdem lege ich eine Decke auf den Tisch vor den Computer, um den Kontakt zwischen der Oberfläche und meinen Handgelenken weicher zu machen. Während des Schreibens beginnen meine Handgelenke immer mehr zu schmerzen, und zum Ende hin ziehe ich die Liza-Marklund-Lösung in Betracht - die Kollegin schient während des Schreibens ihre Unterarme. Aber damit komme ich nicht gut zurecht, also beiße ich die Zähne zusammen und mache in der Hoffnung weiter, dass meine Handgelenke nicht aufgeben, bevor ich die letzte Zeile geschrieben habe. Während des Schreibens vernachlässige ich auch meine Nägel. Ich, die ich mir sonst so viel auf meine Nägel einbilde! Ich verliere keinen Gedanken an sie, wenn ich mich in einer Schreibphase befinde. Dadurch, dass ich den ganzen Tag auf der Tastatur des Computers herumtippe, trocknen meine Nägel aus, sie reißen dann oft ein, brechen ab und werden immer schlimmer. (Natürlich könnte ich sie ölen, aber bitte, wer kann sich am Abend schon die Zeit dafür nehmen?) Abgesehen davon, fällt mir wirklich nichts Besonderes ein das ich mache, wenn ich schreibe. Ich habe keine außergewöhnlichen Eigenheiten. Ich schreibe nur. Aber vielleicht sollte ich es wie Dan Brown machen. Mich kopfüber in meine Hängeschuhe hängen. Und jede halbe Stunde Sit-ups machen.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Camilla Läckberg
- 2013, 7. Aufl., 496 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Katrin Frey
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548285864
- ISBN-13: 9783548285863
- Erscheinungsdatum: 06.11.2013
Rezension zu „Der Leuchtturmwärter / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.7 “
"Ein sehr lesenswerter Krimi, dessen Erzählstränge ein komplexes Bild der Folgen familiärer Gewalt ergeben." Bücher 20130201
Pressezitat
"Ein sehr lesenswerter Krimi, dessen Erzählstränge ein komplexes Bild der Folgen familiärer Gewalt ergeben." Bücher 20130201
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