Dorfpunks
Entschuldigung, es ging nicht anders
Hatte die «taz» Recht, als sie schrieb, Rocko Schamoni sei «lustiger als hierzulande erlaubt, und ernster als hierzulande gewünscht»? Natürlich, dieses Buch ist der Beweis. Es ist die Erinnerung an eine...
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Entschuldigung, es ging nicht anders
Hatte die «taz» Recht, als sie schrieb, Rocko Schamoni sei «lustiger als hierzulande erlaubt, und ernster als hierzulande gewünscht»? Natürlich, dieses Buch ist der Beweis. Es ist die Erinnerung an eine Jugend, wie sie viele hatten. Kühe, Mofas, Bier, Konfirmandenunterricht, Schulstress, Liebeskummer und die tödliche Langeweile auf dem flachen Land, die Windstille am Ende der schlimmen Siebziger. Doch dann kam PUNK, und PUNK kam auch nach Schmalenstedt in Schleswig-Holstein.
Hatte die "taz" Recht, als sie schrieb, Rocko Schamoni sei "lustiger als hierzulande erlaubt, und ernster als hierzulande gewünscht"? Natürlich, dieses Buch ist der Beweis. Es ist die Erinnerung an eine Jugend, wie sie viele hatten. Kühe, Mofas, Bier, Konfirmandenunterricht, Schulstress, Liebeskummer und die tödliche Langeweile auf dem flachen Land, die Windstille am Ende der schlimmen Siebziger. Doch dann kam PUNK, und PUNK kam auch nach Schmalenstedt in Schleswig-Holstein.
Dorfpunks von Rocko Schamoni
LESEPROBE
SH-Punk
Ich war Roddy Dangerblood. Bis ich 19 war.
Dann wurde ich zu Rocko Schamoni.
Vor alldem hatte ich einen ganz normalen bürgerlichen Namen.Das ist schon so lange her, dass er mir fast entfallen ist. Nur wenn der Staatmich in Form irgendeiner Behörde herbeizitiert und nicht begreift, dass icheinen neuen, cooleren Namen habe, muss ich mir diese abgestoßene Haut wiederüberziehen. Seltsam, von Fremden mit einem Namen angesprochen zu werden, mitdem mich meine Eltern das letzte Mal riefen, als ich noch Teenager war. Ich bindann jedes Mal um mein Erwachsensein beraubt, um einen Großteil meinerGeschichte, sitze auf dem Amt als alter Jugendlicher. Das sind Wurmlöcher durchdie Zeit. Gegraben von nichts ahnenden Beamten. Aber ich verrate ihnen nichtsdavon, sie sollen keine Macht über mich haben.
Ich komme von der Ostsee, ich war SH-Punk. SH steht für Schleswig-Holstein. Diesist eine Geschichte von Ufern. An die Wellen schlugen. Sie kamen aus England,breiteten sich dort sehr schnell aus, sprangen aufs Festland über, setzten dieGroßstädte unter Wasser und flossen von dort aus weiter, um später in derProvinz zu verebben. Jahre später. 1975 in England ausgebrochen, 1981 bei unsverebbt. In uns. Ein Jugendtsunami.
Und es ist eine Geschichte von verschiedenen Wegen, erwachsenzu werden. Von Wegen, die die Zeit für uns bereithielt. Ich konnte es mir garnicht anders aussuchen. Das Schicksal hatte bestimmt, dass ich Punk werdensollte. Niemand Geringeres als das Schicksal.
Ganz grob gesehen besteht mein Leben aus zwei Teilen. Ausmeiner Kindheit und dem Rest.
Der Restbegann, als ich circa zwölf Jahre alt war.
Davor warmeiner Erinnerung nach alles in Ordnung, irgendwie alles normal. Ich war ganzin der Welt, ich sah mich nicht getrennt, reflektierte nicht über sie, nahmsie, wie sie war, freute mich über das meiste, benutzte zur Kommunikation dieSprache, mit der ich aufgewachsen war, die man mir beigebracht hatte. Eineziemlich ideale Welt. Eine Zen-Welt. Eine Welt in Watte.
Dann aß ichvom Baum der Erkenntnis und wurde aus dem Paradies vertrieben.
Schmalenstedt, schöner sterbender Schwan
Schmalenstedt, schöner sterbender Schwan
1976 inNorddeutschland, genauer gesagt: Schmalenstedt an der Ostsee. FünftausendEinwohner, CDU-regiert, nächste größere Stadt: Kiel. Viel Wald, Bäche, Seen,Hügel, eine Endmoränenlandschaft, geformt in der Eiszeit. Man nennt es dieHolsteinische Schweiz, idyllisch, relativ unberührte Natur, das meiste Land inAdelshand. Und totaler Totentanz.
Es gab eineKooperative Gesamtschule mit 1600 Schülern. Ein großes Einkaufszentrum, ein paar Kneipen, Restaurants undeine Disco: Meier's. Ansonsten war Schmalenstedt eine sterbende Stadt.
MeineEltern hatten sich für relativ wenig Geld ein altes Bauernhaus in einem VorortSchmalenstedts gekauft, einem Dorf mit vielleicht dreihundert Einwohnern.Kleine Häuser, Vorgärten, Deutschlandfahnen (heute gepaart mitFerrari-Motiven), Garagen, niedrige Hecken. Und sieben aktive Bauernhöfe.
Das Hauswar schön, groß und alt, von 1877, ziemlich renovierungsbedürftig, umgeben von einem 2000 Quadratmeter großenGrundstück mit Obstbäumen, das total verwildert vor sich hin wucherte. Es lagan einem Hang mit Aussicht auf das Dosautal, eines der letzten UrstromtälerNorddeutschlands, in der Mitte ein kleiner Fluss, die Dosau eben. Auf deranderen Talseite ein säumender Wald, den ich später als den Geisterwald kennenlernen sollte.
Am Anfangwar es wunderbar für mich und meinen Bruder, das alte Haus zu erforschen,Dachböden und Abseiten zu entdecken, Verstecke, Dinge, die der Vormietervergessen oder verloren hatte. Es roch nach Staub und alten, tragischenGeschichten, Geschichten vom Verlust des Eigenheims. Immer wieder eingemauerteRechnungen. Wenn mein Vater eine Wand einriss, fand sich oft eine eingemauerteRechnung darin. Darüber mussten wir dann jedes Mal wieder lachen. Gute Idee,Rechnungen einzumauern, wenn man kein Geld hat. Fanden wir.
Mein Bruderund ich bekamen gegenüberliegende Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses, nahgenug, um in einem ständig schwelenden Kriegszustand zu verweilen, dermeistens so aussah, dass er als der Jüngere mir damit drohte, von mir begangeneUntaten bei meinen Eltern zu verpetzen. Dafür drohte ich damit, ihm seineLieblingsgegenstände zu klauen. Ich entwickelte ein geradezu mafioses geheimesDrohsystem, indem ich im Fall einer bevorstehenden Verpetzung einfach nur ganzkurz meine Hand hob und ihm eine bestimmte Anzahl von Fingern zeigte. DieseAnzahl bezog sich auf die - meiner Meinung nach - angemessene Anzahl der Dinge,die ich ihm klauen würde, wenn er zu reden wagte.
Treppengepolter,vier Füße in rasendem Lauf Richtung Wohnzimmer, Türenknallen, meine Mutterfährt erschreckt herum, ihr langes Haar fliegt in der Luft.
MeinBruder: Mama, Mama, der (auf mich zeigend) war in deinem Arbeitszimmer und hatdie Farben geklaut. Mama: Waas?
Ich: Ichwar da nicht drin, das war schon.. . (Finsterer Blick auf meinen Bruder, danndie Aufmerksamkeit meiner Mutter auf etwas anderes lenkend:) Mama, was ist dasda für ein Buch (aufs Regal zeigend)?
Mutterblickt verwirrt zum Regal. In der Zeit hebe ich die Hand ein wenig und spreizedrei Finger in Richtung meines Bruders, der erbleicht.
Mama: Wasist denn hier
MeinBruder: Mama, er hat mir drei Finger gezeigt! Mama: Na und? Was ist denn hier -
MeinBruder: Das heißt, dass er mir drei Sachen klauen will. Mama: Ja, aber warumdenn, du (zu mir), stimmt das? Ich: Nein, warum denn, ich hab doch gar nichtsgesagt.
Mama: Ja,dann lasst mich jetzt in Ruhe, ich habe keine Lust auf eure Streitereien.
Ich: Okay.
MeinBruder: Aber ...
In einemunbemerkten Moment ging ich dann nach oben und klaute ihm die Gegenstände, dieer am schmerzlichsten vermissen würde. Er konnte es mir nie nachweisen.
Heiligabendschenkte ich ihm alles wieder, und er hasste mich dafür. Ich Schwein. Aber erspielte die Rolle des Jüngeren so geschickt aus, dass ich mich nicht anders zuwehren wusste. Hätt ich's anders machen können, hätt ich's auch anders gemacht.Sage ich zu meiner Verteidigung.
© RowohltVerlag GmbH
- Autor: Rocko Schamoni
- 2005, 20. Aufl., 208 Seiten, Maße: 11,5 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499241161
- ISBN-13: 9783499241161
- Erscheinungsdatum: 01.11.2005
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