Herr Lehmann / Frank Lehmann Trilogie Bd.1
Der Wahlkreuzberger Lehmann ist noch keine dreißig, und er liebt sein ereignisloses Leben. Jahrelange Ausweichmanöver und heroische Trägheit haben ihn bisher erfolgreich vor den Ansprüchen seiner Umwelt verschont, bis das Jahr 1989 beginnt. Das Jahr der...
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Der Wahlkreuzberger Lehmann ist noch keine dreißig, und er liebt sein ereignisloses Leben. Jahrelange Ausweichmanöver und heroische Trägheit haben ihn bisher erfolgreich vor den Ansprüchen seiner Umwelt verschont, bis das Jahr 1989 beginnt. Das Jahr der Wiedervereinigung stellt Herrn Lehmann auf eine harte Probe.
In seinem Debüt heftet sich Regener an die Fersen seines charmanten Protagonisten, der eine ungewöhnliche Reise durch den Mikrokosmos des Berliner Stadtviertels antritt.
Sven Regener, geboren in Bremen 1961, lebt heute in Berlin. 1985 war er Mitbegründer der Band "Element of Crime". Sein Debütroman "Herr Lehmann" stürmte auf Anhieb die Bestsellerlisten.
In seinem gefeierten Debüt heftet sich Regener an die Fersen seines charmanten Protagonisten, der eine ungewöhnliche Reise durch den Mikrokosmos des Berliner Stadtviertels antritt.
"Die Dialoge entfalten einen sprühenden Witz, wie man ihn selten antrifft in einem deutschen Roman. Und er geht auch bei wiederholtem Lesen nicht verloren." -- Neue Zürcher Zeitung
"Hier entsteht die Komik scheinbar wider Willen, im Unabsichtlichen liegt die erzählerische Eleganz. Man hält den Atem an, man ist verblüfft, man lacht sich schief. Alles popkulturelle Berlin-Geschwätz fegt der Autor mit einem Wisch vom Tisch, und wir schmeißen die einschlägige Partyliteratur gleich hinterher. Denn bei Sven Regener, da ist der Alltag noch phänomenal, die Stadtdarstellung noch einen Blick wert." -- Die Zeit
Herr Lehmann von Sven Regener
LESEPROBE
MUTTER
»Frank,bist du das? Du klingst so komisch. Es hat so lange geklingelt, bis durangegangen bist, da hab ich schon gedacht, du bist gar nicht da. Ich wollteschon wieder auflegen. «
HerrLehmann liebte seine Eltern. Er war ihnen für vieles dankbar, und sie lebtenweit weg von Westberlin, in Bremen, das ergab einen Abstand von zweiStaatsgrenzen und einigen hundert Kilometern. Was er auch sehr an ihnenschätzte, war die Tatsache, daß sie niemals im Leben auf die Idee kämen, ihnmit Herr Lehmann anzusprechen. Das einzige Problem mit ihnen war: Sie standengerne früh auf und riefen gerne früh an.
»Mutter!«sagte Herr Lehmann.
»Ich wollteschon wieder auflegen.«
Warum,dachte Herr Lehmann, hast du es nicht getan. Ich, dachte Herr Lehmann, der sichauf seine Rücksichtnahme, die Bedürfnisse anderer Menschen betreffend,durchaus etwas zugute hielt, hätte es getan. Genauer gesagt, dachte HerrLehmann, hätte ich es vor allem nicht dreißigmal klingeln lassen, damit geht'sdoch schon mal los, dachte er. Fünfmal, das ist okay, zumal die meisten LeuteAnrufbeantworter haben, die nicht ohne Grund schon nach vier- oder fünfmaligemKlingeln anspringen, dachte Herr Lehmann und bedauerte, daß er sich noch immernicht ein solches Gerät angeschafft hatte, aber der Gedanke, zu Karstadt amHermannplatz, also im Grunde nach Neukölln zu gehen, um so etwas zu kaufen, warihm zutiefst zuwider.
»Frank,bist du noch da?«
HerrLehmann seufzte.
»Mutter«,sagte er, »Mutter. Es ist ... «, Herr Lehmann, der schon lange keinefunktionierende Uhr mehr brauchte, weil er ein ausgezeichnetes Zeitgefühlentwickelt hatte und im Notfall immer noch auf öffentliche Uhren oder die telefonischeZeitansage zurückgreifen konnte, dachte kurz nach, » ... höchstens zehn Uhr!Wenn du doch weißt, daß ich nachts ...
»SchonViertel nach zehn, da schläft man doch nicht mehr, da wundere ich mich schon,daß du noch schläfst, ich bin schon seit sieben auf den Beinen«, sagte seineMutter auf eine so auftrumpfende Weise, daß sich Herr Lehmann, der sicheigentlich für einen durchweg ausgeglichenen Menschen hielt, dessen Temperamentsich mit den Jahren abgelagert hatte wie der Griselkram in altem, teurem Rotwein,zu einer scharfen Gegenreaktion provoziert sah.
»Warum?«fragte er.
»Ich wollteschon wieder auflegen, aber dann habe ich gedacht, das kann ja nicht sein, daßdu schon aus dem Haus bist, du arbeitest doch immer so spät.«
»Eben,Mutter, eben«, sagte Herr Lehmann, fest entschlossen, diesen seiner Erfahrungnach typisch mütterlichen Versuch, einer Frage auszuweichen, nicht durchgehenzu lassen. »Aber das war nicht die Frage, Mutter! «
»WelcheFrage denn?« kam es ärgerlich zurück.
»Warum,Mutter. Ich fragte: Warum? Warum bist du seit sieben Uhr auf den Beinen?« (...)
© EichbornAG, Frankfurt am Main, 2001
Autoren-Porträt von Sven Regener
Sven Regener wurde am 1. Januar 1961 in Bremen geboren. NachSchulbesuch, Bundeswehr- und Zivildienst kam er über Hamburg nach Berlin. Dortmachte er in vielen Übungsräumen als Trompeter mit vielen verschiedenen LeutenLärm. 1982 nahm er seine erste LP mit der Band "Zatopek"auf. 1984 kam er zur Band "Neue Liebe", einer Art Punk-Funkband mitKunstanspruch und vielen Bläsern. Nach deren Auflösung gründete er 1985 mitanderen die Band "Element of Crime",die mit deutschsprachigen Alben wie Damals hinterm Mond und WeißesPapier eine große Popularität erlangte. Sven Regenerist Sänger, Texter und Trompeter der Gruppe. Er gilt als "einer derfeinsten Pop-Poeten des deutschen Sprachraums." (zitty)
Interview mit Sven Regener
Herr Regener, wie man Ihrem neuen Band ansieht - er hat fast 600 Seiten -, haben Sie Spaß gehabt an der Fortsetzung von "Herr Lehmann". Oder sind Sie vom Verlag gequält und von der Filmgesellschaft bedroht worden?
Nein, nein. Das ist ein bisschen missverständlich rübergekommen. Tatsächlich hatte ich das von vornherein so angelegt. Es sind eigentlich drei Bücher, und ich habe den letzten Band der Trilogie zuerst geschrieben. Ich habe mit "Herr Lehmann" begonnen, weil es mir das Einfachste zu sein schien. Aber bei "Neue Vahr Süd" geht die Geschichte eigentlich los. Da wird Herr Lehmann in Bremen sozusagen aus der Kurve getragen. Es ist ein relativ beschaulicher Beginn, an dem der Held mit nichts da steht, und wo ihm plötzlich alles um die Ohren fliegt. Jedes Buch aber hat sein eigenes Recht, und so kann man die Bücher auch getrennt voneinander lesen. Das zumindest war mein Ziel. Dass dieses Buch nun so dick geworden ist, tja - es hat einfach gerade so viele Seiten, wie es haben muss. Ich hätte einfach nicht mehr kürzen können. Es ist eine relativ komplizierte Geschichte, weil sie in zwei Welten zugleich spielt. Und auf beide Welten muss man sich richtig einlassen. Wenn zum Beispiel die Geschichte mit der Bundeswehr ihren Raum braucht, dann muss man dem auch stattgeben. Dann nutzt es nichts, faul zu sein. Hauptsache, es bleibt für den Leser spannend, und das Buch hat keine Längen. Aber man darf es den Lesern auch nicht zu leicht machen. Man muss da schon durch, um verstehen zu können, was diese Leute umtreibt. Es kann nicht immer nur Schokoladenpudding zu essen geben.
Neue Vahr Süd - so heißt ein Stadtteil von Bremen. Können Sie uns diesen Ort etwas näher beschreiben. Wie wichtig ist dieser Ort für die Metamorphose von Frank zu Herrn Lehmann?
Herr Lehmann ist 20, er ist in einem Übergangsalter. Der Jugendlichen-Bonus ist aufgebraucht, Herr Lehmann ist strafmündig. Und gleichzeitig hat er aber überhaupt noch keine Ahnung. Ein schwieriges Alter. Man wird noch gar nicht richtig für voll genommen. Die Geschichte ist letztlich die von einer Befreiung, einer Loslösung: Am Anfang wohnt er noch bei seinen Eltern in der Neuen Vahr Süd. Er muss raus, weiß aber nicht genau wie. Die Eltern wollen ihn loswerden - und wissen auch noch nicht so recht wie. Und dann kommt diese Institution Bundeswehr dazu, die ihn qua Gesetz zwingt, etwas zu tun. Halb zog es ihn, halb sank er hin. In der Neuen Vahr Süd beginnt der Roman, und er endet auch dort. Seine ganzen Freunde oder eher Kumpels kommen von dort. Auch wenn Herr Lehmann ins Ostertorviertel zieht, also ins Zentrum von Bremen, wohnt er dort wieder mit Leuten zusammen, die aus der Neuen Vahr sind. Er geht zur Bundeswehr und wird dann versetzt. Wohin? In die Neue Vahr Süd. Es ist kein Roman über den Stadtteil, aber das Neubauviertel bekommt man aus Lehmann sozusagen nicht raus.
Kindheit und Jugend in der Hochhaussiedlung, Bundeswehr, WG - was erlebt Herr Lehmann noch, bevor er nach Berlin geht?
Es passieren Dinge mit ihm, die er zwar insgeheim will, sich aber anders vorgestellt hat. Sein gesamtes bisheriges Leben bricht zusammen. Alles, was zuvor für ihn galt, gilt plötzlich nicht mehr. Er bricht allerdings die Brücken selber ab. Er hätte ja sagen können: "Ich gehe zurück zu den Eltern nach der Bundeswehrzeit." So einer ist er aber nicht. Das kann er nicht. Dazu ist er zu stolz. Er muss ja weiter. Es gibt ja auch ein oder zwei Liebesgeschichten, die aber hilflos ausgehen. Weil auch das sehr schwierig ist, wenn man das Spiel kennt, aber nicht die Regeln. Das mit der Bundeswehr ist wichtig. Ich meine, wir reden ja hier über eine Armee in einem freiheitlichen, demokratischen Land, in dem die Menschen relativ liberal aufwachsen können. Aber nun kommt man plötzlich in diese Armee, wo man eigentlich aller Menschenrechte beraubt wird. Das ist natürlich ein unglaublicher Schock. Man kann politisch dazu stehen, wie man will. 90 Prozent der Menschenrechte gelten dort nicht, jedenfalls nicht im "Stillgestanden!" Man ist in einer völlig anderen Welt und gehört der Armee an, die eine Form der Diktatur in einer Demokratie darstellt. Und am Wochenende dann wird Herr Lehmann wieder herausgeschleudert in die normale, liberale und linke WG-Welt. Und dieses Aufgeriebenwerden zwischen den Welten, darum geht es. Das ist ja das Reizvolle an diesem Szenario, die Zerrissenheit von Herrn Lehmann darstellen zu können.
Wie geht es eigentlich Element of Crime? Kommen Sie noch dazu, Musik zu machen?
Musik kann man immer machen. Aber wir sind nicht dazu gekommen, neue Songs zu schreiben. Wir haben 2004 einige Festivals gespielt. Aber wir haben relativ lange keine Platte mehr gemacht. Große Tourneen muss man eigentlich mit neuen Platten machen. Es wird einfach Zeit, ein paar neue Songs zu schreiben. Die letzte Platte ist von 2001. Wenn alles so kommt, wie ich mir das erträume, werden wir im Herbst nächsten Jahres eine neue Platte herausbringen. Aber ich habe natürlich noch keine neuen Texte schreiben können. Das Buch muss weg, ich muss davon befreit sein, das mit den Interviews muss aufhören. Aber dann kann es recht schnell gehen. Das würde ich mir vom Weihnachtsmann wünschen, dass wir dann mit einer neuen Platte kommen können.
Erzählen Sie uns doch bitte ein bisschen aus der "Produktion". Wie schreiben Sie ein Buch? Und gibt es große Unterschiede zum Musikmachen?
Das ist natürlich eine ganz andere Sache. Ich mache die Songtexte ja immer zur Musik. Die Musik ist zuerst da. Musik ist Musik und mit nichts zu vergleichen. Songtexte sind musikalisch bedingt und sie sind eine Form von Lyrik. Meine Bücher aber sind Prosa. Das sieht man ja auch bei der Kapiteleinteilung. Jedes Kapitel hat eine eigene Überschrift, seine eigene Pointe und seinen eigenen Spannungsbogen, kleine Bilder, aus denen sich wie bei einem Mosaik ein großes Bild zusammensetzt. Ich schreibe so ein Kapitel vielleicht an zwei Tagen herunter, aber ich habe einen Monat lang darüber nachgedacht. Es ist immer noch ein großer Kampf, aber ich mache dann zwei Tage lang nichts anderes, als nur zu schreiben. Die Sache muss in meinem Kopf schon relativ weit gediehen sein, damit ich überhaupt beginnen kann.
Wann folgt der letzte Band der Lehmann-Trilogie? Und wovon handelt er?
Das noch fehlende Buch wird im Zeichen des großen Bruders von Herrn Lehmann stehen. Es wird ja bei den beiden vorliegenden Büchern deutlich, dass der Bruder für ihn eine ungeheure Rolle spielt. Er ist im Grunde genommen auch ein ewiger Quell von Schmerz und von Sehnsucht. Herr Lehmann hat seinen Bruder verloren, als der nach Berlin ging. Und er ist ein Maßstab, an dem sich Frank misst. In "Herr Lehmann" hat er schon ein sehr viel entspannteres Verhältnis als in "Neue Vahr Süd". Da berührt es ihn richtig stark. Er wird dann auch mit dem Bruder konfrontiert. Das neue Buch wird direkt an die Handlung von "Neue Vahr Süd" anschließen. Es wird davon handeln, wie Frank Lehmann nach Berlin kommt und seinen großen Bruder aufsucht. Alle drei Bücher erzählen eigentlich sehr bittere Geschichten. Ich habe sie aber extra so geschrieben, dass noch ein komischer Aspekt mit dabei ist. Es ist eine Art Verzweiflungskomik, die das Ganze noch irgendwie erträglich macht. Aber das nächste wird ein dunkles Buch. "Herr Lehmann" hat einen roten Schutzumschlag, "Neue Vahr Süd" einen grünen. Und ich denke, das letzte Buch wird schwarz. Man wird dann verstehen, wie es dazu kam, dass Frank zumindest am Anfang von "Herr Lehmann" ein glücklicher Mensch ist, trotz alledem. Denn er hat etwas gefunden, wodurch er in sich selbst ruht. Und es ist angenehm, so etwas gefunden zu haben. Er ist so eine Art Yogi. Dass er das nicht aufrechterhalten kann, ist eine andere Sache, aber am Anfang hatte er seinen Frieden. Vielleicht versteht man das dann etwas besser. Jeder Mensch hat ein Schicksal, und es ist nicht damit getan, ihn einen Schlaffi, einen ambitionslosen Anti-Helden zu nennen. Für mich ist der Mann ein Held, kein Anti-Held.
Sie sind sozusagen ein Quereinsteiger in der Literatur. Fühlen Sie sich wohl in dieser Welt?
Die Welt der Literatur. Wenn ich mich mit meinem "Herr Lehmann"-Hit und meinem anderen Buch beklagen würde über die Welt der Literatur, dann wäre ich wohl ein ziemlich komischer Typ. Das muss ich echt mal sagen. Nein, die Welt der Literatur ist sehr gut zu mir. Es ist keine Welt, die ich besonders gut kenne. Ich bin seit über 20 Jahren im Musikgeschäft. Ich will auch gar nicht den Schlaumeier machen, aber man behandelt mich sehr gut, auch in den Feuilletons. Und wenn das Buch mal verrissen oder in die Pfanne gehauen wird, dann macht das gar nichts. Ich habe nichts zu meckern und gar nichts zu kritisieren, denn es war natürlich auch wahnsinnig viel Glück dabei. Das ist eine Geschichte wie ein Märchen. Man schreibt so ein Buch wie "Herr Lehmann", und das geht ab wie Schmidts Katze. Und keiner weiß warum. Es ist wie ein Lottogewinn mit Sonderzahl und Superzahl und Spiel 77 noch oben drauf. Und man sitzt so da und denkt, was ist denn jetzt los? Nun bin ich Gott sei Dank lange genug im Geschäft, um damit umgehen zu können. Ich flippe deswegen nicht aus, und ich nehme das nicht persönlich. Dieses Buch hat eben einen Nerv getroffen. So ein Erfolg ist eigentlich eine gute Gelegenheit, um Demut zu üben. Denn keiner konnte ahnen, wie sich das entwickelt. Niemand konnte sagen: "Ein Buch über einen Typen, der in einer Kneipe in Kreuzberg arbeitet? Na, das wird ja wohl laufen wie irre." Das konnte wirklich keiner ahnen.Die Fragen stellte Mathias Voigt, literaturtest.de.
- Autor: Sven Regener
- 2003, 30. Aufl., 288 Seiten, Maße: 11,5 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442453305
- ISBN-13: 9783442453306
- Erscheinungsdatum: 16.07.2003
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